Dass die Union stärkste politische Kraft bleibt, davon ist nach Lage der Dinge auszugehen. Alles andere ist bis zuletzt offen. Das Abschneiden der SPD und der Kampf um Platz drei entscheiden über die künftige Regierung.
Für nicht wenige sind es nervöse Stunden bis zur ersten Hochrechnung. Andere nehmen’s am Tag vor der Wahl relativ gelassen. Was bis dahin an Überzeugungsarbeit in harten Wahlkampfwochen nicht gefruchtet hat, wird vermutlich dann auch nicht mehr verfangen. Wahlforscher sagen, die Entscheidung fällt immer kurzfristiger, nicht selten tatsächlich erst in der Wahlkabine. Und eine beträchtliche Zahl Wahlberechtigter würde bis zur letzten Minute schwanken. Gleichzeitig ist aber für gut ein Drittel alles längst gelaufen. Die Zahl der Briefwähler ist kontinuierlich gewachsen. Was wiederum auf unterschiedliche Bewertungen trifft. Einerseits spricht es dafür, dass Menschen ihr Wahlrecht ernst nehmen und es nicht möglichen Zufällen des Wahlsonntags überlassen wollen, ob sie ihre Stimme abgeben. Andererseits können diese Briefwähler nicht mehr auf die letzten Entwicklungen bis zur Wahl reagieren. Jedenfalls bringt die immer größere Zahl der Briefwähler die Umfrageinstitute etwas in die Bredouille. Die ersten Hochrechnungen, die uns ab 18 Uhr am Wahlabend präsentiert werden, basieren auf Nachwahlbefragung vor den Wahllokalen. Der Wahlabend selbst kann dadurch aber bei knappen Ergebnissen länger spannend bleiben, weil die Briefwahlstimmen als letzte ausgezählt werden.
Zuletzt hat sich das direkte Duell des Herausforderers Martin Schulz (SPD) mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zugespitzt, was vielfach den Eindruck nahegelegt hat, als ginge es darum, den Regierungschef (oder die Chefin) zu wählen, was allerdings nur indirekt der Fall ist. Es ist keineswegs ausgemacht, dass der Spitzenkandidat der stärksten Partei, wenn sie nicht die absolute Mehrheit der Sitze erringt, auch die neue Regierung anführen wird. Es hängt davon ab, welche Koalitionen sich zusammenfinden. Und Koalitionsfragen werden zunehmend schwieriger, je mehr sich die Parteienlandschaft aufsplittet. Geht die Wahl in etwa so aus, wie die letzten Stimmungslagen aus Umfragen nahelegen, werden künftig sechs (beziehungsweise sieben mit der CSU) Parteien den Plenarsaal unter der Reichstagskuppel bevölkern.
Frauen weiter unterrepräsentiert
Durchaus spannend ist dabei der Einfluss von Frauen in der hohen Politik. Eine Frau als Bundeskanzlerin ist seit zwölf Jahren eine Selbstverständlichkeit. Und sollte sie erneut von den Wählern den Auftrag erhalten, wünscht sie sich, dass dem künftigen Bundeskabinett gleichviele Ministerinnen wie Minister angehören. Das Parlament ist von einer paritätischen Verteilung allerdings noch ein Stück entfernt. Immerhin ist der Anteil von Frauen kontinuierlich gestiegen, vom niedrigsten Stand 1972 (5,9 Prozent) auf 36,5 Prozent zu Beginn der letzten Legislaturperiode. Repräsentativ für den Frauenanteil der Wahlberechtigten ist das allerdings nicht. Und der Anteil könnte sogar erstmals seit eineinhalb Jahrzehnten wieder sinken. Findige Statistiker haben auf der Basis von Umfragen und dem Abgleich mit aussichtsreichen Listenplätzen der Parteien ermittelt, dass der Frauenanteil auf unter ein Drittel (32 Prozent) zurückgehen könnte. Auch wenn bekanntlich Umfragen keine Wahlergebnisse sind, ist zumindest nicht zu erwarten, dass der Anteil von Frauen signifikant steigen wird. Was wiederum nicht bedeutet, Frauen hätten keinen prominenten Einfluss, ob in Regierungsverantwortung, Opposition oder der innerparteilichen Meinungsbildung.
Dass die Frauenfrage (neben vielen anderen Proporzfragen) eine prominente Rolle bei der Regierungsbildung spielen wird, davon ist sicher auszugehen. Davor stehen aber erst einmal Koalitionsverhandlungen, bei denen zunächst jeder beteuern wird, es gehe um Inhalte, über Personal werde man erst ganz am Schluss reden.
Wer dabei überhaupt mitreden kann und darf, das entscheiden die Minderheit der wahlberechtigten Männer (29,8 Millionen) und die Mehrheit der wahlberechtigten Frauen (31,7 Millionen).