Große Reden schwingen? Lieber setzt sich Annette Widmann-Mauz zu den Vorschulkindern und übt mit ihnen die deutsche Sprache. Mitte März hat sie ihren Posten als Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration direkt im Kanzleramt angetreten. Ob sie in ihrem Amt öffentlich sichtbarer sein wird als ihre Vorgängerinnen, wird sich zeigen.
Es ist ihr erster großer Auftritt im neuen Amt, Anfang April dieses Jahres bei Microsoft, direkt am Boulevard Unter den Linden in Berlins Mitte: Ein wunderschöner Frühlingstag, ein netter Termin – Annette Widmann-Mauz, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, ist bester Laune.
Dabei hätte sie eigentlich Grund genug, zumindest ein wenig vergnatzt zu sein. Seit 20 Jahren sitzt Widmann-Mauz nun im Bundestag, hat sich von Anfang an auf die Gesundheitspolitik konzentriert – fast neun Jahre war sie Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium. Zumindest in der CDU galt es als ausgemachte Sache: Die 51-Jährige ist die nächste Gesundheitsministerin. Doch dann kam ihr ihr Parteifreund Jens Spahn in die Quere und übernahm den Posten, den sie eigentlich haben wollte. Unter Spahn wie bislang im Gesundheitsministerium weiterarbeiten? Das war nach dieser Wendung nicht mehr zumutbar – doch ihre Chefin wusste Rat: Annette Widmann-Mauz wechselte als Staatsministerin ins Kanzleramt. Wobei das mit der Staatsministerin eine kleine Mogelpackung ist: Politisch ist es dasselbe wie Staatssekretärin, hört sich aber für Außenstehende wesentlich besser an.
Von der Aufgabenstellung her ist „Staatsministerin M.F.I." allerdings mindestens so anspruchsvoll wie Gesundheitsministerin, denn im Bereich Flüchtlinge und Integration stehen große Aufgaben an. Derzeit sind die geschätzten 1,5 Millionen Flüchtlinge, die in den vergangenen drei Jahren Deutschland erreicht haben, zwar untergebracht, aber noch lange nicht integriert. Die Schwierigkeiten sind weitestgehend bekannt, doch zukünftig wird Annette Widmann-Mauz die Hauptverantwortliche in der Regierung dafür sein; vor allem, wenn etwas schief geht. Hinzu kommt, dass mindestens zwei Ministerien ihre Ansprechpartner sind, will sie Erfolg haben: Zum einen wäre da Finanzminister Olaf Scholz (SPD), denn Integration ist sehr kostenintensiv. Und zum anderen ist Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (ebenfalls SPD) wichtig, denn einer der Schlüssel zur Eingliederung ist auch die Arbeit, dafür braucht es entsprechende Programme. Für die CDU-Integrations-Staatsministerin wird es ein zähes Stück Arbeit werden, mit den beiden sozialdemokratischen Kabinettskollegen auf einen Nenner zu kommen.
Lernprogramme sind Gemeinschaftsaufgabe
Vielleicht ist dies auch der Grund dafür, dass sich Widmann-Mauz derzeit mit der Bekanntgabe einer genauen Ausrichtung ihres Amtes zurückhält – der Tübingerin wird schließlich ein ausgeprägtes diplomatisches Geschick nachgesagt. Doch an diesem Vormittag spielt das alles, zumindest für zwei Stunden, eine untergeordnete Rolle: Widmann-Mauz stellt eine neue Version der Lern-App „Schlaumäuse" vor. Einer von den Terminen, die sie liebt. Weil sie hier mit Menschen zusammenkommt, die sie sonst in ihrem Arbeitsalltag eher selten trifft – heute sind es Flüchtlingskinder.
