Jahrelang lag der soziale Wohnungsbau am Boden. Fördermillionen blieben ungenutzt. Jetzt will das Bauministerium mit einem Kraftakt die Wohnraumförderung auf neue Füße stellen.
Kaum war die Zahl 1.700 in der Welt, hagelte es Vorwürfe und Schuldzuweisungen über Versäumnisse der Vergangenheit. Es schien, als sei fast über Nacht ein neues, drängendes Problem aufgetaucht. Dabei ist die Entwicklung alles andere als neu und schon lange bekannt. Es fehlt, bundesweit wie auch im Saarland, an bezahlbarem Wohnraum. Man habe „das Problem unterschätzt" und die Programme hätten „nicht gegriffen", konstatiert der saarländische Bauminister Klaus Bouillon (CDU), wobei er die Zahl von fehlendem bezahlbaren Wohnraum für 1.700 Menschen alleine in der Landeshauptstadt so nicht im Raum stehen lassen will. Die stammt von der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung und sei wohl eine „theoretisch abgeleitete Zahl", so ein ranghoher Mitarbeiter des Ministeriums. Das Pestel-Institut habe in einer Studie eine deutlich geringere Zahl (8.000) genannt.
53 Millionen Euro für Aktionsprogramm
Dieses Pestel-Institut, eine Forschungseinrichtung mit Schwerpunkten Regionalwirtschaft, Wohnungsmärkte und Demografie, hatte bereits vor drei Jahren einen Bedarf von rund 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr in Deutschland ermittelt. Fertiggestellt wurden 2015 rund 260.000 Wohnungen, mithin ergab sich eine Lücke von 140.000. Gebraucht würden neben 80.000 Sozialwohnungen (sechs Euro pro Quadratmeter) 60.000 Einheiten im „bezahlbaren Wohnungsbau" (7,50 Euro/Quadratmeter), hatte der Autor der Studie, Mathias Günther, damals errechnet.
Im selben Jahr 2015 hatte das saarländische Finanzministerium den Bestand an Sozialwohnungen im Saarland mit rund 1.000 angegeben. Neubau im Sozialwohnungsbereich war zum Erliegen gekommen. Vorhandene Fördermillionen wurden stattdessen in Sanierung gesteckt. Der Bestand an Sozialwohnungen im Saarland sank von 2.300 im Jahr 2013 auf knapp unter 1.000 im Jahr (2016), wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Grünen-Bundestagsabgeordneten Markus Tressel hervorgeht. Der hatte schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass der soziale Wohnungsbau im Saarland brachliegt. Als einziges westdeutsches Bundesland sei bereits in der Zeit von 2010 bis 2014 keine einzige neue Sozialwohnung gebaut worden. Damit war das Saarland zwar Schlusslicht, aber der Trend war bundesweit zu beobachten. Trotz zusätzlicher Bundesmittel würden pro Jahr etwa 45.000 Sozialwohnungen „aus der Bindung herausfallen", fasst Caren Lay, damals Fraktionsvize der Linken im Bundestag, Anfang vergangenen Jahres die Antworten der Bundesregierung auf ihre „Große Anfrage" zusammen.
2007 sind die Länder im Zuge der Föderalismusreform für den sozialen Wohnungsbau zuständig geworden. Dafür erhielten sie vom Bund zunächst Kompensationsleistungen von etwas über 500 Millionen Euro (die Fördermittel wurden unter anderem zur Bewältigung der Flüchtlingskrise seit 2015 mehrfach deutlich aufgestockt). Da aber die Länder in den letzten Jahren unter dem Diktat der Schuldenbremse standen, schien die Verlockung groß, zumindest Teile dieser Fördergelder für andere Aufgaben abzuzwacken. Der Verdacht, dass es dazu im Haushaltsnotlageland Saarland gekommen sein könnte, wurde genährt, als durch Tressels Anfrage herauskam, dass das Land zwischen 2007 und 2017 rund 91 Millionen Euro für Wohnraumförderung vom Bund bekam, aber nur die Hälfte verausgabt wurde.
