Der einst ausgestorbene Gepard kehrt nach Indien zurück, zur Freude vieler. Doch der neue alte Nachbar stellt indigene Gemeinschaften vor Probleme – und auch eine andere gefährdete Raubkatze.
Harilal Sahariya ist aufgewühlt. „Niemand hat ein Ohr für unsere Sorgen“, sagt er. „Alle sind verrückt nach dem Geparden.“ Der 30-Jährige, ein Angehöriger einer indigenen Gemeinschaft, stammt aus einem Dorf namens Tiktoli. Es ist das letzte Dorf vor dem Haupteingang des Kuno-Nationalparks in Zentralindien, rund 500 Kilometer südlich der Hauptstadt Neu-Delhi. Der Nationalpark beherbergt seit einigen Monaten ein paar neue Bewohner: Geparden aus Afrika.
Im September 2022 hatte ein Militärflugzeug acht dieser Raubkatzen (fünf Weibchen und drei Männchen), die einst auch in Indien beheimatet waren, aus Namibia in den indischen Bundesstaat Madhya Pradesh gebracht, mit dem Ziel, sie im Kuno-Nationalpark auszuwildern. Diese ebenso ambitionierte wie kontroverse „Wiedereinführung“ des Geparden – eingeführt wurden keine Asiatischen Geparden (Acinonyx jubatus venaticus), sondern Südafrikanische Geparden (Acinonyx jubatus jubatus) – brachte das Leben der indigenen Stämme, die im Park und seiner Umgebung leben, gehörig durcheinander. So büßten sie beispielsweise ihre angestammten Rechte für die Nutzung des Waldes ein und die Weiderechte für ihre Rinder.
Auf der anderen Seite lässt das aufwendige Geparden-Wiederansiedlungsprojekt die Herzen von Tierliebhabern und hochrangigen Regierungsbeamten höherschlagen. Am 17. September 2022, seinem Geburtstag, veranstaltete Indiens Premierminister Narendra Modi ein riesiges Fest, um die tierischen Neuankömmlinge in ihren Quarantänegehegen zu begrüßen. Damit begann, nun auch höchstoffiziell, eine ganz besondere Herausforderung: eine Raubkatze Jahrzehnte nach ihrem Aussterben wieder heimisch werden zu lassen.
Südafrikanische Geparden
„Es ist der weltweit erste Versuch, ein Raubtier über die Grenzen von Kontinenten hinweg anzusiedeln“, erklärt Yadvendradev Jhala, der den Plan für die Wiederansiedlung des Geparden in Indien federführend entwickelte und bis April 2023 Vorsitzender des Wildlife Institute of India war. Ein Unterfangen, dessen Erfolg sich erst langfristig richtig einschätzen lassen wird. Das gibt M.K. Ranjitsinh, der bedeutendste Naturschützer des Landes und Initiator der Wiederansiedlung, zu bedenken: „Die eigentliche Arbeit, eine höchst komplexe Herausforderung, besteht darin, dass der Gepard sich an das hiesige Waldgebiet anpasst.“
Ende des 19. Jahrhunderts lebten in Afrika, West- und Südasien insgesamt mehr als 100.000 Geparden. Heute sind es weniger als 8.000 in Afrika – und nur noch ein paar vereinzelte in Asien. In Indien verschwanden sie vor gut sieben Jahrzehnten. Der gemeinnützigen Wildtierforschungsorganisation Bombay Natural History Society (BNHS) zufolge waren sie hier 1952 ausgestorben.
Die in Indien verbreitete Unterart war der Asiatische Gepard, dessen Vertreter heutzutage nur noch im Iran und, sehr selten, in den angrenzenden Regionen Pakistans und Afghanistans anzutreffen sind. Es wäre eigentlich naheliegend gewesen, die Wiederansiedlung in Indien mit Hilfe von Tieren aus dieser asiatischen Population vorzunehmen. Doch der Iran verweigerte sich dem – wegen der rasch sinkenden Zahl eigener Geparden. Einer Studie zufolge gab es 2017 nur noch 26 Tiere. 2022 waren es nur noch 15 Exemplare, so Yadvendradev Jhala.
Die afrikanischen Geparden, die man im September 2020 schließlich aus Namibia einfliegen ließ, wurden nach ihrer Ankunft zunächst in 30 mal 50 Meter großen Gehegen gehalten und mit Peilsendern versehen. Im November 2020 wurden die Raubkatzen in 60 bis 80 Hektar große Anlagen verlegt – ein Auslauf, der ihrer Eigenschaft als schnellstes Landtier der Welt mehr entgegenkommt. Im vergangenen Februar trafen noch einmal zwölf Geparden in Indien ein, diesmal aus Südafrika; für die kommenden Jahre sind weitere Umsiedlungsflüge zwischen den beiden Ländern vereinbart.
Im März schließlich ging es Schlag auf Schlag: Zunächst wurden die ersten der namibischen Geparden in die Freiheit des Kuno-Nationalparks entlassen. Später starb eines der Tiere an Nierenversagen. Und Ende des Monats machte die Neuigkeit von vierfachem Nachwuchs bei einer Gepardin die Runde. Damit erblickten gewissermaßen, mehr als 70 Jahre nach ihrem Aussterben, die ersten indischen Geparden das Licht der Welt. Drei der Jungtiere starben jedoch Ende Mai, als Indien von einer extremen Hitzewelle heimgesucht wurde. Auch unter den erwachsenen Tieren war es zu diesem Zeitpunkt bereits zu zwei weiteren Todesfällen gekommen (die nicht in Zusammenhang mit der Hitze standen).
