Es sind die größten Protestzüge seit den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung, die das Land zu Beginn des Jahres erlebt. Trittbrettfahrer versuchen, die Demos zu instrumentalisieren. Trotz gereizter Stimmung wird das Gespräch gesucht.
Bereits um vier Uhr früh rollten die Kolonnen der landwirtschaftlichen Nutzfahrzeuge, wie Trecker laut StVO offiziell heißen, in Richtung Berliner Regierungsviertel. Mit dabei viele LKWs und Kleintransporter des klassischen Handwerks. Mitten im Schichtwechsel der Polizei, die in diesen Tagen versucht, den innerstätischen Verkehr in der Bundeshauptstadt halbwegs aufrecht zu erhalten. Direkt vor dem Brandenburger Tor ist die rechte Fahrspur bereits seit einer Woche von Bauern besetzt. Eine Woche Mahnwache mit vorangegangener erster Großdemonstration. Seitdem lodern die riesigen Wärmeöfen mitten im Berliner Regierungsviertel auf den Straßen, werden Kaffee und belegte Brötchen verteilt. Als am Sonntag-Mittag die ersten Trecker eintreffen, gibt es ein großes Hallo unter den Landwirten. Dabei ist den Bauern politisch etwas Erstaunliches gelungen. Sie sind sich über die unterschiedlichen Ausrichtungen ihres Berufs einig gegen die Sparmaßnahmen der Bundesregierung. In den vergangenen Jahren standen sich konventionelle und Öko-Bauern, Imker oder Jäger immer gegensätzlich gegenüber. Die Großbauern, die für die Lebensmittelketten in Masse produzieren, wollten mit den kleineren, die für alternative Ernährung und lokale Versorgung stehen, zumindest auf der Straße nichts zu tun haben. Doch diese Gegensätze haben sich in diesen Januartagen komplett aufgelöst. Da stehen plötzlich auch die Imker und der Jagdverband bei den Bauern-Demonstrationen Schulter an Schulter, ein Novum.
Es geht um mehr als um Agrardiesel
Es geht um den Agrardiesel, die Befreiung von der Kfz-Steuer und sonstige Subventionen in der Landwirtschaft in allen Bereichen, die die Bundesregierung eigentlich streichen wollte. Erster Erfolg der nun „vereinigten Landwirte: Die Ampelregierung nahm einen guten Teil der Maßnahmen wieder zurück. Doch das reicht den Bauern nicht, sie wollen Garantien, dass sie ihre Betriebe unter den jetzt geltenden Bedingungen auch noch in zehn Jahren fortführen können. Auch das Einlenken der Bundesregierung, die Subventionierung des Agrar-Diesels nun in mehreren Schritten zurückzufahren, hat die Gemüter nicht beruhigt.
Bauernverbandspräsident Joachim Ruckwied (CDU) nennt gegenüber FORUM diese Ankündigung „ein Sterben auf Raten der landwirtschaftlichen Betriebe“. Gerade beim Agrardiesel geht es keineswegs um die konventionellen Landwirte, die mit großen Maschinen ihre riesigen Äcker bearbeiten, sondern gerade auch um die Ökobauern. Sie müssen mit ihren Fahrzeugen erheblich mehr auf den Feldern unterwegs sein und verbrauchen demnach auch im Verhältnis zur Fläche mehr Sprit, da sie keine Pflanzenschutzmittel sprühen und damit viel öfter umgraben müssen, als ihre Kollegen aus der konventionellen Landwirtschaft.
Eine Benachteiligung der Ökobauern, die auch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) einräumen musste. Laut eigener Aussage wurde er von den ursprünglich geplanten Streichungen der Agrar-Subventionen überrascht, hatte aber zunächst offenbar die Dimensionen nicht überblickt. Anfangs verteidigte er die angedachten Maßnahmen noch, nun steht er plötzlich hinter den Bauern und nennt die ursprüngliche Pläne unverhältnismäßig. Dabei ärgert Özdemir vor allem, dass mit den Agrar-Verbänden und eben auch mit ihm als Landwirtschaftsminister überhaupt nicht gesprochen worden sei.
