Die einzigartige Anlage European XFEL ist nicht nur unglaublich teuer, sondern produziert auch die hellsten Röntgenstrahlen der Welt. Dank der schnellsten Kamera des Globus verspricht sie künftig bahnbrechende Erkenntnisse über den Nanokosmos. Schon bei ihrem Start verglich man sie mit dem nahen Hamburger Konzerthaus.
ach achtjähriger Bauzeit wurde vor Kurzem endlich „Deutschlands teuerstes Experiment“, meldete das Nachrichtenmagazin „Spiegel“, begonnen. Wobei es sich um eine 3,4 Kilometer lange Tunnelanlage handelt, die vom Hamburger Stadtteil Bahrenfeld in nordwestlicher Richtung bis zum Süden der Stadt Schenefeld in Schleswig-Holstein verläuft. Die Kosten für diese Mammutanlage wurden auf bis zu 1,5 Milliarden Euro taxiert – wogegen sich die 789 Millionen Euro für die ebenso spektakuläre wie umstrittene Elbphilharmonie fast schon bescheiden ausnehmen.
Elf Länder sind daran beteiligt
Eine öffentliche Diskussion über das European XFEL getaufte Projekt, eine der teuersten Forschungsanlagen, die jemals in Deutschland gebaut wurden, fand überraschenderweise nicht statt, obwohl auch hier die tatsächlichen Baukosten mehr als ein Viertel über den ursprünglichen Etat klettern sollten. Wobei XFEL für X-Ray Free-Electron Laser steht, was als Freie-Elektronen-Laser für Röntgenstrahlen übersetzt werden kann. Elf Länder sind daran beteiligt, wobei Deutschland mit 58 Prozent und Russland mit 27 die größten Geldgeber waren. Die Betriebskosten für die von der gemeinnützigen European XFEL GmbH und ihren 300 Mitarbeitern geführte Forschungsanlage werden auf 118 Millionen Euro pro Jahr veranschlagt. Viele Wissenschaftler möchten nach Hamburg kommen, um ihre Arbeiten mithilfe des Röntgenlasers der Superlative durchführen zu können. Dafür müssen sie eine entsprechende Bewerbung bei einem internationalen Expertengremium einreichen, das allein entscheidet, wer für einige Tage die begehrten Plätze in der Experimentierhalle in Schenefeld nutzen darf – und zwar kostenlos, sofern die Ergebnisse durch Veröffentlichung allgemein zugänglich gemacht werden.
Glaubt man den Beteiligten und Geldgebern, so markiert die Inbetriebnahme von European XFEL nichts weniger als den Beginn eines neuen Forschungszeitalters. Sie versprechen sich Bahnbrechendes von dem Röntgenlichtlaser, der die hellsten ultrakurzen Röntgenblitze der Welt erzeugen kann, bis zu 27.000 pro Sekunde, und dessen Leuchtkraft milliardenfach stärker sein soll als alle bislang genutzten Röntgenstrahlungsquellen der Welt. Mithilfe dieser Röntgenblitze, die wie eine Superkamera mit extrem kurzen Belichtungszeiten von Billiardstel Sekunden genutzt werden können, können Wissenschaftler beim Durchleuchten der jeweiligen Proben allerkleinste Strukturen auf Bildern oder 3D-Filmen genau abbilden. Beispielsweise Details von Viren, Zellen, Atomen, Molekülen. Auch das Filmen chemischer Reaktionen auf atomarer Ebene soll damit möglich sein.
Mediziner können wahrscheinlich erstmals dokumentieren, wie ein Virus eine Zelle befällt. Was für die Entwicklung neuer Medikamente ungemein nützlich sein könnte. Biochemiker können den Ablauf der Fotosynthese untersuchen und ermitteln, wie es den Pflanzen gelingt, Licht und Wasser in Energie zu verwandeln. Was Kraftwerke einer ganz neuen Generation zur Folge haben könnte. Geoforscher möchten künstlich Riesenplaneten simulieren. Biologen die letzten Geheimnisse der Proteine lüften. Astrophysiker erhoffen sich neue Kenntnisse darüber, wie Materie im Innern von Sternen aussieht. Physikern soll das Studium der Moleküle Anregungen für stärkere Akkus oder kleinere Datenspeicher liefern. „Mit dem European XFEL ist eine weltweit einzigartige Anlage der Spitzenforschung entstanden, die bahnbrechende Erkenntnisse über die Nanowelt verspricht“, erklärte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka anlässlich der Eröffnung der Anlage.
Der European XFEL ist eng mit dem Deutschen Elektronen-Synchroton (Desy) in Hamburg-Bahrenfeld verbunden, wo bereits seit den 60er-Jahren mit Teilchenbeschleunigern gearbeitet wird. Das Desy-Betriebsgelände ist auch Anfangspunkt der gesamten Anlage. In etwa 38 Metern Tiefe beginnt dort der Haupttunnel. In diesen werden Elektronenpakete eingespeist, die in einer „Injektorhalle“ mithilfe eines konventionellen Ultraviolett-Lasers aus einer Cäsiumtellurid-Elektrode gewonnen werden. In dem 1,7 Kilometer langen Tunnel werden diese Elektronenpakete mithilfe von Mikrowellen in „Resonatoren“, das sind Rohre mit Ausbuchtungen wie bei einem Baumkuchen, auf nahezu Lichtgeschwindigkeit, fast 300.000 Kilometer pro Sekunde, beschleunigt. Wobei das Metall Niob in den Rohren mit flüssigem Helium auf minus 271 Grad gekühlt sein muss, weil es dann supraleitend ist und seinen elektrischen Widerstand verliert.
Pro Sekunde bis zu 4,5 Millionen Bilder
An seinem Ende, auf Höhe des Betriebsgeländes Osdorfer Born, fächert sich der Beschleunigertunnel in zwei Tunnelschleusen mit jeweils getrennten Elektronenpaketen auf. Die anschließend, nach Aufteilung in weitere Tunnel, über eine Strecke von 200 Metern „Undulatoren“ genannte Magnetanordnungen passieren müssen, die die Elektronen zu einem Slalomkurs zwingen. Bei jeder Kurve geben die Elektronenpakete einen Teil ihrer Energie in Form von Röntgenstrahlen ab, die sich zu einem laserartigen Blitz verstärken. Mit dem lässt sich die von einem Roboterarm gehaltene Materie der bis zu sechs Forschungsteams in der unterirdischen Schenefelder Experimentierhalle durchleuchten und mittels einer speziellen „Röntgenkamera“ ablichten, die vom European XFEL und dem britischen Rutherford Appleton Laboratory entwickelt wurde. Mit dieser Kamera wird festgehalten, wie die Probe in dem kurzen Moment eines Blitzes ausgesehen hat. Pro Sekunde können bis zu 4,5 Millionen Bilder zustande kommen.