Seit fast 100 Jahren verfolgt Interpol weltweit Verbrecher. Nun rückt die Polizeiorganisation mit Sitz in Lyon erstmals selbst in den Fokus. Anlass sind dubiose Millionen-Abkommen mit korrupten Sportverbänden, multinationalen Firmen und autoritären Staaten.
Interpol, dieses Kürzel kennen viele aus Actionfilmen und Serien. So spielten Johnny Depp und Angelina Jolie im Hollywood-Blockbuster „The Tourist“ zwei Interpol-Agenten, die mit einem Mafiosi eine Rechnung zu begleichen haben. Dass das mit der Realität wenig zu tun, wissen die meisten. Meist ist Interpol schließlich dann in den Nachrichten, wenn mal wieder ein Verbrecher geschnappt wurde. 111 Personen stehen derzeit auf der Fahndungsliste, die im Internet öffentlich einsehbar ist. Die Leistungen Interpols bei der weltweiten Suche nach Kriegsverbrechern und Terroristen stehen außer Frage. Doch nun muss sich die internationale Polizeibehörde die Frage stellen lassen, ob sie parteiisch ist. Denn seit einigen Jahren hat Interpol Millionenabkommen abgeschlossen: mit der Fifa, mit dem Internationalen Olympischen Komitee, Philip Morris, der Pharmaindustrie und den autoritären Staaten Katar und Vereinigte Arabische Emirate.
Die Polizeiorganisation Interpol wird von 192 Mitgliedsländern getragen. Nach den Vereinten Nationen ist sie die größte zwischenstaatliche Vereinigung der Welt. Sie dient den nationalen Kriminalpolizeibehörden dazu, sich über Staatengrenzen hinweg zu vernetzen und zusammenzuarbeiten. Die Organisation mit Sitz im französischen Lyon schult überdies Polizisten und Zollbeamte aus aller Welt. Doch Interpol steht aktuell selbst massiv unter Beschuss. Nicht nur NGO-Vertreter, sondern sogar Raymond Kendall, Interpols ehemaliger Generalsekretär (1985 – 2001), kritisieren Interpols Millionen-Verträge mit Unternehmen und Sportverbänden scharf.
Private Mittel können abhängig machen
Unter ihrem zwischen 2000 und 2014 amtierenden Generalsekretär Ronald Noble, einem US-Amerikaner, hat sich die Organisation rasant fortentwickelt und ihre Aufgaben ausgeweitet. Die Erfolge sind allgemein anerkannt, doch sie haben auch einen Preis. Da die Mitgliedsstaaten ihre Beiträge nicht erhöhen wollten, die Kosten aber explodierten, schloss Noble gleich mehrere große Deals mit Privaten ab: Von der Fifa sollte die Organisation 20 Millionen Euro, verteilt auf zehn Jahre, erhalten, von Philip Morris zehn Millionen Euro, verteilt auf fünf Jahre und von der Pharmaindustrie weitere 4,5 Millionen Euro, verteilt auf drei Jahre. 2014 entschieden die Mitgliedsstaaten, ihr Budget künftig sogar bis zu 50 Prozent für Einnahmen aus der Wirtschaft zu öffnen.
Der Deutsche Jürgen Stock, der seit Ende 2014 an der Spitze Interpols steht, führte eine externe Ethik-Kommission, einen „Due Dilligence“ (DD = „mit gebotener Sorgfalt“) Officer genannten Finanzaufseher und mehr Transparenz ein. Mit den Abkommen aber passierte zunächst wenig. Erst als sich Interpol im Frühsommer 2015 in der pikanten Situation wiederfand, mehrere Fahndungsgesuche gegen Fifa-Funktionäre auszustellen, wurde dieser Deal aufgekündigt. Andere Vereinbarungen liefen, wie im Falle von Philip Morris und der Pharmaindustrie, einfach aus. Ein weiteres, zehn Millionen Dollar schweres Abkommen mit dem Komitee der nach wie vor unter Korruptionsverdacht stehenden Fußball-WM in Katar besteht dagegen weiter.
