Auf seinem Album „Neon" erhebt Rea Garvey seine mächtige Stimme und beruft sich mit hymnischem Pathos auf seine irischen Wurzeln. Der 44-Jährige spricht im Interview über die Krux des Ruhms, seine Jugend in Irland und Heimatgefühle.
Herr Garvey, für Ihr Album „Neon" haben Sie sich mit mehreren Hip-Hop-Produzenten zusammengetan. Wie kam es dazu?
Auf dieser Platte hatten wir sieben Produzenten, Engländer, Amerikaner und Deutsche. Eine gute Erfahrung! Am Anfang war ich mir nicht sicher, ob ich das wirklich will, aber dann habe ich Imran Abbas getroffen, der mir sofort ein Lied geschrieben hat. Es war genau das, was ich wollte. Abbas hat zehn Lieder auf meinem Album produziert. Das ist für mich Neuland, und es fühlt sich gut an.
Worauf haben Sie bei diesem Album besonderen Wert gelegt?
Wir haben im Studio viel über Beats und Ambientsounds gesprochen. Wir hatten 50 Lieder geschrieben, die wir dann auf 13 runtergekürzt haben. Die Stücke mit den Beats waren die besten. Diese Platte hat sich selber gefunden.
Kommen Ihnen manchmal Zweifel, ob Sie jemals wieder eine gute Nummer schreiben werden?
Nein, das würde mir nur im Weg stehen. Wenn man das Gefühl hat, nichts Gutes geschrieben zu haben, muss man einfach noch mehr schreiben, bis sich dieser Knoten wieder löst. Ich lasse mich gern inspirieren, indem ich mit anderen schreibe. Allein würde ich mich schnell langweilen. Bei diesem Album bin ich weit weggegangen, um letztendlich zu merken, dass ich eigentlich nach Hause gehen muss.
In Island trafen Sie auf die dänische Songschreiberin Tina Dico.
Tina Dico ist mit dem Isländer Helgi Jónsson verheiratet. Ich habe die beiden besucht und wir haben ein Lied geschrieben, das irgendwie sehr irisch klingt. Das habe ich dann versucht in Berlin aufzunehmen, was aber nicht klappte. Schließlich habe ich es in Irland mit irischen Musikern aufgenommen. Ein wahnsinnig weiter Weg, um ein Lied zu machen, aber das Herz dieses Songs lag einfach in Irland.
Wie kam es dazu, dass auf dem Lied der Geiger Ihrer ersten Band zu hören ist, den Reckless Pedestrians?
Ich habe Brendan einfach angerufen und ihn nach Dublin eingeladen. Wir hatten uns 15 Jahre nicht gesehen. Aber er kam und hat immer noch super gespielt. Wir haben damals irischen Folk mit Rock kombiniert und bereits eigene Songs geschrieben. Ich war nie gut im Covern.
Wie sahen Sie damals aus?
Ich hatte eine Irokesenfrisur und katastrophale Dreadlocks. Auf meiner Facebook-Seite gibt es ein Foto von damals.
„Hometown" ist ein Song über Dublin. Haben Sie manchmal Heimweh?
Die Konzerne Facebook und Google haben sich mitten in Dublin angesiedelt. Schön, dass sie vielen Leuten Arbeit geben, aber als ich durch die Straßen ging, fiel mir auf, wie die Innenstadt darunter leidet. Dublin hat sein altes Gesicht verloren. Es ist nicht mehr meine Stadt. Aber auch ich habe mich verändert, und vielleicht habe ich auch nicht das Recht, solche Entwicklungen zu kritisieren. Aber mir fehlt diese Stadt, die ich früher geliebt habe.
Mussten Sie Irland verlassen, weil Sie dort keine Arbeit fanden?
Nein, ich habe einen Job aufgegeben, um hauptberuflich Musik zu machen. Vielleicht hatte ich ja Angst davor, dass mir der Geruch von Geld zu sehr gefallen hätte. Das Schlimmste, was ich mir vorstellen konnte, war, in einem Büro-Block arbeiten zu müssen. Ich musste einfach herausfinden, ob Musik das ist, was ich machen will. In Deutschland habe ich mich dann sofort wohl gefühlt.
