Selbst vor dem Geld macht die Digitalisierung nicht halt – Krypto-Währungen versetzen Anleger weltweit in Aufregung. Aber was ist dran an der Euphorie, die der Währung schon den ersten Börsensturz eingebracht hat? Experten warnen vor der nächsten Spekulationsblase.
Die ersten Banken warnen vor der Bitcoin-Blase, während die ersten Investment-Größen wie der US-Amerikaner Peter Thiel bereits Millionen scheffeln: Kryptowährungen entzweien die Welt derzeit. Funktioniert der Markt, und lohnt es sich, in die neuen Währungen zu investieren? Experten sind sich uneins. Die japanische Notenbank hat die Nummer eins unter den Kryptowährungen, den Bitcoin, mittlerweile als Zahlungsmittel akzeptiert. Direktoriumsmitglied Yves Mersch von der Europäischen Zentralbank sieht den rasanten Kursanstieg der umstrittenen Digitalwährung mit Sorge und hält sie gar für eine Gefahr für die Finanzstabilität. „Wir erleben da einen spekulativen Hype, der einem Sorge machen kann", sagte Mersch der „Börsen-Zeitung". Da jetzt auch Banken in Bitcoin investierten, müsse die Bankenaufsicht genau prüfen, wie groß die eingegangenen Risiken seien.
Am meisten treibe ihn um, wenn Finanzmarktinfrastrukturen wie Börsen in dieses Geschäft einsteigen, sagte Mersch: „Das birgt große Gefahren für die Finanzstabilität." Mögliche Verluste einzelner Anleger seien dagegen kein Thema für die EZB: „Was den einzelnen Investor betrifft, steht es jedem frei, zu zocken. Dann soll er aber bitte, wenn etwas schief gelaufen ist, auch nicht zu uns kommen und sagen, wir hätten das verbieten und ihn vor sich selbst schützen müssen." Für die US-Federal Reserve dagegen sind Kryptowährungen noch irrelevant, da sie kaum die Grundfunktionen von Geld aufweisen: Werteaufbewahrungsmittel, Recheneinheit, Zahlungsmittel.
Der Finanzmarkt aber ist elektrisiert, Wetten auf den Bitcoin-Kurs, der innerhalb eines Jahres um 2000 Prozent gestiegen ist, können schon abgeschlossen werden. Der Wert fiel von 16.000 Euro im Dezember auf weniger als 12.000 und stieg nun wieder auf 12.300 Euro – würden diese Preissprünge dem Euro geschehen, würde Panik am Markt herrschen. Der wahre Wert aber eines Bitcoins liegt nahe Null, davon ist das US-Geldhaus Morgan Stanley überzeugt. Anfassen kann man eine Kryptowährung nicht, sie existiert nur im Rechner. Aber wie funktionieren nun Bitcoins?
Grundsätzlich vergleichbar ist eine Bitcoin-Transaktion mit einem E-Mail-System. Die Funktionsweise einer E-Mail ist allgemein bekannt, sie verschickt Nachrichten von A nach B. Ebenso verschickt Bitcoin Geld zwischen zwei Nutzern des Bitcoin-Transaktionssystems, sogenannten Wallets (Geldbörsen), verschlüsselten Programmen, die auf einem Rechner oder einem Smartphone installiert sind. Dafür müssen Bitcoins aber zunächst „erschaffen" werden. Das Erzeugen von Bitcoins, das sogenannte Schürfen, Validieren und Aufbewahren eines erzeugten Bitcoins findet innerhalb des Netzwerks statt. Keine Bank, kein Banksystem ist dafür notwendig.
„Gier frisst Hirn"
„Erschaffen" wird ein Bitcoin durch Rechenprozesse, die mit steigender Menge immer komplexer werden, sodass die Menge des erzeugten Geldes gering gehalten wird. Je besser die Rechner zur Bitcoin-Erzeugung werden, desto eher kann die Geldmenge steigen. Die Maximalanzahl von Bitcoins ist derzeit auf 21 Millionen beschränkt. Das System ist angriffssicher, weil jede Transaktion mathematisch-kryptografisch abgesichert und durch alle Teilnehmer des Netzwerks im Konsens ständig gegengeprüft wird. Teile einer Transaktionsinformation liegen dezentral auf Dutzenden Rechnern, sodass Cyberangriffe auf einen zentralen Knoten wie bei einer Bank überflüssig sind – es gibt keinen. Niemand steht an der Spitze dieses Systems, alle Transaktionen und Rechenoperationen werden gleich behandelt. Damit soll das Geldsystem demokratisiert werden, so der Grundgedanke in der Kryptografie-Szene. Wie ein Bitcoin gebucht oder transferiert wird, wird in einer Blockchain festgehalten – einem komplexen Buchungs- und Vertragssystems, das von allen am System beteiligten Rechnern gewissermaßen eine Zustimmung zur Buchung erfordert und die Transaktionen dezentral speichert.
