Kürzlich stellten US-Forscher den „MasSpec Pen" vor. Mit dem Gerät, das einem Kugelschreiber ähnelt, kann während einer Operation in Sekundenschnelle festgestellt werden, ob ein Gewebe Tumorzellen enthält.
So viel wie nötig, so wenig wie möglich: So lautet die Vorgabe für den verantwortlichen Chirurgen bei einer Krebsoperation, insbesondere wenn die Hirnregion betroffen ist, wo es auf jeden Millimeter ankommt. Er soll einerseits das Karzinom möglichst komplett herausschneiden, andererseits aber möglichst viel gesundes Gewebe im direkten Tumorumfeld verschonen, sprich erhalten. Für den Arzt meist eine schwierige Gratwanderung. Je weniger Tumorzellen nach der Operation übrig bleiben, desto besser kann der restliche Krebs anschließend mit Methoden wie der Chemotherapie ausgemerzt werden, wodurch die Chancen zur kompletten Heilung deutlich steigen. Da die präzise Abgrenzung zwischen gesundem und krankem Gewebe oft nicht ganz einfach ist, entnehmen die Mediziner sicherheitshalber häufig lieber etwas mehr Gewebe. Wodurch beispielsweise wichtige Nervenbahnen zerstört werden oder deutlich größere ästhetische Makel entstehen können. Das entfernte Gewebe wird noch während der OP ins Labor gebracht, wo ein Pathologe per Untersuchung entscheidet, ob noch mehr Gewebe entfernt werden muss oder ob der Eingriff beendet werden kann. Die Analyse der Probe dauert in der Regel lange 30 Minuten und liefert zudem bei manchen Krebsarten in zehn bis 20 Prozent der Fälle ziemlich unzuverlässige Ergebnisse. Während dieser halben Stunde können Patient und Chirurgenteam nichts anderes tun als geduldig zu warten. Was für den Patienten das Risiko einer Infektion erhöhen kann. Und was vorab die Verabreichung einer entsprechend höheren Dosis des Narkosemittels voraussetzt. Die zeitaufwendige Laboranalyse während der OP könnte dank einer neuen Technologie bald der Vergangenheit angehören. Und der Befund, die Differenzierung zwischen „bösem" und „gutem" Gewebe, in gerade mal zehn Sekunden vorliegen.
Wissenschaftler der texanischen Forschungsstätten Austin und Houston haben das Gerät und die ersten vielversprechenden Studientests vor Kurzem im Fachmagazin „Science Translation Medicine" vorgestellt. Mit der kleinen, stiftförmigen Sonde namens „MasSpec Pen", die äußerlich an einen Kugelschreiber erinnert, kann Gewebe punktgenau, ohne jegliches Schneiden, an Ort und Stelle in Windeseile untersucht werden. „Wenn wir Patienten eine präzisere Operation, eine schnellere Operation oder eine sicherere Operation anbieten können, dann wollen wir das tun", sagt James Suliburk vom Baylor College of Medicine in Houston. „Diese Technologie umfasst alle drei Aspekte."
Sie funktioniert folgendermaßen: Der Chirurg lässt aus dem Stift, dessen Spitze aus einem gesundheitlich unbedenklichen Polymer auf Siliziumbasis besteht, über einen integrierten Kanal einen Wassertropfen auf die zu untersuchende Gewebestelle tropfen. Dort wandern sofort Moleküle aus dem Gewebe in die Flüssigkeit ein. Nach rund drei Sekunden wird das Wasser mittels eines zweiten Kanals wieder in das Gerät zurückgezogen und dort mit einem Schlauch in ein spezielles, die Masse von Molekülen berechnendes Mess-System namens Massenspektrometer weitergeleitet, das anhand des ermittelten molekularen Profils genau bestimmen kann, ob es sich um eine Krebszelle handelt oder nicht.
Eventuell ist die neue Technologie schon 2018 einsatzbereit
Die dafür verwendete Software braucht nur wenige Sekunden, um auf dem Bildschirm verblüffend exakte Ergebnisse zu liefern: „Tumor" oder „Normal". Denn bei einem ersten Test an gut 250 menschlichen Gewebeproben von Brust, Lunge, Schilddrüse und Eierstock lag die Trefferquote des Geräts bei mehr als 96 Prozent.
„Krebszellen haben einen veränderten Stoffwechsel", erklärt Livia Schiavinato Eberlin von der University of Texas in Austin. „Weil die Abbauprodukte von Krebs und normalen Zellen so verschieden sind, extrahieren und analysieren wir sie mit dem ‚MasSpec Pen‘, um einen molekularen Fingerabdruck des Gewebes zu bekommen."
In Zukunft sollen Chirurgen noch während einer Krebs-Operation mit Hilfe des Stifts erkennen können, wo sie ihr Skalpell genau ansetzen sollten. Livia Eberlin erklärt: „Wir zielen mit dem Verfahren auf die chirurgische Grenzanalyse. Das sind die Situationen, wenn der Chirurg schon den Großteil des Tumors entfernt hat und nun in den Randbereichen unsicher ist, ob er das Krebsgeschwür schon komplett erwischt hat oder nicht. Wir hoffen sehr darauf, dass der ‚MasSpec Pen’ auf Basis der molekularen Informationen die chirurgische Arbeit präziser machen kann." In der Forschung wird zwar schon ein Konkurrenz-Produkt des Stifts getestet, doch das Elektroskalpell, das auch als „intelligentes Messer" bezeichnet wird, erfordert einen Hitze-Schnitt durch das zu überprüfende Gewebeareal. Der dabei entstehende Rauch wird von dem Gerät aufgesaugt und ebenfalls an ein Massenspektrometer zur sekundenschnellen Analyse weitergeleitet. „Wir haben bei der Konzeption darauf geachtet, dass das untersuchte Gewebe während der Prozedur keinen Schaden nimmt und intakt bleibt", erklärt Jialing Zhang von der University of Texas in Austin.
Die texanischen Wissenschaftler hoffen, dass ihre neue Technologie vielleicht schon 2018 bei onkologischen Operationen eingesetzt werden kann. Bis dahin wollen sie den Stift und die Software weiter verbessern, vor allem auch noch andere Krebsarten bei ihren Tests mit einbeziehen.
Auch Forscher wie Bernhard Spengler von der Universität Gießen, ein Experte für bioanalytische Massenspektrometrie, der an dem Forschungsprojekt nicht selbst beteiligt war, sind von den Ergebnissen ihrer US-Kollegen mehr als angetan: „Das ist eine sehr schöne Machbarkeitsstudie. Man kann auf molekularer Ebene mit Massenspektrometern sehr viel mehr Detailinformationen bekommen als derzeit mit klassischen Labormethoden. Der Weg ist der richtige."