Der sensationelle Einzug ins WM-Finale im vergangenen Mai hat den deutschen Eishockeyspielern Lust auf mehr gemacht. Beim Deutschland-Cup in Landshut will der Bundestrainer aber auch experimentieren und anderen Spielern eine Chance geben.
Hätte Harold Kreis keine Karriere als Eishockey-Profi und danach als Trainer gemacht, würde er heute vermutlich Autos verkaufen. Eine entsprechende Ausbildung hat er erfolgreich abgeschlossen, und ein gewisses Talent dafür bringt er auch mit. „Sie dürfen mich zwar nix über Motoren fragen“, sagte Kreis einmal, „aber Kommunikation und Verhandlungsgeschick – das habe ich schon mitgenommen“. Man kauft es dem 64-Jährigen sofort ab. Kreis ist so etwas wie ein „Menschenfänger“, einer, dem man schnell vertraut und dem man gern zuhört. Vor allem, wenn es um Eishockey geht. Deswegen ist er für den Posten des Bundestrainers auch – zumindest bis jetzt – eine Idealbesetzung. Bei seiner internationalen Feuertaufe bei der WM im vergangenen Mai in Finnland und Lettland stürmte die Nationalmannschaft sogar bis ins Finale. Die Silbermedaille, das erste WM-Edelmetall seit 70 Jahren für eine Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB), war ein historischer Triumph.
Erstmals seit WM wieder zusammen
Auch Sportfans, die mit der Sportart sonst eher wenig anfangen können und viele Spieler vorher nicht einmal beim Namen kannten, fieberten plötzlich mit den Männern auf dem Eis mit. Der übertragende TV-Spartensender Sport1 erzielte beim verlorenen Finale gegen Rekord-Weltmeister Kanada eine Spitzenquote von bis zu drei Millionen Zuschauern, nahezu alle Sportseiten platzierten die DEB-Stars als großen Aufmacher. Die Euphorie ähnelte der, die durch den Silbercoup bei Olympia 2018 in Südkorea ausgelöst worden war. Und auch diesmal will das deutsche Eishockey die Welle reiten und weiter für Begeisterung rund um das schnelle Spiel mit dem Puck sorgen. Der Deutschland-Cup der Männer und das parallel stattfindende Vier-Nationen-Turnier der Frauen sind dafür ein wichtiger Indikator. In der Landshuter Fanatec Arena kommen die Silberhelden der WM erstmals wieder zusammen, und nicht nur bei Kreis ist die Vorfreude riesig. Er habe zuletzt „morgens etwas länger schlafen“ können, berichtete der Bundestrainer, „ohne Mannschaft und mein Trainerteam, dem ich viel zu verdanken habe, bin ich allerdings einsamer.“
Doch wer glaubt, dass das Traditionsturnier zu einem gemütlichen Betriebsausflug wird, der irrt gewaltig. Der Erfolg der Vergangenheit zählt für die Gegenwart nichts – und für die Zukunft noch viel weniger. Der Bundestrainer will die Spiele gegen Dänemark (9. November), Österreich (11. November) und die Slowakei (12. November) auch nutzen, um vielen Spielern eine Chance zu geben, die beim triumphalen WM-Auftritt nicht dabei waren. „Wir werden eine Mischung aus Spielern haben, die bei der WM waren, und Spielern, die sich wieder neu präsentieren können“, kündigte Kreis an. Dass manche Leistungsträger nicht berücksichtigt wurden, bedeute aber keineswegs deren Ausbootung aus der Nationalmannschaft, betonte Kreis: „Es gibt Spieler, die eine längere Vergangenheit bei der Nationalmannschaft haben, die muss man nicht zwingend anschauen.“ Andere wiederum will der Chefcoach gern hautnah miterleben, wie sie sich spielerisch und auch charakterlich ins Teamgefüge integrieren. „Ihr werdet angenehm überrascht sein, welche Spieler zugesagt haben“, hatte Kreis Mitte Oktober noch vor der offiziellen Nominierung gesagt: „Es sind alle sehr offen. Sie waren teilweise überrascht, dass ich anrufe, weil sie nicht damit gerechnet haben.“
Deutschland als Titelkandidat
Klar ist, dass gestandene Profis wie Matthias Plachta, Patrick Hager oder Tom Kühnhackl, die für die vergangene WM aus unterschiedlichen Gründen abgesagt hatten, darauf brennen, wieder das DEB-Trikot überzustreifen. Denn bis zur nächsten Weltmeisterschaft ist es nicht mehr lange hin, vom 10. bis 26. Mai wird in den tschechischen Städten Ostrava und Prag um die WM-Krone gekämpft. Und spätestens jetzt wollen alle dabei sein, denn Deutschland zählt nach der Leistung von Finnland und Lettland zu den Titelkandidaten. „Die Spieler, die nicht dabei waren, haben diesen Teamspirit aus der Ferne miterlebt“, sagte Kreis. Diesen Zusammenhalt gelte es nun „zu kultivieren“, forderte der Deutsch-Kanadier. Denn individuell werden Eishockey-Nationen wie Kanada, Finnland, Schweden oder Tschechien wohl immer besser besetzt sein. Auch wenn das deutsche Eishockey diesbezüglich in den vergangenen Jahren mächtig aufgeholt hat. „Wir haben eine große Auswahl an Spielern, die infrage kommen“, sagte der frühere Mannheimer Spieler und Trainer, der sich seit Saisonstart in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) viele Live-Spiele und Videos angeschaut hat: „Für unseren erweiterten Kader für den Deutschland Cup habe ich zwölf Verteidiger und sieben bis acht Sturmreihen zur Verfügung.“
