Wo andere Menschen flüchten, geht Ulla Lohmann bis auf weniger Meter ran. Die Expeditionsfotografin und -filmerin hat sich auf Vulkane spezialisiert. Im Interview erzählt sie von einzigartigen Erlebnissen, Vulkanflüsterern – und einem Heiratsantrag im Vulkan.
Frau Lohmann, was fasziniert Sie so an Vulkanen?
Es ist der Blick ins Erdinnere, der mich fasziniert, ins offene Herz der Erde. Wenn ein Lavasee unter mir brodelt und blubbert, spüre ich richtig diese Urgewalt und fühle mich ganz klein der großen Natur gegenüber. So ein Vulkan macht mir bewusst, dass ich noch nicht einmal ein Staubkorn im großen Ganzen bin, aber dass ich trotzdem da sein und diesen Moment erleben darf. Da breitet sich Dankbarkeit in mir aus.
Sie fotografieren oft aus nächster Nähe und haben auch schon 200 Meter tief im Vulkan Benbow auf der Insel Ambrym im Staat Vanuatu im Südpazifik Ihr Zelt aufgeschlagen. Ist das nicht sehr gefährlich?
Nein, es ist nicht gefährlich. Ich finde es viel gefährlicher, nachts in der Stadt die U- oder S-Bahn zu nehmen, das mache ich auch nicht alleine. Solche Reisen plane ich mit langer, langer Vorbereitung. Ich habe das ja auch studiert, kenne mich mit den Vulkanen aus. Bevor ich so etwas mache, beobachte ich den Vulkan über mehrere Wochen oder teilweise auch über Monate oder sogar Jahre.
Von wo aus haben Sie am Vulkan Benbow fotografiert?
Im Benbow habe ich mich in den Vulkan hinabgeseilt. Wir waren bis 600 Meter direkt an der Lava dran. Da entscheiden wenige Zentimeter über Leben und Tod, das heißt, wenn man zu nah an die Kante geht, muss man wirklich extrem aufpassen. Ein paar Meter hinter dieser Kante ist man vor der Strahlungshitze des Vulkans geschützt. Ein Vulkan ist eigentlich nichts anderes als ein ganz großes Lagerfeuer. Die Wärme geht nach oben ab, an den Seiten bleibt dann Platz für kalte Luft, da ist es nicht so extrem heiß, das hält man schon aus. Übernachtet haben wir im Benbow auch, damit wir mehr Zeit im Vulkaninneren hatten.
Was ist das für ein Gefühl, im Inneren eines Vulkans zu Abend zu essen?
Normalerweise hat man eine Gasmaske auf und nimmt die zum Abendessen kurz ab. Wenn die Gase sehr dicht sind, muss ich ein bisschen husten, das heißt, es ist nicht so angenehm. Das Essen schmeckt auch nicht wirklich, weil die Gase im Vulkan auch in der Nase stechen, man riecht und schmeckt weniger. Wir essen im Vulkan sowieso nur diese Tütensuppen, bei denen man heißes Wasser hinzugießen muss und die schmecken immer gleich. So ein Abendessen im Vulkan ist jetzt keine besondere Gourmet-Erfahrung, aber es macht trotzdem satt.
Benötigen Sie für die Vulkanfotografie auch Schutzanzüge und besonderes zusätzliches Equipment?
Ganz nah an der Kante hatte ich natürlich teilweise auch einen Hitzeschutzanzug an, auch über dem Kopf, und Hitzeschutzhandschuhe. Die Kamera benötigt keine spezielle Schutzausrüstung. Es kommt natürlich darauf an, um welchen Ausbruch es sich handelt. Generell halten Kameras die Hitze besser aus, als man glaubt. Ich habe mir allerdings schon ganz oft meine Schuhsohlen an der Lava verbrannt. An manchen Vulkanen ist es kalt, zum Beispiel in Island oder auch am Ätna. Dann wärme ich mich sehr gern an der Lava. Schutzanzüge braucht man, wenn man ganz nah zu der Lava hingeht und die Strahlungshitze abbekommt. Die Schutzanzüge schützen nicht vor Lavabomben, also Steinen, die mit der Lava herausgeschleudert werden, sondern nur gegen die Strahlungshitze.