Mitte Januar, bei der zweiten Großdemonstration der Landwirte vor dem Brandenburger Tor, versucht Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), den Demonstrierenden seine finanziellen Leitlinien für die kommenden Bundeshaushalte zu erläutern. Er geht gnadenlos in einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert von gut 20.000 Demonstranten unter.
Was viele der Demonstranten aus der Landwirtschaft, dem Transportgewerbe und Handwerk am meisten ärgert, ist, dass ihr Megaprotest im Vorfeld von verschiedenen politischen Gruppierungen immer wieder unterschwellig in die Nähe von Rechtsextremisten gerückt wurde. In einem Interview mit dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk platzte Bauernpräsiden Joachim Ruckwied schließlich der Kragen. „Wir Bauern haben uns immer wieder von der AfD distanziert. Aber ich kann dieser Partei schlicht nicht verbieten, sich mit unseren Anliegen solidarisch zu erklären. Auch wenn wir diese Solidarität nicht haben wollen“.
Die große Abschlusskundgebung der Aktionswoche war praktisch auch die Übergabe des Protestes-Staffelstabs von den Bauern an die Logistikbranche. Wobei die unübersehbar bereits in den Tagen zuvor mit dabei waren. Auch die Transportunternehmen stehen unter erheblichem finanziellen Druck und hatten folglich mit dem Protest der Bauern ihre Solidarität bekundet.
Erst die Bauern, dann die Trucker
Die Transportbranche musste am 1. Dezember letzten Jahres eine Erhöhung der Lkw-Maut um 87 Prozent hinnehmen, obendrein wurde die CO2-Abgabe von 30 auf 45 Euro pro Tonne zum ersten Januar erhöht. Wie bei den Landwirten gibt es auch in der Transportbranche erhebliche Unterschiede. Auch hier gibt es mehrere Interessenverbände, die sich allerdings untereinander völlig uneins sind.
Da ist zum Beispiel der Bundesverband Logistik, Güterverkehr und Entsorgung (BGL) unter dem Vorsitzenden Dirk Engelhard, der bei den Protesten sofort mitgemacht hat. Als zweitgrößten Verband gibt es den Bundesverband Logistik und Verkehr-Pro (BLV-Pro), die ausscherten und selbst eine Demon-stration veranstalteten. Ihr Vorsitzender, Konstantin Popov, war wenig begeistert davon, konnte aber gegen den Vorstandsbeschluss seines Verbandes nichts machen. So rollten zwei Lkw-Demos durch Berlin, beide allerdings mit dem gleichen Anliegen.
Landwirtschaft und Logistikbranche sind seit Anfang des Jahres im Ausnahmezustand, dazu dann noch die Lokführer mit ihrem Streik – die Mobilität war zumindest in Teilen der Republik massiv behindert. Abgesehen vom Ärgernis für die Fahrgäste der Deutschen Bahn hat dies natürlich Auswirkungen auf die industrielle Produktion. Benötigte Rohstoffe kommen in den Fabriken nicht mehr rechtzeitig an. Und die Protestwochen sind noch keineswegs beendet.
Die Transportbranche und die Bauern wollen noch bis Anfang Februar weiter Stellung beziehen, dazu kommen nun noch die Umweltverbände. Die größte Agrarmesse der Welt, die Grüne Woche, hat unter dem Berliner Funkturm ihre Pforten eröffnet, und das ruft dann wiederum weitere Proteste auf den Plan. Abgesehen von Straßenblockaden durch die Klima-Kleber geht es den Demonstrierenden um bezahlbare, gesunde Ernährung und ökologischen Landbau und da schließt sich dann der Protestkreis. Da passt denn auch dazu, dass der Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ zeitgleich seine Empfehlungen veröffentlicht hat, allen voran dabei die Forderung nach kostenlosem und vor allem gesunden Essen an Schulen.
Bezahlbare, ökologische Agrarprodukte aus regionalem Anbau setzen voraus, dass die Bauern auch zu vernünftigen Preisen produzieren können. Doch das funktioniert laut Landwirten ganz offenbar nur, wenn sie weiterhin die bisherigen Agrar-Subventionen erhalten.