Es gibt neue Hoffnung für Prostatakrebs-Patienten, bei denen alle gängigen Therapien erfolglos geblieben sind. Deutsche Forscher haben ein neues Diagnostikum und Therapeutikum entwickelt, mit dem in der medizinischen Praxis schon bemerkenswerte Ergebnisse erzielt werden konnten.
Prostatakrebs ist bei Männern weltweit der bösartigste Tumor und die dritthäufigste krebsbedingte Todesursache. In Europa sterben jährlich mehr als 300.000 Männer an dieser Krankheit, in Deutschland sind es rund 12.000. Die Zahl der registrierten Neuerkrankungen liegt in der Bundesrepublik derzeit bei rund 65.000.
Zur medizinischen Behandlung eines Prostatakarzinoms steht eine Reihe von Therapien zur Verfügung, von Hormontherapie über Operation bis hin zu Chemotherapie. Wenn all diese Behandlungsmethoden ausgeschöpft waren, ohne dass eine Heilung erzielt oder ein Fortschreiten der Krankheit, meist verbunden mit Metastasenbildungen, gestoppt werden konnte, waren die Ärzte bis vor wenigen Jahren mit ihrem Latein am Ende. Denn für diese schwerkranken Patienten gab es keine Therapie-Möglichkeiten mehr.
Das änderte sich grundlegend im Jahr 2012, als in der Abteilung für Radiopharmazeutische Chemie am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ) ein Molekül namens PSMA-11 entwickelt wurde. Mit dessen Hilfe und seinem Nachfolger-Wirkstoff PSMA-617, die beide in Kombination mit radioaktiven Substanzen verabreicht werden, konnten ganz neue Wege in der Diagnose und Behandlung von fortgeschrittenen und therapieresistenten Prostatakarzinomen eingeschlagen werden.
Bislang wurde es aber nur im Rahmen von individuellen Heilversuchen eingesetzt, erstmals 2011 von Nuklearmedizinern der Uniklinik Heidelberg unter Leitung von Direktor Prof. Uwe Haberkorn. Doch auch ohne offizielle Zulassung sind die Verfahren so erfolgreich, dass sie sich in der medizinischen Praxis durchgesetzt haben – und zwar ganz ohne Zutun der Pharmaindustrie. PSMA-Diagnostik und -Therapie, die künftig als nichtinvasive Praktiken die Gewebeentnahmen als bislang einzig zuverlässige Methode bei der Diagnose von Prostatakrebs ersetzen könnten, werden aktuell schon an mehr als 30 deutschen Krankenhäusern angeboten, darunter befinden sich fast alle Unikliniken.
Änderung der Therapiewahl
Stichwort PSMA: Das Prostataspezifische Membranantigen (PSMA) ist auf der Oberfläche von Prostatazellen angesiedelt. Der Eiweißkörper findet sich zwar auch auf gesunden Prostatazellen, doch in vielmals höherer Konzentration bei Prostatakrebszellen. Da das PSMA im übrigen menschlichen Körper kaum oder so gut wie gar nicht vorkommt, erfüllte es für die Heidelberger Forscher das wesentliche Kriterium als Krebsmarker. Genau für dieses Zielmolekül PSMA entwickelte man am DKFZ ein Peptid namens PSMA-11, das als Ligand, sprich als Substanz, die an einen Rezeptor anbinden kann, geradezu magnetisch vom Membranantigen angezogen wird und sich dabei an PSMA andockt.
Dank der Ankoppelung eines schwach radioaktiven Isotops oder Radionuklids namens Gallium-68 an das PSMA-11-Molekül konnten bei Patienten, denen vor der Untersuchung der Kombi-Wirkstoff intravenös über einen Venenkatheder zugeführt wurde, die genauen Positionen von Karzinomen und Metastasen sichtbar gemacht werden. Bei mehr als 1.000 individuellen Untersuchungen ließen sich die Vorteile der PSMA-Diagnose bereits feststellen.
