Nach dem deutlichen Votum der Mitglieder steht der SPD ein dringend nötiger „Erneuerungsprozess“ ins Haus. Für die designierte Landesvorsitzende der Saar-SPD, Anke Rehlinger, ist das auch eine Frage des Blickwinkels und der Einstellung. Rehlinger über die Zukunft als Volkspartei, Schutzmacht, Fortschrittspartei und Partei der Kümmerer.
Die Erleichterung ist ebenso unverkennbar wie es zuvor die Anspannung war. Anke Rehlinger war zwar in ihrer bekannt optimistischen Art von einem positiven Ausgang des Mitgliedervotums ausgegangen, aber doch eher einem knappen Ergebnis. Jetzt muss die Partei „etwas Gutes“ daraus machen, so ihre erste Reaktion, um im selben Atemzug zu betonen, dass dies nun „ein hartes Stück Arbeit“ bedeutet. Die Reaktionen auf das Mitgliedervotum klangen bereits stark nach einer Job-Beschreibung für ihre neue Aufgabe, wenn sie Heiko Maas als SPD-Landeschefin folgt.
Als der im Jahr 2000 an die Spitze trat, hatte die SPD gerade eine Wahlniederlage in der Folge von Lafontaines spektakulärem Rücktritt zu verdauen. Die Niederlage war knapp, die SPD war 1999 mit 44,4 (!) Prozent der CDU unter Peter Müller nur um wenige tausend Stimmen unterlegen. Es folgte der (bundesweite) Niedergang in Folge der „Agenda-Politik“. Anke Rehlinger erreichte bei ihrer ersten Spitzenkandidatur im vergangenen Jahr 29,6 Prozent, ein Ergebnis, das sich im späteren Jahresverlauf, erst recht gemessen an der Bundestagswahl (20,5 Prozent), trotz Niederlage als durchaus passabel erweisen sollte.
Rehlinger übernimmt das Ruder in einer Zeit, in der selbst die neue CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer die Sorge um die Zukunft von Volksparteien umtreibt. Für die SPD, zuletzt mit Umfragewerten von deutlich unter 20 Prozent, ist es längst zum Kampf um die Zukunft als Volkspartei geworden. Den Status bloß an Prozentzahlen festzumachen, ist für Rehlinger allerdings zu kurz gesprungen. „Ausdruck einer Volkspartei ist, unterschiedliche Meinungen unter einem Dach zu haben. Und trotz Unterschiedlichkeit am Ende Geschlossenheit hinzubekommen, das ist die große Kunst“, beschreibt sie Situation und Aufgabe. Keine Frage, „die Bindungskraft von Volksparteien hat erkennbar abgenommen“, räumt Rehlinger ein. Dennoch glaubt sie nicht, dass in Deutschland, ähnlich wie bei den Nachbarn in Frankreich, das in Auflösung befindliche gesamte Parteiensystem letztlich durch „Bewegungen“ wie Macrons „en marche“ abgelöst würde: „Volksparteien, die ihre Politik aus festen Programmen begründen, haben die Demokratie und damit Deutschland insgesamt als Lebens- und Wirtschaftsraum stabil gehalten.“ Bewegungen, die zudem auch noch auf einzelnen Personen aufbauen, könnten schnell das Schicksal von Eintagsfliegen erleben. Natürlich müsse man „in bestehenden Systemen bereit zu Veränderungen“ sein. Denn wenn ein System „zu starr ist, während sich um einen herum alles bewegt, dann bricht das auch zusammen“.
Vor und währen des Basis-Votums, das die SPD nun erneut auch in Regierungsverantwortung im Bund führt, waren die Mitglieder scharenweise auf die Bäume getrieben worden, und das noch in unterschiedlichen Wäldern, wie es schien. Erst das unberechenbare Hin und Her des Kurzzeit-Hoffnungsträgers und Ex-Parteichefs Martin Schulz, dann die Juso-NoGroKo-Kampagne. „Möglicherweise sitzen wir alle auf dem gleichen Baum und haben nur einen unterschiedlichen Blick darauf, wie es weitergehen soll“, will Rehlinger Brücken bauen.