Bei all der Aufregung über die Rückkehr des Geparden geht ein wenig unter, dass die indische Regierung damit einem anderen großen Raubtier des Landes einen Bärendienst erwiesen hat: dem Asiatischen Löwen (Panthera leo persica). Von dieser Unterart existieren in freier Wildbahn nur noch ein paar Hundert Exemplare – sie alle leben im Gir-Nationalpark im Bundesstaat Gujarat.
Eigentlich sollten Löwen in den Park
Eigentlich war geplant, eine weitere Population der Löwen im Kuno-Nationalpark zu etablieren, um auf diese Weise ihr langfristiges Überleben zu sichern. Tatsächlich war dies sogar der ursprüngliche Anlass für die Gründung des Nationalparks gewesen. Doch statt Löwen streifen hier nun Geparden umher – ein herber Dämpfer für die Löwen-Umsiedlungspläne. Und eine Gefahr für den Fortbestand der Unterart.
Da die letzte verbliebene Löwenpopulation auf eine einzige Region begrenzt ist, läuft sie Gefahr, einem ähnlichen Unglück zum Opfer zu fallen wie die Löwen des Serengeti-Reservats in Tansania 1994. Damals raffte das Canine Staupevirus rund 1.000 Tiere, ein Drittel des dortigen Bestandes, dahin. Dieses Massensterben war die Initialzündung für die Pläne der indischen Regierung gewesen, dem gefährdeten Asiatischen Löwen mit dem Kuno-Nationalpark eine zweite Heimat zu schenken.
Dass daraus nichts wurde, lag an Narendra Modi. Der heutige Premierminister Indiens war Regierungschef des Bundesstaats Gujarat, als die Löwen-Umsiedlungspläne 2004 konkret wurden, und er nutzte die Angelegenheit zur politischen Profilierung: Die Großkatzen aus dem Gir-Nationalpark zu Gujarat seien das Erbe dieses, seines Bundesstaates – und sollten nirgendwohin reisen!
Die Angelegenheit ging bis vors Oberste Gericht. Dort wurde 2013 entschieden: Zum Schutz der gefährdeten Löwen soll ein Teil der Population aus Gujarat nach Zentralindien, in den Kuno-Nationalpark, verlegt werden. Obendrein untersagte das Gericht, Geparden aus Afrika in diesem Nationalpark anzusiedeln.
Doch dann verschwanden die Umzugspläne für die Löwen in einem bürokratischen Labyrinth – aus dem sie in den folgenden neun Jahren nie wieder auftauchen sollten. In der Zwischenzeit brachen unter den verbliebenen Asiatischen Löwen immer wieder Krankheiten aus, denen insgesamt mehrere hundert Tiere zum Opfer fielen. „Die wiederkehrenden Negativschlagzeilen ließen bei der Regierung den Wunsch aufkommen, von den Löwen abzulenken“, sagt ein leitender Forstbeamter, der Einblicke in das Projekt hatte. „Und so erschien das Gespenst der Gepardeneinführung aufs Neue.“
Im Jahr 2020 gab die Nationale Tigerschutzbehörde gegenüber dem Obersten Gericht eine überraschende Erklärung ab, wonach die Ansiedlung von afrikanischen Geparden im Kuno-Nationalpark keinerlei negative Folgen für eine Löwen-Umsiedlung in den Park hätte. Auf Basis dieser Erklärung schließlich erlaubte das Gericht, Geparden anzusiedeln – versuchsweise und mit strengen Monitoring-Auflagen.
Keine optimalen Bedingungen
„Wir haben bei unseren Bemühungen für den Artenschutz die Orientierung verloren“, sagt der Wildbiologe Ravi Chellam, der die Stiftung Metastring leitet und Koordinator des indischen Artenvielfalt-Netzwerks Biodiversity Collaborative ist. Er hatte das Oberste Gericht im Vorfeld der Entscheidung von 2013, wonach die Löwen aus Gujarat im Kuno-Nationalpark eine zweite Heimat finden sollten, als Experte beraten.
Es gibt unter Experten zudem Zweifel daran, ob der Kuno-Nationalpark als Lebensraum für Geparden überhaupt eine besonders sinnvolle Wahl ist. „Die Habitate von Geparden und Asiatischen Löwen unterscheiden sich“, erklärt Faiyaz Ahmad Khudsar, ein Wildbiologe, der acht Jahren lang im Kuno-Nationalpark tätig war. Er führte dort ökologische Untersuchungen durch und beriet die Behörden beim Suchen eines geeigneten Löwenhabitats. „Der Nationalpark besteht zu großen Teilen aus Wald und Buschwerk“, so Khudsar. „Geparden benötigen eine offenere Landschaft, eine Grassavanne. Und sie bevorzugen weitläufige Streifzüge, wobei sie verschiedenen anderen Raubtieren der Region in die Quere kommen.“
Auch was die Beute angeht, bietet der Nationalpark den Neuankömmlingen aus Afrika keine optimalen Bedingungen. „Zum Beuteschema von Geparden zählen Gazellen und Antilopen, während hier vor allem Hirsche anzutreffen sind“, sagt Wildbiologe Chellam. Die Populationen jener Tiere hingegen, die dem Beuteschema des Geparden entsprechen – Indische Gazelle und Hirschziegenantilope –, sind stark im Schwinden begriffen.
Nach der Ankunft der Geparden stellt sich die Frage, wie viele von ihnen im Kuno-Nationalpark Platz haben, drängender denn je. Von offizieller Seite gibt es dazu keine konkreten Zahlen. M. K. Ranjitsinh, der Initiator der Wiederansiedlung, schätzt: Nicht mehr als zehn bis elf Geparden. Und er fügt hinzu: „Wenn der Beutetierbestand nicht erhöht wird, ist die Überlebenschance der Geparden überschaubar.“