Wenn der Blick unsicher umhergeistert und auch noch die Arme leblos am Körper baumeln, kann der Redner gleich einpacken, sagt der Diplom-Psychologe Christian Czwalinna-Lesche über die Körpersprache von Politikern. Wie kommt das aktuelle Spitzenpersonal dabei weg?
Herr Czwalinna-Lesche, nicht nur in den Koalitionsverhandlungen ist es wichtig, dass die Aussagen der Politiker mit ihrer Erscheinung übereinstimmen. Wenn man sich die Auftritte von FDP-Chef Christian Lindner anschaut, dann scheint er mit einem äußerst robusten Selbstbewusstsein ausgestattet zu sein – also Unsicherheit Fehlanzeige?
Interessant bei Christian Lindner ist, dass er dieses Selbstbewusstsein ein bisschen zu verstecken scheint, er ist also offenbar bemüht, sich zurückzunehmen. In einem Interview beim Bundesparteitag im Frühjahr wurde er ein bisschen hart angegangen, da war er erst irritiert, dann blinzelte er und legte die linke Hand auf den rechten Arm, als wolle er sich selbst festhalten. Lindner weiß offenbar um seine Dominanz und versucht sich zurückzuhalten, um nicht überheblich zu wirken. Das könnte auch erklären, warum etwa seine Plakate im Bundestagswahlkampf doch eher zurückhaltend waren. Ich erinnere an das Ungeduld-ist-auch-eine-Tugend-Plakat. Da schaute Lindner völlig in Gedanken versunken, ja schon fast verträumt auf den Boden.
Was halten Sie von Alice Weidel, der Co-Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag?
Man merkt bei Alice Weidel, dass sie kein Politikprofi ist. Da ist sie mal zu weit weg vom Mikrofon oder fasst sich selbst beim Vortrag ins Gesicht, was Unsicherheit verrät. Aber als Unternehmensberaterin hat sie natürlich gelernt, vor Menschen zu sprechen, und da ist sie dann Profi genug, sich diese Unsicherheit nicht weiter anmerken zu lassen. Sie zieht ihr Thema durch, bleibt also nicht mitten im Vortrag hängen. Man darf ja eines nicht vergessen: Alice Weidel steht erst seit einem guten halben Jahr im Rampenlicht, als sie quasi statt Frauke Petry die Spitzenkandidatur übernahm. Sie war ja vorher eher zweite oder dritte Reihe in der AfD.
Und die Grünen-Fraktionschefin und Koalitions-Unterhändlerin Katrin Göring-Eckardt?
Sie wirkt in der Öffentlichkeit sehr zurückhaltend. Aber sie versucht, immer alle mitzunehmen. Ihre Hände sind offen nach außen, sie lädt alle ein, und hat selten die Arme verschränkt vor dem Bauch. Aber sie ist eher die Bedächtige neben ihrem Mitstreiter Cem Özdemir. Das hat man sehr schön schon auf dem Bundesparteitag im Sommer beobachten können: Göring-Eckardt ruhig und überlegt, Özdemir als der Kämpferische. Das kann funktionieren.
Sahra Wagenknecht, Fraktionschefin der Linken, inszeniert sich gern als Rosa Luxemburg 2.0. Sie ist umstritten – nicht zuletzt in der eigenen Partei, wie jüngst beim Eklat mit der Parteispitze wieder zu sehen. Ist sie zu kratzbürstig?
Kratzbürstig würde ich nicht sagen. Sie ist eine Kämpfernatur. Das sieht man auf der Bühne, wenn es um ihre Themen geht. Dann geht eine regelrechte Spannung durch den Körper, da strafft sie die Schultern, das Kinn geht nach vorn. Also sie will sich klar abgrenzen von den anderen Parteien, und da gibt sie sich sehr kämpferisch. Genau das wollen ihre Wähler ja auch, denn beim Spitzenduo der Linksfraktion ist es genau umgekehrt wie bei den Grünen, hier ist die Frau das kämpferische Element und der Mann, also Dietmar Bartsch, eher der Gemäßigte.
SPD-Chef Martin Schulz redet oft von „ich“ und „mir“, ab und zu auch von „wir“. Ist er ein Narzist?
Als Spitzenpolitiker muss man eine gewisse Ich-Zentriertheit haben, sonst würde man den Job nicht machen können. Das gilt auch für Martin Schulz. Aber er ist eigentlich ein ruhiger Typ. Er besetzt seine Themen klar, ist in seiner Körpersprache zurückhaltend und zieht mit den Händen immer wieder einen Rahmen, grenzt also ab. Das, was Gerhard Schröder ausgezeichnet hat, immer wieder die Faust schwingen und wild in der Luft gestikulieren, das macht Martin Schulz nicht.
Zu Angela Merkel muss man eigentlich nichts mehr sagen, sie ruht in sich selbst …
Ihr Markenzeichen, die Raute, beschreibt sie ganz hervorragend. Ich nehme eine Aufgabe wahr, schaue sie mir von allen Seiten an und versuche, dann den besten Ansatz zu finden, sie zu bewältigen. Dabei muss sie ja nicht laut werden oder wild gestikulieren. Man darf eines nicht vergessen: Angela Merkel regiert das Land seit zwölf Jahren. Da muss sie sich niemandem mehr groß vorstellen, sondern kann tatsächlich sagen: Sie kennen mich! Das ist natürlich für ihre wechselnden Gegner und Herausforderer sehr unbefriedigend, aber aus Sicht der Kanzlerin der schlaueste Weg. Denn so bietet sie ihren Widersachern die geringste Angriffsfläche.