Neu aufstellen und dann zur Attacke übergehen. Nach diesem Motto ist die Linke in die neue Legislaturperiode gestartet. Fraktionschef Dietmar Bartsch über den mühsamen Start und warum Merkel keine Eile hat.
Herr Bartsch, herzlichen Glückwunsch zur Wiederwahl, auch wenn diese etwas holprig war.
Dankeschön, holprig ja, aber natürlich gibt es in einer demokratischen Partei nach einer Bundestagswahl immer Diskussionsbedarf: Nun ist aber alles für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Fraktion und Partei geklärt, und damit geht’s wieder an die Arbeit.
Damit ist Ihre Fraktion ja schon mal einen erheblichen Schritt weiter als Ihre zukünftigen Oppositionskollegen von der SPD, die haben ja zunächst erklärt, da es noch keine neue Regierung gibt, müssten sie auch noch gar keine Oppositionspolitik machen.
Na ja, das ist bei der SPD nach diesem Wahlergebnis natürlich alles ein bisschen schwieriger, die sind ja noch immer bei der Postenvergabe. Sie müssen sich mal überlegen, die haben erst einen Tag vor der Konstituierung des Bundestages überhaupt entschieden, wer den Vizepräsidentenposten bekommt, diese Entscheidung liegt bei uns Wochen zurück. Dazu muss man allerdings sehen: Fraktionschefin Andrea Nahles muss natürlich austarieren zwischen den einzelnen Landesverbänden, dabei allen Strömungen gerecht werden, und da herrscht halt derzeit Chaos, wirklich Chaos. Das wird wohl noch so eine Weile bleiben, denn es heißt ja bei den Sozialdemokraten, viele parteiinterne Posten können nicht vergeben werden, weil die Ausschüsse noch nicht feststehen. Und darum wird es bei der SPD wohl noch eine ganze Weile bis zur reinen Sacharbeit dauern.
Sie sind ja nach der Klärung Ihrer Personalien bereits bei der Sacharbeit angekommen und müssen zur Kenntnis nehmen, das über drei Wochen die Sondierungen zu einer möglichen Jamaika-Koalition verschleppt wurden und dazu noch ein mehr als dürftiges Ergebnis eines EU-Gipfels, hängt das eine mit dem anderen zusammen?
Nee, das nicht, aber ich glaube aber schon, dass Angela Merkel froh ist, das diese Sondierungen und auch später die Koalitionsverhandlungen noch recht lange dauern, denn die denkt auch, verhandelt mal schön lange, dann kann ich die Dinge, die ich da noch unter Dach und Fach bringen will, in Ruhe zu Ende führen. Und sie hat ja zumindest eines hinbekommen bei diesem Gipfel, der Türkei werden die Beitrittshilfen zukünftig gekürzt, und das ist eine Forderung, die die Linke ja schon lange vertritt …
… also dank des politischen Stillstand kann Politik der Linken umgesetzt werden …?
(lacht) Nein, aber Merkel ist nicht sauer, wenn sie jetzt noch so weiterregieren kann wie bisher. Denn sollte es zu Jamaika kommen, wird es für sie auf jeden Fall nicht leichter, egal ob auf EU-Ebene oder im Land selbst. Aber das eigentlich Unverantwortliche für mich ist: Bis die Regierung mit ihren Ministern steht, wird ein halbes Jahr vergangen sein, also ein Achtel der gerade angefangenen Legislatur. Dann bleiben zweieinhalb Jahre, um zu gestalten, und im letzten Jahr vor der anstehenden Bundestagswahl passiert politisch sowieso nicht mehr viel, das haben wir jetzt gerade bei der abgewählten Großen Koalition erlebt. Und das ist das Unverantwortliche, Jamaika wird real überhaupt nur etwas über zwei Jahre regieren können.
„Es wurde verwaltet, nicht gestaltet"
Das heißt, der derzeitige politische Stillstand wird fortgesetzt, denn in den von ihnen angesprochenen gut zwei Jahren Regierungszeit kann man ja politisch nicht viel gestalten?
Ja eben, der Stillstand ist ja nicht neu. Schauen sie sich an, was die Große Koalition in diesem Jahr vor der Wahl noch hinbekommen hat. Nichts! Sie haben verwaltet, und wenn ich höre, die Grünen und FDP wollen nicht in den Farben der Union wandeln, dann kann ich nur sagen, es gibt keine Farbe der Union. Das Land ist verwaltet und nicht gestaltet worden, und das wird jetzt fortgesetzt. Ich finde es unverantwortlich, daß es jetzt mit der möglichen neuen Regierung genauso weitergeht. Erst kann nicht sondiert werden wegen der Niedersachsenwahl! Ja, was ist das denn für eine Begründung? Die Niedersachsenwahl hat doch mit den Sondierungen zu einer Bundesregierung nichts zu tun, und das ist für mich ein klares Zeichen, dass es dann auch unter Jamaika so weiter geht wie bisher.
Soweit die Innenschau. Aber Deutschland ist ja nicht allein auf der Welt. Den EU-Gipfel hatten wir ja schon angesprochen. Besteht da nicht die Gefahr, dass bei einem derartigen deutschen Regierungsstillstand, die anderen Europäer diesen für sich ausnutzen?
Nein, diese Befürchtung habe ich nicht. Das Beispiel Macron zeigt ja recht deutlich, Deutschland ist in so einer recht starken Position, dass auch Frankreich nicht im Alleingang irgendetwas umsetzen kann, das geht nicht. Aber sehen Sie, da sind die Brexit-Verhandlungen, das läuft alles weiter wie bisher. Grüne und FDP sind doch angetreten, dass dies zukünftig eben nicht mehr so der Fall ist. Doch die haben es vorherige Woche wieder zugelassen, dass es so weiter geht wie bisher, und das finde ich problematisch.
Polen und Ungarn versuchen ja schon, eine eigene Politik zu machen, und da wird dann auch schon mal ein Grundsatzurteil des höchsten Gerichts nicht anerkannt. Gibt es da nicht doch den Versuch, auf EU-Ebene an Deutschland vorbei Politik zu gestalten?
Nein, dafür ist Deutschland in einer zu starken Position. Jahrelang wurde das ja geleugnet, aber wir leben in einem Europa, das von Deutschland dominiert wird. Das wurde ja immer verneint, aber Europa ist von Deutschland ganz klar geprägt und das ist nicht gut so. Man muss sich ja die Ergebnisse der Politik der vergangenen Jahre nur anschauen: Die Jugendarbeitslosigkeit in den Südländern ist verheerend hoch, allein in Griechenland im vierten Jahr hintereinander über 50 Prozent, Generation Hoffnungslosigkeit. Der Brexit wird verhandelt, warum hat Deutschland unter Angela Merkel da nicht die Führungsrolle übernommen? Da hätte sie gestalten können, das ist nun vorbei, nun kann sie nicht mehr gestalten, sondern nur verwalten, aber ich glaube, das ist ihr auch ganz recht so. Das ist dann schon eine recht eigenartige Situation, das Europa, wo jetzt eigentlich gehandelt werden müsste, passiert nicht mehr. Europa kommt jetzt auch in den Zustand des Verwaltens. Macron kann ja erzählen, was er will, aber es wird nichts umgesetzt, und damit ist es ein Fakt: Die deutsche Regierungsbildung hält Europa nicht in Atem, sondern im Stillstand.