Wer lange gearbeitet hat, kann den Ruhestand meist gar nicht erwarten. Ganz anders stellt sich die Lage bei vielen Unternehmern dar.
Sie fürchten, dass ihr Lebenswerk verloren geht, weil sie keinen Nachfolger finden. Bundesweit sind über 100.000 Betriebe betroffen.
Martina Feierling-Rombach mag keine Unordnung. Die Bücher in ihrem Büro stehen ordentlich im Regal. Auf dem Schreibtisch liegt alles an seinem Platz: das Telefon, der Füllfederhalter, die Schnellhefter mit Notizen. „Ich liebe meinen Job", sagt die 61-jährige Brauerei-Inhaberin aus Freiburg. Schon als Jugendliche habe sie gewusst, dass sie die Familientradition fortführen wolle. Jetzt, da sie selbst auf die Rente zusteuert, hat sie wieder ein klares Bild vor Augen: Der Chefsessel, von dem aus sie ihr Unternehmen lenkt, wird nicht immer von ihr besetzt sein. Eine Tatsache, vor der andere die Augen verschließen würden. Nicht aber Feierling-Rombach. „Seit zwei Jahren denke ich darüber nach, wie es weitergeht", sagt sie. „Dabei sind wir gerade erst am Beginn des Prozesses."
Wie Martina Feierling-Rombach geht es vielen Unternehmerinnen und Unternehmern in Deutschland. Was kommt, wenn der Chef nicht mehr da ist? Und vor allem: wer? Allein in Baden-Württemberg sind etwa 6.840 Inhaber von Handwerksbetrieben über 50 Jahre alt. Viele Unternehmer kleben geradezu an ihrem Lebenswerk fest. Ob Schreinerbank oder Schreibtisch spielt dabei keine Rolle. Aufhören? Aufgeben? Übergeben? Undenkbar. Ein Thema, das man lieber hinausschiebt. Manchmal so lange, bis es zu spät ist.
Martina Feierling-Rombach wollte ihre Nachfolge nie auf die lange Bank schieben. Zumal sie aus eigener Erfahrung weiß, was bei einer Betriebsübernahme schiefgehen kann. „Wir führen die Brauerei in der vierten Generation", sagt die Unternehmerin. „Ich habe alles erlebt vom positiven Wechsel bis hin zu Familienstreitigkeiten." Letztere hätten gerade ihren Vater oft belastet. „Diese schwelenden Konflikte haben sich auch unternehmerisch ausgewirkt", sagt Feierling-Rombach. In den 1980er-Jahren habe die Brauerei längere Zeit stillgestanden. „Mein Vater hat die Produktionsrechte an Ganter übertragen und den Biergarten verkauft, um wieder liquide zu werden", erinnert sich Feierling-Rombach. Erst 1989 startete sie mit ihrem Mann völlig neu.
Viele Chefs schieben Übergabe hinaus
„Wir waren frisch verliebt und hatten keinen Plan", sagt Feierling-Rombach. „Wir haben einfach losgelegt." Mit Erfolg, wie sich heute zeigt. 180 Mitarbeiter sind bei der Brauerei beschäftigt; auch der (mittlerweile von der Stadt gepachtete) Biergarten brummt. Trotzdem möchte die Geschäftsfrau nicht dieselben Fehler begehen wie ihre Vorgänger. „Selbst harmonische Familien erleben Störungen, wenn es zu Betriebsübergaben kommt", sagt sie. Konflikte würden weitervererbt. „Das muss nicht sein", sagt die 61-Jährige entschlossen. Ihr Ziel: Diesmal soll alles besser laufen.
Das Institut für Mittelstandsforschung schätzt seit Mitte der 1990er-Jahre die Anzahl der Unternehmen, die vor einer Übergabe stehen. Im Zeitraum von 2014 bis 2018 sind in Deutschland etwa 135.000 Unternehmen mit zwei Millionen Beschäftigten betroffen. „Das Land Baden-Württemberg zählt mit seiner starken, mittelständisch geprägten Struktur zu den am stärksten betroffenen Bundesländern Deutschlands", heißt es aus dem Landeswirtschaftsministerium. Hier gehe es um etwa 19.000 Betriebe mit 300.000 Beschäftigten.
Doch wie geht das überhaupt – einen Nachfolger finden? „Ich glaube, das Thema ist immer noch nicht präsent genug", meint Unternehmerin Martina Feierling-Rombach. Sie selbst hat zahlreiche Vorträge besucht und Bücher gewälzt, um sich auf den Tag X vorzubereiten. „Ich sauge das regelrecht auf", sagt sie. Außerdem hat sie einen Berater engagiert, der der Familie während der Übergabephase zur Seite steht. „Der Blick eines Außenstehenden ist wichtig", sagt Feierling-Rombach. Der Berater werde sich zunächst mit ihr, dann mit ihren Nachfolgern treffen – und schließlich mit allen zusammen. „Manche Themen will man vielleicht erst mal alleine ansprechen. Da ist das eine gute Möglichkeit."
Dass überhaupt so offen über eine Firmenübergabe geredet wird, ist keine Selbstverständlichkeit. „In vielen Beratungen geht es vor allem um die materielle Seite", kritisiert Georg Müller-Christ, Professor für nachhaltiges Management an der Universität Bremen. So werde viel über steuerliche Fragen gesprochen, nicht aber über andere wesentliche Dinge: Was habe ich als Chef erreicht? Wer kommt nach mir? Gibt es eine Wertschätzung für mein Lebenswerk? „Ich vermute, dass vor allem ältere Männer nie gelernt haben, ihr Lebenswerk zu sehen und sich auch klar davon zu lösen", sagt Müller-Christ. Er rät dazu, solche Berater zu engagieren, die auch den „Identitätswechsel" berücksichtigen, den Unternehmer bei einer Übergabe durchlaufen.
Nur wenige nutzen Hilfsangebote
Schaut man sich die Zahl der betroffenen Betriebe an, nutzen nur wenige Chefs die angebotene Hilfe. Im Zeitraum von 2016 bis Oktober 2017 haben in Baden-Württemberg 91 kleinere und mittlere Unternehmen ein staatlich gefördertes Coaching in Anspruch genommen. Weitere 759 Betriebe haben sich von den Nachfolge-Moderatoren beraten lassen. In diese Statistik sind jedoch keine Kurzberatungen eingeflossen, die weniger als acht Stunden gedauert haben.
Für Martina Feierling-Rombach gibt es inzwischen gute Nachrichten. Ihre 25-jährige Tochter und ihr 27-jähriger Sohn wollen die Brauerei fortführen. Im Jahr 2020 will die jetzige Chefin ihren Kindern das Steuer übergeben. „Natürlich wird es eine gewisse Überschneidungszeit geben", sagt Feierling-Rombach. „Aber wir werden sofort ins zweite Glied gehen." Dank der langen Vorbereitungszeit und der Beratung fühlt sich die Brauerei-Inhaberin inzwischen gut gewappnet. „Meine Kinder werden manche Dinge ganz anders machen als wir", sagt sie. „Und sie werden sicherlich auch Fehler machen. Aber genau dazu haben sie das Recht." Denn dann haben sie das Sagen.