Einst war Kuba geprägt von Marx und dem Nationalhelden Martí. Inzwischen setzt der Inselstaat auf Touristen. Schon seit der Revolution prägte steter Wandel das Land. Bleibt zu hoffen, dass die Kubaner auch die aktuellen Entwicklungen weiter mittragen.
Als der Hurrikan Irma Anfang September über die Karibik hinwegfegte, fiel es wieder einmal auf: Kuba kommt bei uns in den Medien wenig vor, trotz des üblen Schadens, den der Sturm anrichtete. Nur die regelmäßigen und erfolgreichen Evakuierungsmaßnahmen, die der kubanische Staat während der Hurrikan-Saison zwischen August und November unternimmt, sind immer wieder Thema. Diese ermöglichen immerhin, dem massiven wirtschaftlichen Schaden nicht noch größeren menschlichen hinzuzufügen.
Trotzdem ist das Land kurz vor dem Winter ganz besonders unter Druck. Pünktlich zu Beginn der Urlaubssaison, wenn Europäer und Kanadier dem kalten Wetter entkommen und auf der Antilleninsel Sonne tanken möchten, sollen die Aufräumarbeiten abgeschlossen sein. Denn bleiben die Besucher aus, wird es für das Land noch enger: Aufgrund der Krise in Venezuela können die Kubaner auf billiges Öl aus dem „Bruderland“ nicht mehr lange hoffen, und auch Brasiliens rechtskonservative Regierung hat dem kommunistischen Land die Freundschaft gekündigt. Hinzu kommt seit ein paar Monaten noch das Gepolter des trotzigen Mr. Trump im Weißen Haus, dessen erratische Drohungen noch mehr Staub aufwirbeln als Irma.
Hilfseinsätze von Angola bis Haiti
Trotzdem eilt das Land von Besucherrekord zu Besucherrekord, und die Insel möchte nun auch Touristen anlocken, die nicht nur in den Bettenburgen rund um die Strände von Varadero Urlaub machen – gerne auch viele Deutsche.
Was aber erwartet reiselustige Menschen, die in Kuba gerne auch mal einen Blick hinter die Kulissen werfen möchten? Dass sich in Kuba gerade einiges ändert, ist auch beim Blick von hier aus klar – auf der tropischen Insel findet gerade ein Umbruch statt. Nicht so leicht sichtbar ist, dass der Umbruch seit Jahrzehnten in Kuba der gesellschaftliche und politische Normalfall ist, die Kubaner sogar ein bisschen umbruchsmüde sind. Ein Streifzug durch die jüngere Geschichte des Landes hilft, auch das aktuelle Geschehen besser zu verstehen.
In der Neujahrsnacht 1959 siegten die bärtigen Rebellen über den Militärdiktator Fulgencio Batista. Auf die „Revolution“ folgten radikale politische Maßnahmen, um Kuba umzugestalten. Bei genauerer Betrachtung waren diese weniger sozialistisch oder kommunistisch, die „kubanische Revolution“ war dem Inhalt und der Rhetorik nach eher ein Projekt nationaler Selbstbestimmung. Das wiederum schmeckte den USA gar nicht, und auf der Suche nach Verbündeten bot sich die damalige UdSSR nur zu gerne an. Eine gescheiterte Invasion (1961) und einen glücklicherweise abgesagten Atomkrieg (1962) später war klar: Dieses inzwischen kommunistische Regime konnte man von außen nicht zu Fall bringen, ohne ein nukleares Armageddon zu riskieren. Diverse US-Regierungen hofften seitdem darauf, dass innere Spannungen und der eine oder andere äußere Impuls Castro zu Fall bringen würden. Das Gegenteil war jedoch der Fall: Jede US-Unterstützung für mitunter terroristische Gruppen steigerte nur den Durchhaltewillen der Kubaner. Daran hat sich auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nichts geändert.
Altlinke mit feuchten Augen
Die 60er-Jahre brachten zuerst eine Epoche der radikalen Experimente, dann die Eingliederung in die sowjetische Sphäre, mit der Folge, dass in den 70ern auch das intellektuelle und künstlerische Leben im Rahmen der Sowjetisierung immer mehr im Einheitsgrau versank. Bibliographien kubanischer Studenten wurden monoton und besonders „m-lastig“: „Marx“ und „Martí“ stellten den größten Batzen der zitierten Literatur dar, unabhängig von Fach und Thema. Beide hatten offenbar Wahrheit gepachtet. Die besondere Prominenz des kubanischen Freiheitshelden Martí macht aber einmal mehr deutlich, dass die Revolution in erster Linie ein nationales Projekt blieb.
Die 80er empfanden viele als wirtschaftliche Blüteperiode. Der revolutionäre Außenposten in der Karibik durfte in Form von vermehrt eintreffenden Gütern nun auch an der Konsumkultur teilhaben. Bitter wurde es hingegen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion: Auf sich allein gestellt, hieß es einmal mehr „Kuba gegen den Rest der Welt“.