Woher wissen Sie, welche Vulkane wann ausbrechen?
Mittlerweile natürlich über das Internet. Es gibt verschiedene wissenschaftliche Seiten, auf denen man die thermale Aktivität der Vulkane beobachten und mit Satellitenmessungen überwachen kann, bei welchem Vulkan sich gerade etwas tut.
Sie haben auch Menschen begleitet, die nah an den Vulkanen leben. Welchen Gefahren sind diese ausgesetzt und wie arrangieren sie sich damit?
Am Kawah Ijen in Indonesien, im Osten der Insel Java, leben die Menschen beispielsweise vom Vulkan. Sie bauen im Inneren des Vulkans Schwefel ab. Das ist wahrscheinlich einer der härtesten Jobs auf der ganzen Welt. Die Menschen müssen den Schwefel mit bloßen Händen abbauen – das ist unglaublich schlecht für die Atemwege und für die Haut. Und sie müssen den Schwefel aus dem Krater nach oben transportieren. Solche Körbe mit Schwefel sind oft über 100 Kilo schwer, sie ruinieren für ihre Arbeit ihre Gesundheit. Ungefähr zehn Jahre weniger leben diese Menschen, das ist natürlich schon enorm. Allerdings sind sie sehr stolz darauf, Schwefelträger zu sein und so ihre Familien zu ernähren. Die Schwefelträger arbeiten drei Wochen im Monat, danach haben sie eine Woche frei und können zu ihrer Familie zurückkehren. Die Menschen dort sind sehr dankbar, dass ihnen der Vulkan Arbeit gibt. Dass er ihnen zehn Jahre Lebenszeit raubt und jederzeit ausbrechen kann, nimmt man in Kauf.
In Vanuatu glauben die Menschen, dass im Vulkan Götter leben, die sie in Ritualen anbeten. Es gibt auch Vulkanflüsterer, die Ausbrüche vorhersagen können. Die Menschen beobachten den Vulkan sehr genau und deshalb passiert bei größeren Ausbrüchen nichts.
In Papua-Neuguinea ist es ähnlich. Da gibt es ein Huhn, das seine Eier bis zu zwei Meter tief in die heiße Vulkanasche legt. Der Vulkan brütet durch seine Hitze die Eier aus. Die Einheimischen können voraussagen – je nachdem, wie groß die Legetiefe ist –, wie heiß es unten ist. Das Huhn benötigt nämlich eine bestimmte gleichbleibende Temperatur. Wenn die Eier direkt auf der Oberfläche abgelegt werden, wissen die Einheimischen, dass sich unten etwas tut und bringen sich dann in Sicherheit.
Wie sieht Ihr Tagesablauf aus, wenn Sie auf Reisen sind?
Der Tagesablauf orientiert sich ganz stark am Vulkan. Je nachdem wie aktiv der ist, desto mehrl oder weniger Schlaf bekomme ich. Teilweise bin ich dann auch schon mal zwei Tage ohne Schlaf unterwegs. Essen und Trinken werden überbewertet. Wenn ich richtig beim Vulkan bin, auf Expedition, zählt für mich nur der Vulkan und sonst nichts. Das ist dann einfach so. Ich habe mittlerweile auch einen Sohn. Manuk wurde nach einem aktiven indonesischen Vulkan benannt und ist gerade fünf Jahre geworden. Mein Sohn war als kleines Kind schon bei Vulkanausbrüchen in der Trage dabei, der kennt das gar nicht anders. Als wir mal wieder in Deutschland waren, hat er mich bei einem Gewitterausbruch gefragt: „Oh Mama, gibt es auch in Deutschland Vulkane?“
Es gibt keinen strukturierten Tagesablauf unterwegs. Ich versuche nur immer, Handyempfang zu haben, damit ich meine E-Mails beantworten kann. Das ist mittlerweile ziemlich wichtig, weil ich zusammengerechnet vielleicht drei Wochen im Jahr im Büro bin. Deswegen muss ich auch vor oder nach Projekten unterwegs erreichbar sein.
