Im neuen „Mored“ wartet Yotam Alon mit einfallsreichen Speisen aus der Küche des östlichen Mittelmeeres auf. Für kulinarische Überraschungen sorgen auch die Drinks in der Wilmersdorfer Villa.
Kaum, dass das neue Jahr angebrochen ist, erreicht uns eine Einladung in eine Wilmersdorfer Villa. Ich bin sehr selten in dieser Gegend und verbinde mit dem Stadtteil eher alternde Witwen, die mit ihrem Vierbeiner Gassi gehen, als ein neues Restaurant mit levantinischen Finessen. An diesem dunklen, kalten Januar-Abend in der mir fremden Gegend laufe ich erst einmal schnurstracks an der Nummer 11 vorbei. Nichts in der Münsterschen Straße deutet auf die neue Location hin. Nur ein kleiner Hinweispfeil ist außen angebracht, der versucht, die Gäste direkt um die Ecke der Gründerzeitvilla zu navigieren.
Vom Freudenhaus zum Genuss-Tempel
Nach dem Vorbeilaufen mache ich kehrt. Ich passiere das Eingangstor, gehe im Garten um das Gebäude herum, bis ich Licht und eine Treppe finde, die mich ins „Mored“ führt. Fast komme ich mir vor wie in einem Agentenfilm. Im Restaurant angekommen, nimmt man mir den Mantel ab und begrüßt mich mit einem warmen, würzigen, glühweinähnlichen Getränk. Ich gehe am ersten Raum vorbei und entdecke im hinteren meine Begleiterin, die sich bereits an einem der großen, runden Tische niedergelassen hat. Auf der Tischmitte thront stolz ein silberner, mehrarmiger Kerzenleuchter, während die hohen Fenster von schweren, dunkelblauen Samtvorhängen verhangen sind. Neben uns befindet sich die Attrappe eines flackernden Kamins. Ich revidiere meinen ersten Eindruck um ein paar Nuancen: Gedanklich bin eher in einem Film von Fellini oder Ferreri als in einem Agentenstreifen gelandet.
Die Location befindet sich in der ehemaligen „Villa Rascona“. Sie war über viele Jahre ein stadtbekanntes Edel-Bordell, das über einen Whirlpool und eine Champagner-Bar verfügt haben soll – genau in dem Raum, durch den ich eben gelaufen bin, um ins Kaminzimmer zu gelangen. Hin und wieder tauchte das Etablissement in den Medien auf. Zuletzt vor fast zehn Jahren, als dort einige Politiker abgestiegen sein sollen. Laut einer bekannten deutschen Boulevard-Zeitung sollen sie dort „auf der Suche nach Zerstreuung von den Anstrengungen der Hauptstadt“ gewesen sein – und dafür Gelder ihrer Fraktion in vierstelliger Höhe verjubelt haben.
Nach seiner Metamorphose wirkt die Location in der Münstersche Straße 11 immer noch edel, dennoch erinnert wenig an das ehemalige Etablissement. Hinter dem Tresen der ehemaligen Champagner-Bar werden jetzt Weine und Cocktails aus der Levante-Region in die Gläser gegossen. Dabei wird auch religiösen Traditionen aus Israel gehuldigt – und zwar auf spielerisch-fantasievolle Weise: So kredenzt man uns einen Cocktail mit Kiddusch-Wein. „Das ist der Wein, den wir am an Freitagen oder am Sabbat trinken“, erklärt uns der Chef des Hauses, Yotam Alon.
Vor uns steht ein hellrotes Getränk mit einer cremeweißen
Schaumkrone on top. Was da drin sei, möchte ich von der Kellnerin wissen. „Wir haben hier japanischen Whiskey, gemischt mit einem Twist aus Jerusalem Sour und Glühwein“, erläutert sie. Dabei gibt sie ein paar Spritzer des süß-fruchtigen Kiddusch-Weines aus einem voluminösen Parfümzerstäuber in das Glas. „Das ist nur für den Duft“, sagt sie und pumpt noch einen letzten Spritzer über die Kreation, der dann wie ein Hauch von nichts in der Schaumkrone versinkt. Das ist nicht nur spektakulär anzusehen, sondern auch geschmacklich überzeugend durch seine Nuancen aus fruchtig, würzig und leicht säuerlich. In Israel selbst gibt es die Tradition, dass der Kiddusch-Wein mit rituellen Segenssprüchen und Zitaten aus dem Buch Genesis begleitet wird. Dazu wird üblicherweise Challa, eine Art Brioche, gereicht.
Das gibt es bei Yotam Alon natürlich auch vorab als Starter. Das warm servierte Brot mit Meersalzkruste passt wunderbar zu dem in Essig eingelegten Gemüse, dem cremigen Labneh und dem aromatisch intensiven Matbucha. Letzteres ist eine Tomaten-Paprika-Paste mit Minze, die ursprünglich aus dem Maghreb stammt. Sowohl meine Begleiterin als auch der anwesende Fotograf und ich sind gleichermaßen hingerissen von der kulinarischen Ouvertüre.