Immer wieder gab es einen vom kubanischen Regime angesetzten Rhythmus aus Mobilisierung, phasenweiser Radikalisierung, dann einer Zurücknahme von „Fehlentwicklungen“ – zuletzt in den Reformen der vergangenen Jahre. So hatte bis in die 70er-Jahre hinein eine ganze Generation auf Kuba das Gefühl, ihre Geschichte selbst in die Hand genommen zu haben. Oppositionelle, darunter viele Ärzte, Lehrer und Ingenieure, verließen das Land immer wieder in Scharen. So öffnete Castro das Ventil, das die Unbequemen verschwinden ließ. Dadurch entstand ein Vakuum, das die von unten Nachrückenden, die ihre Bildung der Revolution zu verdanken hatten, nur gar zu gerne füllten. In den 80er-Jahren dann verlagerte sich der Fokus in Richtung Angola: 300.000 Kubaner in militärischer Funktion und weitere 30.000 Zivilisten unterstützten die angolanische Befreiungsfront und halfen unter anderem auch, das südafrikanische ApartheidsRegime zu Fall zu bringen. Nochmals konnte sich eine Generation mit einem Projekt identifizieren. Castro punktete damit auch international. Viele in Afrika, auch in den afrikanischen Eliten, von denen nicht wenige in Kuba studiert haben, sehen ihn noch heute als Befreier, als wahren Freund des Kontinents.
Und auch wenn dies von westlichen Staaten und Medien oft ignoriert wird: Kuba steigert sein internationales Ansehen auch regelmäßig, indem das Land bei humanitären Katastrophen mehr Helfer schickt als die Industrienationen. So geschehen im Falle des schweren Erdbebens in Pakistan 2005 und immer wieder, wenn das bettelarme Nachbarland Haiti Hilfe benötigt. Die so Unterstützten revanchieren sich dann auch zuverlässig, indem sie sich in der UN-Vollversammlung gegen die US-Blockade einsetzen.
Der verstorbene Fidel Castro verstand sich bis zum Schluss als kommunistischer Staatschef und bot so den alten, antikommunistischen Zuckungen der Konservativen eine nahezu ideale Projektionsfläche. Die Einparteien-Herrschaft, die mangelnde Pressefreiheit sowie die Verfolgung Oppositioneller wurde seit eh und je zur Gleichsetzung lateinamerikanischer Diktatoren verwendet. So landeten Castro, Pinochet und der argentinische Diktator Galtieri in einem Topf. Verschwiegen wird dabei freilich, dass sie sich nicht nur in ihren Methoden unterschieden, sondern vor allem auch, dass die Führungsmacht der „freien Welt“ vieles unternahm, um die einen zu stützen, Castro hingegen zu stürzen. Bekanntermaßen gelang dies nicht, auch nicht bei der Invasion in der Schweinebucht, die zu einer Art Gründungsmythos der Revolution wurde.
Was auch schon hinführt zu den linken Illusionen: Seit Generationen betrachtet die Linke bis weit in die SPD-Basis hinein Kuba als eine romantische Projektionsfläche. Weitgehender Konsumverzicht (der für 14 Tage deutlich leichter fällt als für ein ganzes Leben), hehre, revolutionäre Ideale, all das suchen nicht zuletzt die Teilnehmer der „Solidaritätsbrigaden“ seit Jahrzehnten in Kuba.
Dabei sind sie in ihrem glühenden Eifer für Castro den Konservativen näher, als sie glauben. Denn beide kommen in ihren Erzählungen zwar nicht ganz ohne Kuba, aber doch weitestgehend ohne Kubaner aus. Den einen, den Konservativen, reicht es, die große Gruppe an Exilanten in Florida als Beweis für ihren Antikommunismus anzuführen. Dabei lassen sie die Tatsache außer Acht, dass viele von diesen nicht aus politischen, sondern aus wirtschaftlichen oder familiären Gründen nach Miami gegangen sind. Die Linken hingegen bekommen feuchte Augen, sobald sie einen Trupp Schulkinder mit Uniformen die Straße überqueren sehen und wiederholen gebetsmühlenartig, dass in Kuba jeder Mensch Zugang zum Gesundheits- und Bildungswesen hat. Dass das beschworene Gesundheitssystem in den vergangenen Jahren kaum noch entwickelt wurde und dass sie selbst sich einer heiklen Operation sicher lieber zuhause unterzögen: Das möchten die privatversicherten, altlinken Studienräte dann doch lieber nicht hören. Spätestens aber seit den 90er-Jahren, seit der „Sonderwirtschaftsperiode“ und ihrer chronischen Mangelwirtschaft, ist das Regime erstarrt.
Der Generation der heute 30-Jährigen verlangte Castro alle Opfer des „Sozialismus à la Cubana“ ab, er bot ihnen jedoch kaum eine Perspektive, an der Entwicklung mitzuwirken. Auch Fidels Bruder Raúl lässt diesbezüglich wenig erwarten. Dabei wird das zur größten Herausforderung und zur Legitimationsfrage für die Führer Kubas werden. Der Verweis auf das Erbe Castros wird dauerhaft nicht genügen.
Trotzdem zeigen die Reformen erste Wirkung. In Havanna und andernorts machen neue Läden ihre Türen auf, kleine Pensionen schießen wie die Pilze aus dem Boden. Vor zehn Jahren noch war es außerhalb Havannas sehr schwer, eine nach europäischen Qualitätsmaßstäben genießbare Mahlzeit zu erhalten, und auch in der Hauptstadt selbst war das gastronomische Angebot eher dünn. Heute gibt es sowohl in Provinzstädten als auch in Havanna wieder noble Restaurants und schicke Bars, in denen junge Köche stolz ihr ganzes Können zeigen. So kehrt geschäftiges Leben gerade nach Vedado zurück, in den moderneren Teil Havannas, der dem Land den Weg in eine moderne Zukunft auch in baulicher Hinsicht weisen sollte.
Es bleibt die Hoffnung auf etwas Glück und darauf, dass diese neue Kreativität und Aufbau-Lust stärker bleiben möge als irgendwelche politischen Heilsversprechen. Unter diesen Voraussetzungen hat Kuba seine besten Tage vielleicht noch vor sich.