In Tierversuchen mit Mäusen haben amerikanische Wissenschaftler mit einer neuen Impf-Immuntherapie spektakuläre Ergebnisse erzielen können, sogar unbehandelte Tumore verschwanden. Nun wird die Wirksamkeit des Präparats auch an krebskranken Patienten getestet.
Bösartige solide Tumore werden in der modernen Medizin, sofern sie sich nicht an für eine OP ungeeigneten Körperstellen, zum Beispiel nahe an der Aorta, gebildet haben, grundsätzlich operativ entfernt und anschließend mit Chemo- oder Strahlentherapie, mitunter auch durch eine Kombination von beiden, behandelt. Beide Therapien sind teuer – und nicht immer erfolgreich. Vor allem Metastasen sind häufig nur schwer zu finden und können daher heimlich weiterwachsen. Zudem leiden viele Patienten unter starken Nebenwirkungen. Deshalb wird seit Jahrzehnten an neuen Möglichkeiten zur Bekämpfung von Krebszellen geforscht.
Impfungen sind kein gänzlich neuer Ansatz, aber ein zunehmend vielversprechender – genannt Immuntherapie. Dabei wird das Ziel verfolgt, durch eine ganz bewusste Stimulation des körpereigenen Immunsystems mittels spezifischer Antigene eine bestimmte, letztendlich gegen den Tumor gerichtete Immunantwort zu provozieren, das eigene Immunsystem gewissermaßen durch die Verabreichung von Antikörpern zu mobilisieren. Allerdings sind die gängigen Immuntherapien ebenso mit teils starken Nebenwirkungen, hohen Kosten und langwierigen Behandlungen verbunden.
Statt das Immunsystem im ganzen Körper zu stimulieren, sollte sich idealerweise die Immunaktivität möglichst nur partiell gegen die Krebszellen richten. Genau diese Problematik beschreiben Forscher des renommierten kalifornischen Stanford University Medical Center in ihrer kürzlich im Fachmagazin „Science Translational Medicine" unter Federführung von Idit Sagiv-Barfi und Ronald Levy publizierten Studie. Sie bieten auch gleich die Lösung des Problems an: Durch die punktgenaue Verabreichung und die geringe Dosierung der von ihnen entwickelten und im Tierversuch erfolgreich erprobten Wirkstoff-Mixtur könne eine schnell wirkende, vergleichsweise günstige und mit deutlich weniger Nebenwirkungen verbundene Immuntherapie gewährleistet werden – sofern sich im gerade angelaufenen klinischen Test mit zunächst 15 an Lymphknotenkrebs erkrankten Patienten herausstellen sollte, dass mit der Therapie auch beim Menschen gute Behandlungsergebnisse erzielt werden können. Das dürfte allerdings der große Knackpunkt sein, weil sich bislang die meisten Erfolge in der Krebsbehandlung von Nagetieren nicht so einfach auf den Homo sapiens übertragen ließen.
T-Zellen werden angeregt, die Tumorzellen zu bekämpfen
Die Forscher setzten bei ihrer Studie auf Injektionen mit „Tumorvakzinen", wie die Impfstoffe gegen Tumore genannt werden. Dabei werden die T-Lymphozyten oder kurz T-Zellen genannt – eine Zellgruppe der weißen Blutkörperchen, die gemeinsam mit den B-Lymphozyten für die erworbene Immunabwehr des Körpers verantwortlich sind – gezielt mittels dieser Tumorvakzine auf Krebszellen angesetzt. Nach aufwendigen Experimenten mit 20 Molekülen, darunter verschiedenen Arten von die Immunzellen-Aktivität animierenden Antikörpern, kristallisierte sich eine aus zwei Komponenten zusammengesetzte Wirkstoffkombination als mit Abstand am effektivsten heraus. Von den beiden Substanzen ist eine bereits für die Humanbehandlung zugelassen, die andere wurde bereits in mehreren klinischen Studien getestet. Beim ersten Mittel handelt es sich um ein DNA-Schnipsel namens CpC-Oligonukleotid, das die Immunzellen im Tumor dazu anregen soll, verstärkt das auf den T-Zellen sitzende Protein OX40 zu produzieren. Dieses Protein wird als Rezeptor genutzt, an den sich die zweite Substanz, der Antikörper gegen genau dieses OX40, andocken soll. Erst dieses Andocken bewirkt, dass die T-Zellen die Krebszellen, die ja aus körpereigenen Zellen hervorgegangen sind, als Feinde erkennen und angreifen können, ohne sich dabei wie zuvor von den Abwehrmechanismen der Tumorzellen, beispielsweise hemmenden Signalmolekülen auf der Oberfläche der T-Zellen, behindern zu lassen.