„Gäste dürfen auf den Tischen tanzen“
Die fulminante Kreation stammt von unserem Gastgeber Yotam Alon selbst. Der seit Kurzem erst in Berlin lebende Gastronomie-Unternehmer ist nicht nur Gründer, sondern auch Küchenchef des „Mored“. Nachdem der umtriebige Entrepreneur in verschiedenen Restaurants gearbeitet hatte, wurde er bereits im Alter von 20 Jahren Partner in seinem ersten Restaurant. Nach seinem Militärdienst übernahm er die Rolle des Küchenchefs und verfeinerte seine kulinarischen Fähigkeiten durch Praktika in mehreren Ländern und durch Schulungen in Restaurants in ganz Europa. Er wurde Chefkoch der „Bellboy“-Bar in Tel Aviv. Danach wechselte er in leitende Positionen, unter anderem als Betriebsleiter des „Hotel B Berdichevsky“. In Berlin schließlich eröffnete er als Geschäftsführer die erste internationale Dependance des „Bellboy“.
Mit dem neuen „Mored“ will er einen Raum schaffen, in dem vieles möglich ist. „Wenn die Gäste auf den Tischen tanzen wollen, dürfen sie das auch“, sagt Yotam Alon. Und während er das sagt, hören wir, wie am Nachbartisch laut, lange und ausgelassen gelacht wird. Klar wird: Die Stimmung ist gut, und das ist ganz nach Yotam Alons Gusto. „Mored“, was wie Mo-red ausgesprochen wird, bedeutet auf Hebräisch Rebell, erklärt uns der Gastronom und ergänzt, dass er sich selbst auch immer als eine Art Rebell und Nonkonformist gesehen habe.
Während wir uns weiter mit unserem zugewandten Gastgeber unterhalten, kosten wir die nächsten Kreationen des einfallsreichen Bartenders Dor Gali. Zum Beispiel Labneh Punch: Der Drink entpuppt sich als ist eine gelungene Mischung aus Anisschnaps, Gin und einem Gurken-Fenchel-Sirup, abgerundet durch salziges Labneh. Der Drink ist so köstlich, dass ich aufpassen muss, nicht zu viel und zu schnell davon zu trinken. Auch die anderen liquiden Köstlichkeiten überzeugen. So etwa auch der Shakshuka-Martini mit Tomaten, Wodka, Rhabarber und Miso-Vermouth.
Hauptgerichte als Entspannungspause
Weitere Geschmacksexplosionen erwarten uns dann bei den Vorspeisen. Für Begeisterung etwa sorgt die Kreation mit Blauflossen-Thunfisch, die allein schon als Farbspektakel aus Grün und Rot viel dahermacht. Hier die roten Farbkleckse des Fisches, da die lindgrüne Gazpacho aus Koriander und Minze. On top geräuchertes Olivenöl, fermentierter Chili und gebratener Bulgur. Pikantes und Scharfes trifft auf leicht Säuerliches. Wir sind begeistert. Weiter geht es mit Kul Arabi, einer ausgefeilten Mischung aus Kohlrabi mit Tomaten, Labneh-Käse und karamellisierten Pistazien. Auch hier scheinen alle Aromen des Orients sich in einem Gericht verewigt zu haben. Köstlich ist auch Yotam Alons Interpretation des Fricasse. „Normalerweise ist das ein Sandwich, das mit Zutaten aus der Restküche belegt wird“, erklärt der Küchenchef. „Es kommt aus Tunesien oder aus Marokko – je nachdem, wen man fragt“, sagt er und schmunzelt. Yotam Alon hat das Brot durch Kartoffeln ersetzt. Gefüllt ist das „Sandwich“ mit Thunfisch, Tomaten-Konfit, Harissa, fermentierten Zwiebeln und in Salzlake eingelegten Zitronen. Auch diese für den europäischen Geschmack eher ungewohnte Mischung ist hochköstlich.
Eher bodenständig und fast schon vertraut geben sich die Hauptgerichte wie etwa das Ta-Le. Das Lammgericht marokkanischer Ausrichtung ist zart und köstlich, aber nicht so bezirzend wie die fulminanten Entrées. „Bei den Vorspeisen will ich es so richtig krachen lassen“, erläutert der kreative Koch. Dafür solle der Gast bei den Hauptgängen dann wieder etwas entspannen, bevor es beim Nachtisch wieder aufregend wird. Da hat uns Yotam Alon nicht zu viel versprochen. Und so schwelgen wir zum Ausklang noch genüsslich in einer Malabi-Panna-Cotta mit getrockneten Aprikosen und Pistazien und einer Batata brûlée, einer Art Crème brûlée aus Süßkartoffeln und Thymian. Ein gelungener Abschluss – süß, würzig und so verführerisch, dass wir bald wiederkommen möchten.