Mehrere Probleme jedoch bringen Kryptowährungen in Verruf: Zunächst sind sie kein weltweit anerkanntes Zahlungsmittel, das von traditionellen Notenbanken reguliert wird. Die Regulierung erfolgt technologisch durch die Komplexität der notwendigen Rechen- und Verschlüsselungsprozesse. Deshalb kann eine Kryptowährung derzeit eher mit Gold denn mit Geld verglichen werden. Dennoch fehlt ein realer Gegenwert, der aus einer Krypto- eine Traditions-währung macht – so wie es bei Gold der Fall wäre. Kryptowährungen sind daher eher Spekulationsobjekte denn sichere Anlagen, das Risiko von Werteschwankungen ist extrem hoch.
Konzerne, Online-Händler, Szene-Cafés – mittlerweile gibt es einige Unternehmen, die Kryptowährungen als Zahlungsmittel akzeptieren, doch das sind bisher nur wenige. Im Darknet, der kriminellen Schattenwelt des Internets, wird sie hingegen gerne akzeptiert. Durch die Anonymität der verschlüsselten Zahlungsvorgänge und die geringe Kontrolle wird sie zum beliebten Zahlungsmittel für halb- oder illegale Machenschaften, sogar für die rechte Szene, die die Kryptowährung als ihr bevorzugtes Zahlungsmittel ansieht. Tech-Giganten wie Google und Paypal drehen rechten Bewegungen weltweit den Geldhahn ab. Das Ausweichen auf die demokratisierte Kryptowährung ist also eher ein Notnagel, der der Neuen Rechten jedoch finanziell Auftrieb geben könnte, je erfolgreicher eine Kryptowährung wird.
Dass die Leute beim Bitcoin momentan durchaus risikofreudig sind, zeigen die „Cryptocurrency"-Umfragen, die das Beratungsunternehmen Sentix seit September wöchentlich durchführt. Dabei wird nicht nur die aktuelle Stimmung rund um die bekannteste aller Internetwährungen erfasst, sondern auch der „strategische Bias", also das, was die Leute dem Bitcoin mittelfristig an Wert zuschreiben. „Der Bias reflektiert die Weisheit der vielen", beschreibt es Sentix-Geschäftsführer Manfred Hübner. Bauchschmerzen bereitet ihm die zunehmende Diskrepanz zwischen den Stimmungswerten, die derzeit immer weiter ansteigen, und dem sinkenden Bias. „Die Emotionen überdecken hierbei das Wissen", resümiert Hübner. „Man könnte auch sagen: Gier frisst Hirn." Gäbe es diese Konstellation im deutschen Aktienleitindex Dax, dann, sagt der Experte, hätte er schon längst zum Verkauf geraten. Er ist überzeugt davon, dass es sich bei der Bitcoin-Rallye mittlerweile um eine klassische Finanzblase handelt. „Die spekulative Anziehungskraft hinter Bitcoin kann zu erheblichen Marktverwerfungen führen", warnt er und ist damit einer von vielen.
Von Banken und Ökonomen über Regulierer bis hin zu Politikern wird gefühlt stündlich und weltweit auf die Gefahr der Überhitzung hingewiesen. Auf der anderen Seite wird argumentiert, es sei schon seit Jahren immer wieder vor einem Crash gewarnt worden – der Rekordjagd des Bitcoins habe dies aber keinen Abbruch getan. Auch Hübner glaubt, dass es mit den Preissteigerungen noch weitergehen könne. „Blasen wachsen auch dann noch, wenn sie als solche bereits erkannt sind." Dies ändere aber nichts daran, „dass sie irgendwann platzen und es dann riesige Verluste gibt". Für Experte Goldberg bleibt am Ende das, was er lieber als Reiz denn als Gier bezeichnen würde. „Wenn man die Gier abschaffen will, müsste man eigentlich einen Teil des Gehirns rausschneiden."