Nach Angaben des Bauministeriums wurden 45 Millionen unmittelbar für Wohnraumförderung ausgegeben. Vier Millionen seien allerdings für andere Baumaßnahmen eingesetzt worden, dies aber im rechtlich zulässigen Rahmen. Zudem seien sieben Millionen an die Gemeinden für Wohnraum für Flüchtlinge weitergegeben worden. Diese Maßnahme, in erster Linie zur Aktivierung von Leerständen, komme allerdings letztlich nicht nur Flüchtlingen, sondern dem gesamten sozialen Wohnungsmarkt zugute, hatte der Minister immer wieder betont.
Die verbleibenden 35 Millionen Euro aus den Bundeszuschüssen der Vergangenheit stünden weiter zur Verfügung. Zusammen mit 18 Millionen Zuschüssen ergebe das immerhin einen 53 Millionen-Euro-Topf für ein „Aktionsprogramm Wohnbauprogramm", so Bauminister Bouillon.
Dass für ein klammes Land beträchtliche 35 Millionen Euro liegen geblieben sind, hat offensichtlich auch mit Konstruktionsfehlern zu tun, was der Minister mit seiner Feststellung, die Programme hätten „nicht gegriffen", umschreibt. Für die Planungen sind die Kommunen zuständig. Für Zuschüsse aus Förderprogrammen müssen sie einen Eigenanteil von einem Drittel aufbringen, was viele der bekanntermaßen notleidenden Saar-Kommunen nicht leisten können. Bouillon denkt deshalb über die Möglichkeit nach, diesen Anteil auf zehn Prozent zu senken. Zudem will der Minister gegen den hohen Leerstand mit einem Abrissprämienprogramm zu Felde ziehen. Schließlich würden die Abrisskosten vielfach die finanziellen Möglichkeiten übersteigen.
Zur Förderung sozialer Mietwohnungen will der Minister einer zentralen Forderung, wie sie auch von Saarbrückens Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD) mit Hinweis auf Regelungen etwa im Nachbarland Rheinland-Pfalz erhoben wurden, nachkommen. Schon lange war kritisiert worden, dass Fördermittel aufgrund unattraktiver Bedingungen, wie sie die Landesregierung erst im vergangenen Jahr festgesetzt hat, nicht in Anspruch genommen würden. Für 1.000 Euro Förderung pro Quadratmeter könne keine Wohnungsbaugesellschaft wirtschaftlich auf ihre Kosten kommen. Jetzt soll die Summe auf 1.750 Euro angehoben werden. Auch an dieser Stelle sieht das Ministerium die Kommunen in der Planungspflicht, weil praktisch kein Geschosswohnungsbau mehr stattgefunden hat. Für preisgünstiges studentisches Wohnen sollen fünf Millionen bereitgestellt werden, nicht nur, um einen Ersatz für das leer stehende Wohnheim D zu schaffen. Zusätzlich sind eine ganze Reihe Fördermöglichkeiten insbesondere für Familien vorgesehen.
Bau-Boom treibt Kosten in die Höhe
Allerdings, so betont der Minister, seien die bauministeriellen Pläne noch nicht abschließend mit dem Koalitionspartner SPD abgestimmt. Aber wer wolle nicht, dass jetzt aufs Tempo gedrückt werde, so seine rhetorische Frage.
Doch selbst wenn das ohne größere Probleme über die Bühne gehen sollte, wartet in der Umsetzung ein nicht zu unterschätzendes Problem. Denn bereits jetzt wird deutlich, welche Folgen die strikte Einhaltung der Schuldenbremse nach sich zieht. Zum einen auf der planerischen Seite, wo sich der Personalabbau der Vergangenheit rächt. Zum anderen beim Bauen selbst. Da mit den sprudelnden Einnahmen nun zumindest ein Teil des versäumten Investitionsbedarfs vergleichsweise kurzfristig nachgeholt werden kann und soll, führt das mit steigender Nachfrage zu steigenden Preisen. Das umso mehr, als auch im Bereich der Bauwirtschaft die Kapazitäten in den letzten Jahren der Zurückhaltung im Investitionsbereich angepasst wurden. Waren in der Vergangenheit Baukostensteigerungen im Bereich von 1,5 bis zwei Prozent zu verzeichnen, sind es nun, da der Bau-Markt boomt, nach Angaben von Experten des Ministeriums fünf bis sechs Prozent.