„Die Bildgebung ist spektakulär", schwärmt DKFZ-Chemiker Prof. Klaus Kopka. „Manche Menschen haben Hunderte Metastasen." Die Erkenntnisse haben großen Einfluss auf die Therapieauswahl. Bei vielen Metastasen kann eher eine Hormon- oder eine Chemotherapie sinnvoll sein, während bei Patienten mit wenigen Tochtergeschwülsten eher eine Operation oder Strahlentherapie ratsam sein dürfte. „Bei der Hälfte der Patienten", berichtet der Radiopharmazeut Prof. Matthias Eder von der Universitätsklinik Freiburg, „führen die Ergebnisse zu einer Änderung der Therapiewahl."
Da bislang nur Studien vorliegen, die den Nutzen der Therapie rückblickend (retrospektiv) bewerten, wurde Ende 2017 eine prospektive Studie mit 150 Probanden an elf Kliniken im deutschsprachigen Raum gestartet. Bei positiven Resultaten, die schon Ende 2018 erwartet werden, soll die PSMA-Diagnose als fester Bestandteil der gesetzlichen Krankenversorgung beim Prostatakrebs etabliert werden. Bislang müssen die meisten Patienten die Bildgebungskosten von 1.000 Euro selbst übernehmen, einige Privatversicherte können mit einer Erstattung rechnen. Als Ersatz für die Früherkennung von Prostatakrebs im Rahmen der bekannten Vorsorgescreenings dürfte die PSMA-Diagnose allerdings auch künftig nicht zum Einsatz kommen.
Im Jahr 2013 entwickelten Forscher des DKFZ mit PSMA-617 eine neue Liganden-Variante, die mit stärkeren Strahlenquellen beladen werden kann und sich daher zum Einsatz als Therapeutikum eignet. Bislang wurde meist das Radionuklid Lutetium-177 zum Einsatz gebracht, auch wenn die Heidelberger Forscher derzeit auch schon mit dem radioaktiven Alphastrahler Actinium-225 experimentieren. PSMA-617 reichert sich stark in Tumoren und Metastasen an und wird gut in den Krebszellen gespeichert. Der Partnerwirkstoff Lutetium-177 kann nach dem Eindringen in die Krebszelle diese quasi durch die Strahlung von innen zerstören. Angewandt wird dieses experimentelle Verfahren bislang nur bei Patienten, bei denen alle anderen zugelassenen Behandlungen versagt haben. Erste Studien zeigten bemerkenswerte Ergebnisse bei gleichzeitig geringen Nebenwirkungen. Prof. Uwe Haberkorn: „Die Ergebnisse waren so vielversprechend, dass wir so bald wie möglich in einer klinischen Studie prüfen wollen, ob PSMA-617 anderen Therapieverfahren überlegen ist."
Klinische Studien sollen bald folgen
Erfahrungsgemäß dürfte es allerdings noch einige Jahre dauern, bis hierzulande eine offizielle Zulassung für die Therapie ausgesprochen werden wird. Allerdings haben bereits US-amerikanische Pharma-Unternehmen Interesse an der Heidelberger Erfindung bekundet. So hat die US-Firma Endocyte bereits Ende letzten Jahres angekündigt, in den Staaten eine Zulassungsstudie für PSMA-617 mit Lutetium-177 zu initiieren. Sie soll noch 2018 starten und bis 2020 abgeschlossen sein.
In der Regel werden bei der Therapie drei Zyklen im Abstand von acht Wochen durchgeführt. Die Patienten sollten auf jeden Fall noch gut funktionierende Nieren- und Knochenmarkfunktionen haben. Die Behandlung selbst mit der Infusion des radioaktiven Präparats dauert eine Viertelstunde, nach einer Beobachtungszeit von rund 48 Stunden kann der Patient die Klinik wieder verlassen.
Einziger Wermutstropfen für manche schwer Prostatakrebskranke: Rund zehn Prozent aller Prostatatumore bilden kein PSMA. Da lässt sich weder die entsprechende Diagnose noch die Therapie anwenden.