Seit 2015 wird in Merzig das autonome Fahren erforscht, seit vergangenem Jahr ausgeweitet auf Frankreich und Luxemburg. Bis dato hat sich jedoch noch nicht viel in Sachen Zusammenarbeit getan. Forschungsleiter Prof. Horst Wieker sieht die Zukunft dennoch optimistisch.
Prof. Wieker, in Deutschland und Europa wird mit Hochdruck am Fahren der Zukunft geforscht. Wann werden selbstfahrende Autos hierzulande zum Straßenbild gehören?
Wir haben die Situation teilweise schon. Das ist eine Frage der Begriffsdefinition. Es gibt verschiedene Phasen des automatisierten Fahrens. Die Endstufe, das Level fünf, ist das wirklich fahrerlose Fahren, wo die Fahrzeuge kein Lenkrad mehr haben. Also: Ich sage irgendjemand, ich will in den nächsten fünf Minuten von Saarbrücken-Klarenthal in die Innenstadt gefahren werden, und dann kommt ein Auto vorbei, oder ich habe sogar so einen Kasten zu Hause stehen. Da werden wir über 2030 hinausschießen.
In was für einem Auto sehen Sie sich selbst in Zukunft?
Solange ich mich noch selbst bewegen kann und noch nicht Rollator-fähig bin, werde ich selber mit dem Auto fahren. Aber das nächste Fahrzeug ist jetzt schon klar: Es wird Level-drei-Funktionen haben, das heißt erweiterte automatisierte Fahrfunktionen, die mich beim Fahren unterstützen. Das Gute daran ist, dass ich gezwungen bin, noch immer am Straßenverkehr teilzunehmen. Aber in Verkehrssituationen, in denen es etwa nur im Stop-and-go weitergeht, wünsche ich mir, dass mir das Fahren technische Systeme abnehmen. Das dauernde Wieder-Anfahren und das ständige Aus- und Einkuppeln – wenn mir das Auto das abnimmt, ist das eine feine Sache, die ich nicht missen möchte. Mein Vater, der in diesem Jahr wohl 90 wird, würde sich sofort ein Level-Fünf-Fahrzeug kaufen.
Wird es künftig überhaupt noch Individual-Verkehr geben? Ist nicht der ÖPNV die Zukunft?
Die mobile Zukunft wird ein Mischbereich sein. Wir werden viele Bereiche mit dem herkömmlichen ÖPNV gar nicht abdecken können, weil das ökonomisch nicht machbar ist. Es wird ein Individualverkehr immer vorhanden sein. Zudem wird der ÖPNV ein großer Abnehmer von hochautomatisierten Fahrzeugen sein, weil ich damit in zwei Bereichen einen Vorteil habe: Zum einen kann ich Zeiten in den Ballungszentren verkürzen, ich kann Lastspitzen während der Rushhour deutlich besser auffangen, weil ich keine Fahrer brauche. Diese müsste ich dafür extra einstellen, und die würden dann in anderen Zeiten rumsitzen. Zum anderen laufen diese Fahrzeuge auf bestimmten Strecken, die ich so umrüsten kann, damit diese sich dort vernünftig bewegen können.
Dabei sind der Stadtrand und der ländliche Raum hoch interessant. Mit kleineren Fahrzeugen für etwa zehn Personen, den sogenannten People-Movern, könnte ich den ländlichen Raum abdecken und etwa ältere Menschen zum Arzt und zum Einkaufen bringen. Hier kann ich der Landflucht etwas entgegenwirken.
In Deutschland fördert das Bundesverkehrsministerium vielerorts Testfelder. Was ist das Besondere am Testfeld Deutschland-Frankreich-Luxemburg?
Erstens sind wir mit unseren französischen und luxemburgischen Kollegen in engem Kontakt. Weil wir das Testfeld in Merzig aufgebaut haben, haben wir gegenüber anderen Bundesländern einen eindeutigen Vorteil gehabt. Zudem hat die Frankreich-Strategie der Landesregierung eine große Rolle gespielt.
Zweitens entwickeln wir in Merzig die Komponenten für die Level-Vier- und Level-Fünf-Fahrzeuge, für die fahrerlosen Fahrzeuge. Level-Vier ist eigentlich schon fahrerloses Fahren, nur der Fahrer kann noch eingreifen. Mit der Infrastruktur werden wir ganz andere Möglichkeiten erforschen, um solche Fahrzeuge sicher durch den Straßenverkehr zu bringen, ohne dass andere Verkehrsteilnehmer gefährdet sind.
Was ist der Unterschied zu anderen Testfeldern?
Der Schwerpunkt liegt im Prinzip ähnlich. Es gibt Testfelder, die mehr auf Infotainment aus sind, und es gibt Testfelder, die mehr auf multimodalen Reiseverkehr setzen. Da ist der ÖPNV integriert. In Großstädten wie Düsseldorf wird getestet, wie man den Verkehrsfluss verbessern kann. In anderen Städten wie in Hamburg mit seinem Hafen steht der Logistik-Bereich im Fokus.
