Internetshopping setzt den stationären Einzelhandel extrem unter Druck. Auch im Saarland verschwinden immer mehr Familienunternehmen aus den Innenstädten. Doch die Flinte ins Korn werfen muss man deswegen nicht, sagt Jürgen Barke, Wirtschaft-Staatssekretär. Man arbeite an Lösungen.
Geschlossene Ladenlokale, verödete Stadtzentren – die Zukunft des saarländischen Einzelhandels sehen die Verbände alles andere als rosig. So auch Fabian Schulz, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Einzelhandel und Dienstleistungen Saar. „Leider müssen wir feststellen, dass in den letzten Jahren mehr und mehr alteingesessene Traditionsfamilienunternehmen aus den Innenstädten verschwunden sind. Dafür gibt es sicherlich die unterschiedlichsten Gründe. Branchenübergreifend stellen wir jedoch einen Kundenfrequenzrückgang in den Innenstädten fest.“
Diese Meinung teilt auch Max Schoenberg, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Einzelhandel und Dienstleistungen. „Allein in der Schuhbranche hat sich sehr vieles zum Negativen entwickelt“, bedauert Schönberg. Im Jahr 2010 kam die Branche noch auf 5.000 Unternehmen, „fünf Jahre später schrumpfte die Anzahl der Unternehmen auf 4.200“, setzt er fort, „deswegen müssen wir jetzt auch die Weichen für die Zukunft stellen. Sonst ist es zu spät.“
Tatsächlich kommen viele solcher „Barrieren“ bei der Podiumsdiskussion über die Zukunft des Einzelhandels, ausgerichtet von Franz Martz & Söhne Private Treuhand, zusammen. So prangern Händler unter anderem die beschlossene Pkw-Maut an und klagen über den damit verbundenen Kundenschwund aus den angrenzenden Regionen. Aber auch die fehlenden Parkplätze in der Innenstadt von Saarbrücken reduzieren die Anzahl der Laufkundschaft. Hinzu kommt die mangelnde Attraktivität der Innenstadt, denn „Saarbücken steht leider für gar nichts“, kommentiert CDU-Politiker Peter Strobel.
Zudem fehlt es den Unternehmern an Nachwuchs. Für Neugründer wird die Selbstständigkeit zu einem zunehmenden Problem. „Ein Jungunternehmer wird nicht verstehen, dass er die komplette Steuerlast zahlen muss und ein Unternehmen wie Amazon, ging ja genug durch die Presse, keine Steuern bezahlt“, betont Fabian Schulz bei der Podiumsdiskussion. „Dass Unternehmen wie Zalando gefördert werden, wenn sie ein neues Lager bauen, aber gleichzeitig zugesehen wird, wie ein alteingesessenes Familienunternehmen, das zu lange gewartet hat, vor die Hunde geht. Und das ist ein Problem, welches auch politisch nicht lösbar ist, denn dazu fehlen die Gesetzesgrundlagen.“
Ein unlösbares Problem? Nicht ganz, meint Staatssekretär Jürgen Barke. Die Regierung habe das Problem bereits erkannt und arbeite an Lösungen.
Herr Barke, was tut die saarländische Regierung, um den lokalen Einzelhandel nicht sterben zu lassen?
Zunächst ist es wichtig, dass wir anerkennen, dass es gesellschaftliche Veränderungsprozesse gibt. Wir haben die Digitalisierung, die Arbeitswelt der Zukunft, und auch die Lebenswelt der Zukunft werden völlig anders aussehen. Wir haben eine demografische Entwicklung mit Druck in die Ballungszentren, mit einer negativen Entwicklung in den ländlichen Räumen. Da wird das Thema Handelsversorgung zur sozialen Frage. Im Grunde genommen ist die Antwort darauf, dass wir gemeinsam mit allen Beteiligten, insbesondere auch mit der jungen Generation, darüber reden, wie wir glauben, dass wir in der Zukunft leben können.
Ich glaube, es gibt wesentliche Faktoren, die mit der Lebensqualität zu tun haben, die etwas mit Attraktivität zu tun haben, die etwas mit persönlichen Dienstleistungen am Menschen zu tun haben: All das, was wichtig ist, wenn in der digitalen Welt die Arbeitsprozesse sich nachhaltig verändern, das Zwischenmenschliche ein Stück weit auf der Strecke bleibt. Wir brauchen aber auch Attraktivität in der Innenstadt mit viel Frequenz in Kultur, in Sport, in Freizeit und wir brauchen einen Handel, der leistungsfähig ist: Einen Einzelhandel, der in der Lage ist, ein kleines Handelsgeschäft in Kombination mit mehreren Kanälen des Vertriebes aufrechtzuerhalten und auch das Geld verdient, um in die Nachhaltigkeit und in die Attraktivität zu investieren, wie sie die Kunden der Zukunft nachfragen werden.