Ihre wichtigsten Erkenntnisse gewannen die Forscher mit 90 Mäusen, denen zwei Lymphdrüsentumore an verschiedenen Stellen ihres Körpers transplantiert worden waren. Nur in einen der beiden wurden punktgenau die Wirkstoffe injiziert. Innerhalb von zehn Tagen waren diese behandelten Tumore verschwunden. Nach nicht einmal 20 Tagen waren darüber hinaus aber auch die unbehandelten Krebsgewebe verschwunden. Das erklärten die Wissenschaftler damit, dass einige der tumorspezifischen, aktivierten T-Zellen den ursprünglichen Tumor verlassen hatten, um sich im Körper auf die Suche nach weiteren identischen Tumoren zu machen und diese anschließend ebenfalls zu zerstören. 87 von 90 Mäusen konnten vom Krebs geheilt werden, nur bei drei Nagern trat die Erkrankung erneut auf, konnte aber mit Hilfe einer zweiten Behandlung endgültig beseitigt werden.
Bei verschiedenen Krebsarten einsetzbar
Ronald Levy berichtet: „Unser Ansatz verwendet eine einmalige Anwendung von sehr kleinen Mengen zweier Wirkstoffe, um die Immunzellen nur innerhalb des Tumors selbst zu stimulieren. Bei den Mäusen beobachteten wir erstaunliche, körperweite Effekte, einschließlich der Beseitigung des Tumors im gesamten Tier." Ähnliche positive Ergebnisse wie beim Lymphknotenkrebs konnten die Forscher bei Mäusen mit Brust-, Dickdarm- oder Melanom-Tumoren beobachten. Dabei trafen sie bei ihren Versuchen immer wieder auf das erfreuliche Phänomen, dass sich bei den Tieren keine Metastasen gebildet hatten, nachdem deren erster Tumor erfolgreich behandelt worden war. Daher gehen die Mediziner mit Levy an der Spitze, der als einer der Pioniere der Immuntherapie gilt und an der Entwicklung des bekannten Medikaments Rituximab mitbeteiligt war, davon aus, dass ihre Wirkstoff-Kombination bei den verschiedensten Krebsarten heilend eingesetzt werden könne. Levy sagt dazu: „Ich glaube nicht, dass es eine Grenze für die Art von Tumor gibt, die wir potenziell behandeln könnten, solange der Tumor vom Immunsystem infiltriert wurde."
Geht es nach den Vorstellungen der Forscher, dann sollte ihre Wirkstoffkombination vor einer Operation in den Tumor injiziert werden. So sollen schon vor dessen Entfernung Metastasen bekämpft werden und dadurch ein erneuter späterer Ausbruch der Krankheit verhindert werden. Allerdings lässt sich die Therapie immer nur auf jeweils eine bestimmte Krebsart anwenden. Bei einem entsprechenden Versuch mit einer Maus, der drei Tumore eingepflanzt wurden, verschwand nach Behandlung eines der beiden Lymphdrüsengewebe auch das zweite, während der Darmkrebs ungehindert weiterwuchs. •