Die Testfelder sind keine einzelnen Projekte, sondern Plattformen, wo die Firmen oder Forschungskonsortien reingehen, um bestimmte Dinge zu testen – ähnlich wie eine Plattform, um Energie zu bekommen. Das nennt sich dann Tankstelle. Zudem sind wir grenzüberschreitend unterwegs. Eine Rotlichtampel soll in Frankreich genauso funktionieren wie in Merzig. Das ist eines unserer Alleinstellungsmerkmale.
Wie weit sind die Tests gediehen?
Die Testfelder werden derzeit weiter aufgebaut. Auf allen Seiten müssen noch Einrichtungen nachgezogen werden, wie sie etwa im EU-Projekt „c-roads", in dem sich Autobahnbetreiber zusammengeschlossen haben, vorgeschrieben sind. In Frankreich gibt es schon einige Testfelder, die mit unseren vergleichbar sind, eines ist die Autobahn in Richtung Metz. Wann was getestet wird, hängt nicht von uns ab, sondern von den Firmen und den Tests in speziellen Forschungsprojekten wie dem zum G5-Standard. Wir werden die Straßen so ausrüsten, wie es den sich ständig ändernden internationalen Standards entspricht. Das ganze fängt jetzt erst mal an zu laufen.
Das deutsch-französisch-luxemburgische Testfeld wurde im vergangenen Jahr gestartet. Hat die langwierige Regierungsbildung in Deutschland die Pläne zum Stocken gebracht?
(lacht) Gute Frage, nächste Frage. Das liegt außerhalb unseres Aufgabenbereichs.
Was hat das Bundesverkehrsministerium denn bisher gemacht, und was erwarten Sie vom neuen Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU)?
Ein paar Sachen sind schon ins Stocken geraten. Die Ministerien warten darauf, dass sie weitermachen und neue Programme aufsetzen können. Und das können sie erst dann, wenn ein Haushalt verabschiedet ist. Wir haben definitiv durch die lange Regierungsbildung etwas Zeit verloren.
Bisher wurde für das Testfeld in der Großregion die Plattform ins Leben gerufen. Das bedeutet zunächst einmal politische Unterstützung. Fördermittel vom Bund gibt es dafür bisher noch nicht.
Wie sieht die Zusammenarbeit in der Großregion aus?
Was die Luxemburger beantragt haben, weiß ich nicht. Zusammen mit den Franzosen wollen wir ein gemeinsames „People-Mover"-Fahrzeug testen. In Frankreich gibt es schon einige Testfelder, etwa bei Paris und Bordeaux, wo teils auf abgesperrten, teils auf wenig befahrenen Straßen getestet wird. In der Region Metz wird jetzt rein im laufenden Straßenverkehr getestet.
Erst kürzlich hat ein selbstfahrendes Auto der Privattaxi-Firma Uber in den USA eine Radfahrerin überfahren. Solche Unfälle mit selbstfahrenden Autos haben Ressentiments gegen die neue Technik geschürt. Sind solche Unfälle in Europa ausgeschlossen?
Ausgeschlossen ist so was nie. Wer meint, er könne so was ausschließen, der lügt. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass so was passiert, ist zurzeit hier in Europa deutlich geringer als in den USA. Es gibt zwei völlig unterschiedliche Entwicklungsphilosophien. In den USA herrscht ein revolutionärer Ansatz vor. Das heißt, so schnell wie möglich mit einem Produkt an den Markt zu kommen. Dabei wird in Kauf genommen, dass das Produkt noch nicht 100-prozentig ausgereift ist.
In Europa geht man vorsichtiger ran – „evolutionär". Das bedeutet, dass man schrittweise vorgeht. Ziel ist natürlich auch, schneller zu sein als der Konkurrent. Aber bevor ich das mache, fahre ich ganz andere Tests. Man versucht erst mal die Level-drei- und die Level-vier-Funktionen zu bekommen und nicht gleich den großen Sprung zu machen. Man geht mit deutlich besser getesteten Produkten an den Markt. Einige zweifeln daran, dass etwa Uber das viele Geld für solche Tests investiert hat. Die Deutschen folgen dem evolutionären Prinzip. Die Japaner gehen sogar noch konservativer da ran. Das kann uns hier zufriedener stimmen. Neue Produkte haben einen ganz anderen Reifegrad als irgendwo anders.
Die Landesregierung stellt immer wieder heraus, das Saarland wolle auch beim automatisierten Fahren mit vorn dabei sein. Was muss getan werden, damit das Saarland nicht abgehängt wird?
Gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) und Saaris (Standort- und Innovationsförderung) bauen wir gerade das Netzwerk Kosmos (Kompetenzregion Smart Mobility Saar) auf. Wir wollen herausfinden, was die Kompetenzen für Elektromobilität und automatisiertes Fahren in der Großregion sind und was wir für Lücken haben. Die Frage ist: Wie kann man Wissenschaft und Wirtschaft ausbauen und koordinieren, um das Land voranzubringen? Jetzt hoffen wir, dass wir dafür auch Geld bekommen.