Dazu gehört auch, dass die Infrastruktur im Umfeld stimmt, dazu gehört auch, dass wir junge Menschen ins Saarland ziehen und am Standort halten: durch Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen, die Hochschullandschaft, die Bildungsangebote, und auch die Möglichkeit Familie und Beruf in Zukunft noch besser vereinbaren zu können. Das ist ein gesellschaftlicher Prozess. Den müssen wir gemeinsam organisieren. Wenn heute meine Generation glaubt, die Lösung der Zukunft denken zu müssen, dann machen wir einen Fehler. Wir müssen mit denen die Zukunft gestalten, die in 20 Jahren in den Unternehmen die Entscheidungen treffen. Deshalb müssen wir ein Stück weit weg von der Überheblichkeit unserer Generation und davon weg, zu glauben, wir könnten alles besser als andere.
Gibt es schon konkrete Beispiele?
Was wir machen können, ist zum einen, die Mobilitätsmöglichkeiten zu verbessern, indem wir den Nahverkehr besser ausbauen. Die Regierung hat es erkannt mit dem neuen ÖPNV-Gesetz, mit der verbesserten Tarifstruktur, die wir jetzt auf den Weg bringen. Ein anderer Punkt ist, dass wir versuchen, auch an die Attraktivität der Landeshauptstadt zu denken. Notwendige Investitionen müssen wir als Kongress- und Messestandort, als Landeshauptstadt Saarbrücken, in der Innenstadt konzentrieren, weil über die Frequenz bei Kongressen und Messen auch Einnahmen in den Handel dieser Stadt gelenkt werden. Die zurückgehende Frequenz können wir durch demografische Entwicklung kompensieren. Das sind zwei Facetten, die mir an dieser Stelle wichtig sind zu erwähnen. Aber es gibt noch ganz viele andere Punkte, gerade das Thema Elektromobilität in der Stadt, Lebensqualität in der Stadt, Klimaverbesserungen. Wohnqualität ist auch wichtig, deshalb müssen wir Wohnen und Handel gemeinsam denken. Möglicherweise müssen wir auch darüber nachdenken, wo Handel auf Dauer nicht mehr funktioniert, weil er als stationärer Handel durch den Online-Handel keine Chance hat. Diese Objekte könnte man in Wohnobjekte umwandeln, damit wir keine „toten Straßenzüge“ haben, sondern sie über die Wohnnutzung anders belebt werden. Man müsste auch über neue Wohnformen und Quartiere nachdenken. Das sind klassische Herausforderungen für Stadtentwicklungspolitik und das müssen wir, Stadt und Land, gemeinsam gestalten. Und deshalb machen wir jetzt auch das „Zukunftsforum Handel“. Und da werden wir nicht nur die Fragen des Handels diskutieren, sondern wir werden auch die Fragen der Konsumenten mit diskutieren, weil ohne Konsumenten wird Handel keine Zukunft haben.
Saarbrücken in fünf Jahren: Wie wird sich der Handel verändern?
Das hängt maßgeblich davon ab, zu welchen weiteren Entwicklungen er sich entscheidet. Man darf bei den Leerständen eines nicht außer Acht lassen: Es gibt Eigentumsverhältnisse, es gibt auch Mieten, die es teilweise unmöglich machen, dass Handel in anderer Form dort stattfinden kann. Wir werden, wenn wir ein „Zukunftsforum Handel“ veranstalten, auch mit Eigentümern von Immobilien ins Gespräch kommen müssen, von ihnen auch einen Betrag einfordern und dafür werben, dass es darum geht, langfristig mit möglicherweise geringeren Mietrenditen ein Objekt dauerhaft zu betreiben, als möglicherweise dauerhaft Leerstände zu haben. Von Negativeinkommen werden nur die wenigsten am Ende eine Zukunft gestalten. Aber im Kern glaube ich, dass wir mit viel Überzeugungsarbeit auch dort Fortschritte machen können, dass die Handelslandschaft auch im Hinblick auf die Miete ein Stück weit interessanter werden könnte.