Reisen Sie mit einem festen Team?
Das kommt immer auf das Projekt an. Bei den größeren Projekten sind meist mein Mann und mein Sohn dabei. Die kleineren mache ich alleine und mit flexiblen Teams – je nachdem, was dann gefordert wird.
Welche Vulkane finden Sie am beeindruckendsten und warum?
Mein Lieblingsvulkan ist der Benbow auf der Insel Ambrym in Vanuatu. Da habe ich auch meinen Heiratsantrag von Basti im Vulkankrater bekommen und mich als erste Frau und zusammen mit Basti als erste Menschen 600 Meter tief in einen Vulkankrater hinabgeseilt. Im Benbow befindet sich der tiefste Lavasee der Welt. Ich finde aber auch den Stromboli sehr spannend, weil er sozusagen direkt vor unserer Haustür spuckt und regelmäßig aktiv ist, immer beständig. Mittlerweile biete ich dorthin auch Vulkanreisen für Foto- und Vulkanbegeisterte an und hier kann ich hundertprozentige Lava-Garantie geben, das heißt, wenn die Leute keinen ausbrechenden Vulkan mit rotglühender Lava sehen, dann bekommen sie ihr Geld zurück. Natürlich ist auch der Kawah Ijen (Indonesien) ganz besonders mit seinen Schwefeldämpfen, die blau verbrennen – das sieht visuell total schön aus. Ich finde es auch unglaublich spannend, direkt auf einem Vulkan Eis zu haben. Der Mount St. Helens (Washington, USA) hat ja einen Gipfelgletscher, wo wir die Gletscherhöhlen unter dem Gletscher und über dem Vulkan erforscht haben, die vom Vulkan gebildet wurden.
Haben Sie Lieblingsfotos von sich?
Ja. Das ist eins, wo ich ganz nah am Lavasee des Benbow stehe und sehr klein vor der großen brodelnden Natur aussehe. Genauso habe ich mich da auch gefühlt. Das ist für mich das Foto, das am besten dieses Gefühl wiedergibt, an einem Vulkan zu stehen.
Was waren für Sie die absoluten Highlights in Ihrer Laufbahn als Expeditionsfotografin und -filmerin?
Eins der Highlights war natürlich, dass ich mich als erste Frau im Vulkan abgeseilt habe und zusammen mit Basti als erste Menschen. Besondere Momente gibt es ganz ganz viele. Mir haben Vulkane auch ganz viele tolle Freundschaften mit Menschen geschenkt, die sich mit aktiven Vulkanen befassen – sei es am Stromboli, sei es am Ätna, sei es am anderen Ende der Welt in Vanuatu, wo viele Kinder nach mir benannt sind und wo mein Sohn auch in den Stamm eingeführt wurde. Hier empfindet man die Natur, das Leben, einfach alles ein bisschen intensiver, weil man merkt, wie wertvoll das Ganze doch ist. Für mich sind Vulkane nicht nur Leidenschaft, sondern auch Lebensinhalt.
Welche interessanten Gebiete auf der Erde möchten Sie unbedingt noch sehen?
Ich möchte unbedingt noch in die Antarktis. Dort gibt es auch einen aktiven Vulkan, den ich ganz spannend finde.
Wohin werden Sie Ihre nächsten Expeditionen führen?
Die nächsten Expeditionen führen mich nach Papua-Neuguinea und nach Vanuato für fast zwei Monate. Es geht natürlich wieder zum Yasur auf Tanna und in Papua-Neuguinea ganz tief in den Dschungel hinein – auch um zu schauen, wie die Menschen dort mit der Natur und den Naturgewalten leben.