Dementsprechend hält sich – zur Überraschung des Moderators – Widmann-Mauz auch nicht lange mit Vorreden auf, sondern sitzt bei den Vier- bis Siebenjährigen. Die testen gerade das Schlaumäuse-Programm von Microsoft auf einem Tablet. Es soll Kinder in Kitas und Grundschulen beim Sprache-Lernen unterstützen. Die Staatministerin und die Kinder haben offenbar Spaß damit, auch wenn es eine Weile dauert, bis die Wortpaare endlich zusammengefunden haben. Das Entscheidende für sie, sagt Widmann-Mauz: „Wir haben immer wieder neue Deutungen der Bilder gesucht. So lernt man schnell eine neue Sprache!" Damit ist sie dann vielleicht auch schon bei einem Kernthema ihrer zukünftigen Integrationspolitik: „Sprache ist der Schlüssel fürs ganze Leben, und genau daran müssen wir als Regierung in den nächsten Monaten intensiv arbeiten." Sie betont ausdrücklich, dass das für alle gelte, die herkommen. Und weiß nur zu gut: Um das flächendeckend zu bewerkstelligen, braucht es vor allem gute Pädagogen und Sprachlehrer – womit wir dann auch schon wieder beim Geld wären. „Der Bund wird einen Digitalpakt auflegen, der auch die Bildung betrifft. Doch um solche Lernprogramme zu fördern, ist klar: Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die wir als Bund nicht alleine stemmen können." Widmann-Mauz macht damit deutlich, die Länder müssen mit ran. Mit wieviel Geld dieser Digitalpakt ausgestattet wird, kann die Staatsministerin für Integration allerdings noch nicht sagen, denn die Haushaltsberatungen dazu laufen noch. So richtig freigiebig war die Regierung bislang in solchen Belangen ja nicht – bleibt zu hoffen, dass die Dringlichkeit der Integrationsaufgaben inzwischen tatsächlich in voller Bandbreite dort angekommen ist.
Ein Blick zurück in die Geschichte: 1955 schloss Deutschland das erste Anwerbeabkommen mit Italien, weitere mit Griechenland oder der Türkei folgten. Auch diese Länder hatten unter den Spätfolgen des Zweiten Weltkriegs zu leiden, doch während in Deutschland das Wirtschaftswunder griff, lag ihre Wirtschaft weiter am Boden. 1964 wurde dann mit viel Medien-Tamtam der Millionste Gastarbeiter feierlich empfangen. Zur Begrüßung bekam der Portugiese Rodrigues de Sa ein Moped geschenkt –
von Integration war damals jedoch überhaupt keine Rede. Schließlich sollten die Gastarbeiter aus halb Europa ein Jahr lang malochen und dann bitteschön wieder zurückkehren zu ihren Familien. 1973 kam es zum Anwerbestopp. Der Bundesrepublik war das Wirtschaftswunder irgendwo auf dem Weg abhandengekommen, plötzlich gab es Arbeitslose in Deutschland. Das erste Mal seit 50 Jahren. Der Plan der damaligen SPD-FDP-Regierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt in Sachen Gastarbeiter ging jedoch nicht auf: Denn die hatten sich längst eingelebt und holten – anstatt brav wieder zurückzukehren – nun ihre Familien nach. Die Zahl der Ausländer sank also nicht, wie von der Schmidt-Regierung vorgesehen, sondern im Gegenteil, sie stieg. 1978 wurde das Amt des ersten Beauftragten der Bundesregierung zur Förderung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen aus der Taufe gehoben. Damals noch an das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung angehängt – noch war offenbar nicht so ganz klar, wohin die Reise gehen sollte.
Integrationsbeauftragte am Kabinettstisch
Auch weiterhin blieb dieses Amt immer irgendwie ein Anhängsel der jeweiligen Regierung. Bis vor 20 Jahren waren zu dessen Aufgaben in den Koalitionsverträgen denn auch selten mehr als drei Sätze zu finden. In der zweiten Schröder-Regierung wechselte die Stelle des Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration dann zum Familienministerium. Allein schon der neue Name macht es deutlich: Zumindest das Thema Integration war nun langsam auch im Kanzleramt angekommen, wenn auch noch nicht das Amt als solches. Dies geschah dann drei Jahre später unter Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich Maria Böhmer als Staatsministerin für Integration ins Kanzleramt holte und so deren Bedeutung aufwertete. Dennoch: Böhmer blieb der Öffentlichkeit weitestgehend unbekannt, obwohl sie als Integrationsbeauftragte nun auch mit am Kabinettstisch der Regierung saß. Ein ähnliches Schicksal musste auch ihre Nachfolgerin Aydan Özoguz ertragen. Sie fiel vielen erst wirklich auf, als sie von der AfD übel beschimpft, ja schon beinahe beleidigt wurde. Bleibt zu hoffen, dass zumindest das Annette Widmann-Mauz erspart bleibt.