Hätten Sie auch in Irland eine musikalische Karriere machen können?
Ich weiß es nicht. Ich glaube, es ist gut, dass ich hier und nicht dort bin.
Welcher Song auf „Neon" beschreibt Sie am besten?
Ich glaube, „God of your world". Ich habe mir sprichwörtlich die Arme ausgerissen, um ein Album zu schreiben, das Maßstäbe setzt. Ich liebe alle Songs auf dieser Platte: „Water", „Lovers tonight", „Beautiful life", „Kiss me". Wir haben fünf Stunden darüber diskutiert, welches die erste Single wird. Die Wahl fiel auf „Meltdown". Solche Entscheidungen fallen mir unheimlich schwer, weil ich diese Songs geschrieben habe.
Wenn ein Song fertig ist, wer bekommt ihn dann als Erstes zu hören?
Meine Frau und Managerin Joe und Tom Bohne, der Boss von Universal Music. Ich vertraue meiner Frau komplett. Wir haben fast ein symbiotisches Verhältnis. Wenn einer etwas Bestimmtes spürt, spürt es der andere auch.
Welche Vorstellung haben Sie von Ihrer Musik? Soll sie so klingen, wie Sie als Mensch sind?
Als ich meine Stimme das erste Mal im Fernsehen hörte, war ich überrascht. Ich hatte mich immer komplett anders gehört. Meine Musik muss mich immer im Herzen treffen. Es ist nur einmal in meiner Karriere vorgekommen, dass ich etwas getan habe, woran ich nicht glaubte. Es war eine Katastrophe! Seitdem verlasse ich mich nur auf mein Gefühl.
Gibt es Tage, an denen Sie Ihre eigene Stimme nicht hören können?
Nein, so weit ist es noch nicht gekommen! Ich bin niemand, der sich selbst am Tollsten findet. Ich hatte mal ein Treffen mit dem Produzenten Timbaland. Er sagte: „Man, I am Mr. Music!" (lacht) Ich bin in Irland aufgewachsen, ich darf sowas nicht sagen! Ich wurde dazu erzogen, am Boden zu bleiben. Auch Oasis und U2 sind total von sich überzeugt.
Sie sind auf eine katholische Schule gegangen. Wie erinnern Sie sich an Ihre Schulzeit?
Als sehr streng. Ich bin da gut durchgekommen, andere nicht. Ich habe mich gut verteidigt gegen eine Macht, der man nicht widersprechen durfte. Damals durfte man in Irland nichts gegen die Kirche sagen. Aber irgendwann ist das ganze Ding ins Wasser gefallen. Als ich als Teenager freitagabends auf die Piste ging, war es ziemlich wahrscheinlich, dass man mit gleichaltrigen Jungs in Streit geriet. Das war ganz normal, und ich liebte es. Das ist schwer zu verstehen, wenn man nicht aus Irland kommt.
Wer hat Ihnen bei Streitereien geholfen?
Eigentlich niemand. Ich war ein Einzelgänger. Wahrscheinlich habe ich genauso viel abbekommen, wie ich ausgeteilt habe. Für einen Mann ist es wichtig, sich auch mal auszutoben, damit man wieder zur Ruhe kommt. Es wird nicht erkannt, dass wir auch Tiere sind. Bis der Klügere irgendwann sagt, es ist genug, morgen müssen wir wieder zur Schule.
Waren Sie dank Ihrer sieben Schwestern auf das weibliche Geschlecht vorbereitet?
Nein, gar nicht. Ich habe weniger begriffen als die meisten anderen. Wenn eine meiner Schwestern nach einer Trennung weinte, habe ich das nicht verstanden.
Sie spielen in diesem Jahr Ihre bisher größte Tour. Vermissen Sie heute die Unbeschwertheit, die Sie am Anfang Ihrer Karriere hatten?