Ein Kernpunkt des SPD-internen Streits war, ob „Erneuerung“ unter Regierungsbeteiligung oder nur in der Opposition möglich sei. Immerhin bestand und besteht Einigkeit, dass die SPD dringend einen Erneuerungsprozess braucht. „Jeder spricht darüber, aber wir müssen erst einmal definieren, was wir darunter verstehen“, fordert die designierte Landeschefin. Sie glaube nicht, „dass wir die SPD Saar auf völlig neue Füße stellen müssen“. Aber einiges besser machen, vor allem, „weil sich die Rahmenbedingungen verändert haben“. Die Kernfrage für sie ist: „Was heißt Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert?“ Das derzeitige Programm stammt aus dem Jahr 2007, ist gemessen an den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen seither also uralt. Dass der SPD, wie vielfach kommentiert, im Zuge des Wandels der Arbeitswelt und der Gesellschaft die klassische Klientel und damit ihre Themen abhandengekommen wären, will Rehlinger nicht gelten lassen. Im Gegenteil: Bei den großen Umbrüchen Industrialisierung, Automatisierung und jetzt Digitalisierung sei die Kernaufgabe gleich geblieben: „Mit ordnungspolitischen Maßnahmen dafür sorgen, dass Nachteile nicht eintreten, und es gleichzeitig als Fortschrittsthema betrachten, wenn alle daran teilhaben und davon profitieren können.“ Die Arbeitswelt habe sich verändert, Freelancer seien nun mal keine klassischen Gewerkschaftsmitglieder, „aber auch sie brauchen eine Schutzmacht, die für faire Arbeitsbedingungen sorgt“.
Schutzmacht für faire Bedingungen
Was der Partei aus Sicht von Rehlinger aus dem Blick geraten ist, ist die alte Stärke als Partei der „Kümmerer“. „Ich will keine Schlachten in der Programmkommission gewinnen, sondern dass uns die Menschen auf der Straße Recht geben“, fordert sie ein. Und damit einen anderen Blickwinkel: „Was jeweils ein kleines Problem aus unserer Sicht ist, ist das große Problem aus Sicht von dem, den es angeht.“ Auch deshalb habe sie sich „geärgert“, wenn im Blick auf den ausgehandelten Koalitionsvertrag zu vermeintlich kleinen Punkten, die die SPD durchgesetzt hat, gesagt wird, es seien Kleinigkeiten. Was fehle, sei der große Wurf. „Von oben herab konkrete Dinge, die das Leben der Menschen betreffen, als Kleinigkeiten zu betrachten, ist keine Haltung, die wir Sozialdemokraten einnehmen sollten“, mahnt sie an die Adresse der eigenen Leute.
Aus ihrer Sicht ist das Saarland in der künftigen Koalition „inhaltlich stark vertreten“, schließlich seien viele Punkte, die die SPD bereits im Landtagswahlkampf in den Mittelpunkt gestellt habe, aufgenommen, unterstreicht Rehlinger und nennt etwa Entlastung der Eltern bei Kita-Beiträgen („das große Thema im Landtagswahlkampf“), der Aktiv-Passiv-Transfer („wofür ich in den letzten Jahren gekämpft habe“), oder die Grundsicherung bei der Rente, „wobei der wichtige Punkt ist, dass man dafür nicht mehr aufs Sozialamt gehen muss“.
Manchmal seien „auch Teilerfolge Erfolge, gemessen an dem, was möglich war“. Dass die Partei seit jeher eine ausgeprägte Neigung dazu hat, Gläser immer eher als halbleer denn halbvoll zu betrachten, münzt sie zu einer Warnung um, die schon sehr auf die nächsten Wahlkämpfe (Kommunal- und Europawahlen 2019) hinweist: „Wenn ich immer nur sage, was wir nicht erreicht haben, darf ich mich nicht wundern, wenn die Wähler nicht hinreichend begeistert sind von uns.“ Im Ergebnis habe das bei den letzten (Bundestags-)Wahlen immer zur gleichen Erfahrung geführt: „Wir hatten das beste Programm, das motivierteste Team… und das schlechteste Ergebnis.“
Für sie gilt deshalb, gerade in der Konstellation einer großen Koalition im Land und demnächst auch im Bund, klarzumachen: „Das haben wir erreicht, das war bis jetzt möglich, und beim nächsten Mal wird es mehr.“ Vorausgesetzt, die Partei gewinnt Vertrauen zurück. Was bekanntlich „ein hartes Stück Arbeit“ wird.