Clueso wagt den Neuanfang – mit dabei ist sein gleichnamiges, aktuelles Album. Im Interview verrät der Sänger, der zu den besten Deutschlands zählt, unter anderem, warum er eine Veränderung brauchte, wie viel Hip-Hop noch in ihm steckt und warum es mit der Friseur-Lehre nicht klappte.
Clueso, wie kam es zum Neuanfang?
Es gab nicht den einen bestimmten Tag, sondern viele kleine Situationen, in denen ich gemerkt habe, dass es so nicht weitergeht. Viele Leute sind von mir abhängig: ob es nun die Band ist, die mit auf Tour geht, das Label, das neue Platten will, oder Leute, die für mich arbeiten. Das ist ein ganz schöner Druck. Den Druck wollte ich loswerden. So kam es zum Neuanfang. Das war schon krass. Aber mir geht es damit sehr, sehr gut – und ich hoffe, anderen auch.
Wie läuft es mit der neuen Besetzung? Versteht Ihr Euch alle gut?
Ja, absolut. Jeder in der neuen Band hat auch eigene Projekte. René Mühlberger zum Beispiel, der Gitarrist, hat gerade erst eine eigene Nummer veröffentlicht. Wir sind alle in kürzester Zeit zusammengewachsen. Ich habe die Leute sehr, sehr lieb, und wir gehen sehr gerne zusammen auf Tour. Wir haben alle total Bock, sodass wir auch nach einem Konzert schon wieder Lust haben, Musik zu machen und dann Backstage einfach weitermachen.
Nach welchen Kriterien hast Du die neuen Bandmitglieder ausgesucht?
Ich habe erst mal Freunde gefragt, ob sie Leute kennen. Ich wollte bewusst keine Leute aus dem alten Umfeld. Ich dachte, ich fange ganz neu an und lerne neue Leute kennen. Auch Tobias Kuhn, mein Produzent, hat mir ein paar Leute empfohlen. Da kamen einige zusammen. Unter anderem hat er mir eine Band aus Österreich genannt. So habe ich eine super Bassistin gefunden: Marlene
Lacherstorfer. Und ihr Freund ist Gitarrist, den habe ich auch gleich mitgenommen. Ich bin sehr, sehr froh, dass die beiden bei mir spielen.
Es gab auch eine Art Audition. Die Musiker waren alle auf einem hohen Niveau. Aber mir waren so ein Grund-Groove und ein Grund-Spaß wichtig. Es muss ja auch auf Tour funktionieren.
Dein aktuelles Album Neuanfang schoss direkt auf Platz eins der deutschen Charts. Hast Du damit gerechnet?
Nein, überhaupt nicht. Aber es war ein schönes Signal von den Fans.
In Deinem Song „Lass sie reden“ geht es darum, dass es nicht wichtig ist, was andere von Dir denken. Musstest Du Dir eine dickere Haut im Showbiz zulegen?
Ich glaube, auf Kunst kann man nur mit Kritik antworten. Jeder, der irgendwas in der Öffentlichkeit macht, braucht auch ein dickes Fell.
Hast Du viel mit Facebook-Hatern oder Falschmeldungen der Presse zu tun?
Ich muss sagen, die Presse hält sich ganz gut zurück mit Falschmeldungen. Wobei ich immer mal merke, dass ich einen Satz sage, der auf einmal ganz anders formuliert ist. Und alle suchen in diesem Wulst aus Informationen eine Headline. Das ist ein bisschen wie ein Graffiti-Künstler, der die ganze Stadt zutaggt, aber nur ein großes Graffiti davon in der „Hall of Fame“ hat. Und so ist es manchmal mit Interviews. Wenn ich sage, „Ich bin froh, dass ich Gardinen hab’, dann sieht mich keiner“, dann heißt es gleich, ich springe und tanze nackt durch die Wohnung. (lacht) Das ist schon okay, und ich komme damit klar.
Was war die kurioseste Schlagzeile, die Du über Dich gelesen oder gehört hast?
Eher dämlich formuliert oder reißerisch. Zum Beispiel wurde damals spekuliert, wie wir den „Zughafen“ mit so vielen Leuten überhaupt finanzieren können. Alle haben behauptet, „Ihr baut heimlich Cannabis an und habt im Keller riesige Cannabisplantagen.“ Das fand ich lustig. Da dachte ich: „Hey, das ist ganz gut für das Image.“
Wie pflegst Du Deine Freundschaften? Ist das mit Deinem Tour-Leben gut zu vereinen?