Nicht mit dabei sein werden aber die NHL-Profis Leon Draisaitl, Moritz Seider und Tim Stützle, die aktuell in der nordamerikanischen Profiliga um Hauptrunden-Punkte kämpfen. Auch Kapitän Moritz Müller von den Kölner Haien läuft in Landshut nicht auf, der Verteidiger bekommt von Kreis eine Pause. Trotzdem geht Deutschland beim Vier-Nationen-Turnier, das 1987 seine Premiere hatte, als Favorit an den Start. Die zwei vergangenen Ausgaben konnte die DEB-Auswahl für sich entscheiden, der Hattrick bei Kreis’ Premiere ist das Ziel. Das Selbstvertrauen dafür ist bei den Vizeweltmeistern absolut vorhanden, damit hat Kreis seine zwei Grundprinzipien als Trainer bereits in der Nationalmannschaft verankert: Vertrauen und Glaube. „Die Spieler müssen Vertrauen zu meinem System und untereinander haben. Und den Glauben an den Erfolg“, erklärte er: „Vertrauen ist der Klebstoff, der Glaube der Treibstoff.“
So erfolgreich wie das Herren-Team ist die Nationalmannschaft der Frauen noch längst nicht. Doch auch dort ist unter Bundestrainer Jeff MacLeod ein Aufwärtstrend zu beobachten, den das Team in Landshut unter Beweis stellen will. Dass das Vier-Nationen-Turnier mit dem Gastgeber, Tschechien, Finnland und Dänemark parallel zum Deutschland-Cup der Männer ausgetragen wird und somit mehr Zuschauer als sonst kommen dürften, ist eine zusätzliche Motivation. „Die Freude ist natürlich riesig“, sagte Nationalspielerin Celina Haider. Sie bezeichnete die Entscheidung der DEB-Bosse als „großen Schritt in die richtige Richtung, da wir die Möglichkeit haben uns vor einer großen Kulisse mit einer hoffentlich einzigartigen Atmosphäre zu präsentieren“. Man wolle den Menschen zeigen, „dass Frauen-Eishockey ein attraktiver Sport ist, der Aufmerksamkeit verdient“. Nationalspieler Fabio Wagner will auf jeden Fall auch mal bei seinen Kolleginnen in der Halle vorbeischauen, er hofft auf „tolle Turniertage“. Auch Kreis befürwortet das neue Format. Abseits der Spiele seien auch gemeinsame Meetings und Mittagessen der Teams geplant, wie er verriet.
Aufmerksamkeit für Frauen-Eishockey
Dem Doppel-Event fiebern auch die Verantwortlichen im Verband entgegen. „Zwei A-Nationalmannschaften, die gleichzeitig an einem Standort ihr jeweiliges Turnier austragen, das ist eine Weltpremiere“, betonte DEB-Vizepräsident Andreas Niederberger. Er unterstrich den „hohen Stellenwert“, den das Frauen-Eishockey im DEB habe. Auch DEB-Sportdirektor Christian Künast sprach von einem „Highlight für jeden Eishockeyfan“ und bedankte sich bei Ausrichter Landshut. Die Eishockey-Region Niederbayern sei dafür optimal geeignet, meinte auch Niederberger. Der ortsansässige EV Landshut spielt zwar nicht erstklassig, sondern in der DEL2, doch die Eishockey-Tradition beim zweimaligen deutschen Meister sowie in der niederbayerischen Stadt und Umgebung ist riesengroß.
Davon wollen sich die Nationalmannschaften tragen lassen – allen voran das Männerteam, das Hunger auf mehr bekommen hat. „Unser Anspruch ist hoch“, bestätigte Kreis. Er will immer den maximalen Erfolg – auch wenn er nicht immer öffentlich damit hausieren geht. Kurz vor der WM hatte Kreis es noch als „vermessen“ zurückgewiesen, das Ziel „Titel“ als realistisch einzustufen. Dafür sprach auch, dass der Nachfolger von Toni Söderholm (inzwischen bei Red Bull München) sich keine Weltmeisterprämie in seinen Vertrag hat schreiben lassen. Im WM-Finale gegen Kanada dürfte der Deutsch-Kanadier das zwischenzeitlich bereut haben, denn im Mitteldrittel führte die DEB-Auswahl plötzlich mit 2:1. Nur 22,5 Minuten fehlten zum Sensations-Gold, doch dann drehten die kanadischen NHL-Stars auf. „Der Tank ist leer“, sagte Kreis unmittelbar danach. Er wollte auf keinen Fall, dass die Traurigkeit über das verlorene Finale den Stolz über das Erreichte überdeckt und fügte schnell an: „Aber wir haben etwas gewonnen, nicht etwas verloren.“
Klar ist, dass die Erwartungshaltung gestiegen ist. Ein Viertelfinaleinzug bei der kommenden WM in Tschechien ist bei den Gruppengegnern USA, Schweden, Slowakei, Lettland, Frankreich, Kasachstan und Polen fast schon Pflicht. Dass nach Platz zwei nun aber der Titel als Ziel ausgerufen werden müsste, entspricht nicht den Vorstellungen des Bundestrainers. „Wir dürfen den Druck nicht zu sehr erhöhen und sollten die Kirche im Dorf lassen“, mahnte Kreis. Doch er stellte auch klar: „Dass wir die Ziele perspektivisch höher als Viertelfinale ansetzen, das kann ich mir jedoch gut vorstellen.“ Kreis wird genau wissen, wie er das der Mannschaft schmackhaft machen kann. „Meine Stärke ist der Umgang mit den Spielern“, sagte er einmal angesprochen auf seinen Spitznamen „Gentleman-Trainer“. Er begegne allen Spielern auf einer „professionellen und menschlichen Ebene“. So wie einst auch als Autoverkäufer.