Olympiahalle – das ist schon ein Wort! Ich habe aber Bock drauf. Es wird eine Wahnsinnsshow werden. Der Druck kommt hauptsächlich von mir. Ich freue mich tierisch, wenn die Menschen großes Interesse an meiner Arbeit haben. Umgekehrt bin ich sehr enttäuscht, wenn meine Musik nicht ankommt. Bis jetzt bin ich gesegnet, weil es für mich immer nur nach oben geht. Aber man muss dafür arbeiten. Im Leben wird einem nichts geschenkt.
Mögen Sie es, wenn Menschen zu Ihrer Musik ausflippen?
Ich liebe es! Das ist wie eine massive Feier mit Musik im Mittelpunkt. Ich versuche, große Gefühle zu erwecken. Die Leute sollen spüren, wie alle Energie durch ihren Körper aufsteigt und sie explodieren vor Freude. Wenn man das vor 20.000 oder 30.000 Menschen macht, bleibt einem die Spucke weg. Ich habe wahnsinnig viel Respekt vor dem Publikum und will alles geben. In jeder Show gibt es wunderschöne Momente, in denen wir alle auf derselben Ebene sind.
Ist Musik für Sie wie eine Droge?
Ich kenne mich mit Drogen nicht aus. Ich glaube, Musik kann ein schwieriger Liebhaber sein. Wenn man die Musik liebt, wird sie dich zurücklieben. Das Wichtigste ist, dass man sich in die Musik fallen lässt. Und wenn du fällst, dann trägt sie dich.
Hatten Sie auch mal eine „Sex, Drugs and Rock’n’Roll"-Phase?
Ja, Sex und Rock’n’Roll auf jeden Fall. Ich bin immer noch ein großer Fan davon. Ich habe immer davon geträumt, der Letzte an der Bar zu sein und zu feiern wie ein Rockstar. Und am nächsten Morgen geht man ins Studio und singt einen Song ein. Irgendwann kommt bestimmt der Moment, an dem ich mit den anderen nicht mehr mithalten kann. Aber noch ist er nicht da.
Wie häufig feiern Sie gemeinsam mit Kollegen?
Wenn ich unterwegs bin, treffe ich viele Menschen und oft ist die Freude so groß, dass wir miteinander feiern. Aber ich habe den Anspruch, meinem Publikum die bestmögliche Show zu bieten. Ich würde nie auf die Bühne gehen, ohne meine Sinne beieinander zu haben. Ich feiere gerne nach der Arbeit. Die Leute sollen nach Hause gehen mit dem Gefühl, es hat sich gelohnt. Ich will niemanden verarschen.
Sie sind in der neuen Staffel von „Sing meinen Song" zu sehen. Bringen solche Shows die Musik voran?
Yeah, absolut. Es gibt im Fernsehen nicht mehr viele Plattformen für Musik. Solch eine Sendung ist wie eine Oase. Ich wurde mehrmals eingeladen, da mitzumachen. Und jetzt hatte ich Zeit und Lust, mich mit den beteiligten Kollegen auf die Couch zu setzen. Ich mag das Format, auch wenn ich nicht viel davon gesehen habe. Ich finde die Herausforderung spannend, dass ich ein Lied von Mary Roos singe.
Wie wichtig ist Ihnen der Austausch mit Kollegen?
Mit meinen Freunden ist er mir sehr wichtig. Kollegen ist das falsche Wort für Musiker. Kollegen sind Menschen, mit denen man von neun bis fünf zusammen ist. Mit Musikern dagegen ist man bis vier Uhr morgens zusammen. Wir Pop- und Rockstars haben eine Aufgabe: den Traum am Leben zu erhalten. Ob du es übertreibst oder nicht, ist deine Sache. Ich will, dass diese Rockstar-Elemente weiterleben und junge Menschen inspirieren.
Wie gehen Sie mit dem Hype um Ihre Person um?
Ich bin grundsätzlich nett und komme mit jedem klar. Und wenn ich mich rarmachen will, dann mache ich mich rar. Ich finde es wichtig, dass ich so leben kann, wie ich leben will und mich nicht verstecken muss. Das wäre eine Katastrophe.