Das geht eigentlich gar nicht so gut. Als Musiker ist man wirklich oft unterwegs. Wenn ich zu Hause bin, gehe ich mal mit dem ein oder anderen Freund einen Kaffee trinken. Das geht dann aber leider nicht mit allen. Nach einem Festival muss ich auch erst mal ein bisschen runterkommen. Dann sind mein Bruder oder mein Opa die erste Adresse. Ich bin froh, dass die meisten meiner Freunde auch irgendwas mit Musik machen. Dann kann man zusammen was Kreatives machen.
Welche Musik hörst Du privat?
Ich höre wirklich so viel Musik, dass es schon weh tut. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich mag alles. Ich mag James Blake und Anderson Paak. Hauptsächlich Sachen mit Groove und Hirn. Und ich mag aber auch Chefket im Deutschen. Ich finde aber auch bestimmte Coldplay-Songs geil und Chris Martins Stimme. Ich liebe Damon Albarn als Sänger, der Sänger von Blur, egal ob das Gorillaz, Blur oder The Good, the Bad & the Queen ist. Ich mag ganz viele Elektrosachen. Superpitcher find’ ich da extrem cool, Superflu auch. Moderat ist auch eine geile Band. Ist ein Zusammenspiel aus Apparat und Modeselektor. Wirklich sehr gut.
Wie viel Hip-Hop steckt noch in Dir?
Es gibt diesen Spruch „Man kriegt den Jungen von der Straße, aber die Straße nie aus dem Jungen“, und so ist es auch. Ich habe viel mit Hip-Hoppern zu tun, wie jetzt mit Chefket zum Beispiel und schreibe sogar mit ihm zusammen. Ich schreibe auch teilweise Rap-Songs. Aber ich möchte mich nicht mit dieser Rap-Szene messen. Da habe ich keinen Bock drauf. Am Ende bringe ich die meisten Songs nicht raus. Bei einem Song wie „Neuanfang“ hört man auf jeden Fall den Hip-Hop raus. Auch bei „Achterbahn“ durch den Sprechgesang.
Als Du Deine Friseur-Lehre abgebrochen hast, wusstest Du da schon, dass es mit der Musik weitergeht oder hattest Du erst mal keine genauen Pläne?
Ja, sofort. Ich habe die Friseur-Lehre ja auch nicht geschafft. Denn ich war auf vielen Hip-Hop-Jams unterwegs und kam morgens stinkend und völlig im Eimer in den Laden. Die Lehre war einfach nicht mein Ding. Ich habe auch viele Leute verunstaltet, weil ich eine Farbsehschwäche habe.
Wie haben Deine Eltern reagiert?
Die waren nicht begeistert. Sie haben aber auch mitbekommen, wie ich mal von einem Polizeiauto nach Hause gefahren wurde oder Graffiti an irgendeine Wand gesprüht habe und sie den entstandenen Schaden bezahlen mussten. Sie hatten wahnsinnige Angst, dass es ab da noch weiter bergab geht. (lacht) Die Angst hat sich noch nicht komplett gelegt, aber inzwischen stehen sie voll an meiner Seite.
Wie ist es für Dich nach all den Jahren auf jedem Konzert immer noch Deinen Riesenhit „Chicago“ (2006) zu spielen? Nervt es Dich langsam oder feierst Du den Song?
Ich bin froh, dass es ein guter Song ist. (lacht)
Auf einem Deiner letztenKonzerte hast Du eine Anekdote über Udo Lindenberg erzählt.Für mich hat es sich so angehört, als wärt Ihr gut befreundet.Stimmt das?
Ja, wenn wir Zeit haben und es bei ihm passt. Udo ist ja ein Mann von Welt. Ihn muss man immer fragen: „In welchem Land bist Du gerade?“ Dann hängen wir auch mal zusammen rum. Wir sind wie Brüder, sagt er immer. Großer Bruder, kleiner Bruder. Wir geben uns Tipps, wenn wir uns sehen, er ruft irgendwann nachts an oder schreibt eine SMS mit vielen Icons – mit vielen Hupen oder Raketen. Ja, ich habe ihn sehr gern.