Doch auch unter Stock gibt es neue fragwürdige Deals. Seit 2015 läuft ein eineinhalb Millionen Euro schweres, auf drei Jahre angelegtes Abkommen mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) mit dem Ziel „die Sicherheit und die Integrität im Sport zu erhöhen“, vor allem im Bereich des Dopings, der Spielmanipulation und der Korruption. Pikant ist dabei: Das IOC hat selbst eine lange Geschichte der Korruption. Erst im Dezember 2015 leitete die Schweizer Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen möglicher Bestechung im Zusammenhang mit der Vergabe der Olympischen Spiele in Rio 2016 und Tokyo 2020 ein. Anfang des Jahres berichtete die ARD-Doku „Geheimsache Doping – Das Olympiakomplott“ zudem über die fragwürdige Rolle des IOC im Skandal um das russische Staatsdoping. Die Zuwendung mit dem IOC sei vollständig in Einklang mit den Due-Dilligence-Richtlinien der Organisation, erklärt dagegen Interpol auf Anfrage. Man arbeite deshalb auch künftig weiter nicht nur mit dem IOC, sondern auch mit der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) zusammen, mit der ebenfalls ein derartiges Abkommen besteht.
In der Kritik steht ebenfalls die bisher nahezu unbekannte, 2013 eingerichtete, Interpol-Stiftung mit Sitz in Genf. Laut Handelsregister setzt sich die „Interpol-Stiftung für eine sichere Welt“, wie sie korrekt heißt, für den „Ausbau der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung“ ein mit dem Ziel, „Verbrechen auszumerzen“, indem sie „auf das Thema Sicherheit aufmerksam macht und Organisationen unterstützt, die Verbrechen bekämpfen“. Wie nun bekannt wird, wurde über die Stiftung eine, auf fünf Jahre verteilte, 50-Millionen-Spende der Vereinigten Arabischen Emirate abgewickelt, die im Rahmen der Finanzierungsrichtlinien nicht als direkte Zuwendung an Interpol akzeptiert worden wäre. Interpols Richtlinien sehen eine Begrenzung einzelner außerplanmäßiger Zuwendungen vor, um den Einfluss einzelner Mitgliedsstaaten zu begrenzen. Verständlich: Bei einem Gesamtbudget von seinerzeit 113 Millionen Euro fiel die erste Tranche von zehn Millionen aus den Emiraten nämlich durchaus ins Gewicht, katapultierte sie doch die für Menschenrechtsverletzungen bekannten Emirate an die Spitze aller zahlenden Mitgliedsstaaten.
Wenn die Emiratean Interpol zahlen ...
Bedenken zu einer Einflussnahme durch solche Großspenden erscheinen angebracht. Die Vereinigten Arabischen Emirate konnten ihre Rolle im Interpol-Netzwerk seit der Spende deutlich stärken. Die nächste Interpol-Generalversammlung wird in den Emiraten stattfinden: Die Polizisten treffen sich im November in Dubai. Ein Zufall? Fakt ist jedenfalls auch: Scheich Mansour, Vize-Premier der Emirate, hat mittlerweile als Vorstandsmitglied der Interpol-Stiftung sogar ein Zeichnungsrecht. Ein mit der Stiftung verbundenes Interpol-„Weltbüro“ sei in Abu Dhabi eröffnet worden, berichtete die staatliche Presseagentur WAM im Mai 2016 – ausgerechnet als auch das Abkommen mit der Stiftung eingefädelt wurde. Interpol erklärt dazu, dass es in Abu Dhabi nur einen Ableger betreibe, dabei handele es sich um das nationale Zentralbüro.
Auch mit der Pharmaindustrie gab es unter Stock ein neues Abkommen. Kürzlich schloss Interpol einen neuen, 300.000 Euro schweren Vertrag mit dem IRACM. Dabei handelt es sich nicht, wie die Webseite glauben lassen möchte, um einen unabhängigen Akteur im Kampf gegen gefakte Arzneimittel. Das Zentrum mit Sitz in Paris wird fast ausschließlich vom Pharmakonzern Sanofi getragen.
„Wir erachten es als heikel, wenn Interpol von privaten Organisationen mitfinanziert wird“, unterstreicht Martin Hilti, Geschäftsführer von Transparency International Schweiz. Dadurch könnten Interessenkonflikte entstehen und die Unabhängigkeit von Interpol in frage stehen. So bestehe insbesondere die Gefahr, dass Private auf die Tätigkeit von Interpol Einfluss nehmen. Mit dieser Einschätzung steht Hilti ganz eindeutig nicht alleine da.