Die EU muss dem Zerstörer Trump sanften Widerstand entgegensetzen
Vor rund einem Jahr wusste Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits, was die Stunde geschlagen hatte. „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück weit vorbei", sagte sie auf einer Bierzeltrede in München-Trudering. Europa müsse sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Zuvor hatte Merkel zwei Polter-Auftritte von US-Präsident Donald Trump erlebt, die wohl einen tiefen Eindruck hinterlassen haben.
Erst machte Trump beim Nato-Gipfel in Brüssel Bündnismitglieder wie Deutschland, die weniger als zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben, zur Schnecke. Dann deutete er beim G7-Spitzentreffen in Taormina an, dass Amerika aus dem Pariser Klimavertrag aussteigen will.
Merkel hatte kapiert, dass für Trump die transatlantische Partnerschaft, wie sie seit Ende des Zweiten Weltkriegs mit allen Höhen und Tiefen existiert hatte, nichts mehr bedeutete. Es zählt nur noch „America First". Die Last-Minute-Besuche von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kanzlerin Merkel in Washington Ende April wurden zu einer einzigen Demütigung. Macron machte den Kasper, Merkel versuchte eine sachliche Überzeugungsoffensive, um Trump bei zwei wichtigen Themen auf eine Kompromisslinie zu bringen: bei der Abkehr von Strafzöllen auf Stahl und Aluminium für Einfuhren aus der EU und beim Festhalten am internationalen Atomabkommen mit dem Iran. Es endete mit einem Fiasko.
Trump kokettiert gern mit seiner Unberechenbarkeit. Aber es gibt ein Muster, dem der Präsident folgt: Er ist ein Zerstörer, der sich mit einer obsessiven Lust daran macht, die großen Projekte seines Vorgängers Barack Obama kaputtzuhauen. Das trifft auf den Pariser Klimavertrag zu, auf das System eines möglichst dichten staatlichen Krankenversicherungssystems („Obamacare"), die Protektionismus-Keule gegen den liberalen Welthandel und nun das Begräbnis dritter Klasse für den Nuklear-Deal mit Teheran. Doch es dreht sich bei den neu aufgelegten Sanktionen gegen den Mullah-Staat nicht nur um eine Solonummer der USA. Trump will offenbar alle Firmen abstrafen, die weiter Geschäfte mit dem Iran machen und gleichzeitig auf dem amerikanischen Markt tätig sind.
Der Präsident schert sich einen Teufel um seine Partner. Er arbeitet ein Wahlversprechen nach dem anderen ab. Er will seine republikanische Basis elektrisieren. Seine Mission lautet: Wiederwahl 2020. Populistische Sprüche, Tatsachenverdrehungen, Verspottung von Gegnern sowie ein Kreuzzug gegen kritische Medien („fake news") gehören zum Drehbuch seiner politischen Bühnen-Show.
Trumps rhetorischer Sturmlauf gegen Teheran lässt vermuten, dass der Präsident vor allem eines im Sinn hat: Er will durch die Sanktionen die Daumenschrauben so anziehen, dass der iranischen Wirtschaft die Luft ausgeht. Er strebt in Wahrheit einen Regimewechsel an. Dieses nicht zu Ende gedachte Kalkül erinnert an den Irak-Feldzug von US-Präsident George W. Bush 2003. Eine fatale Blauäugigkeit, mit deren Folgen die Welt noch heute zu kämpfen hat.
Ein Schulterschluss mit Trump kommt für die Europäer nicht infrage. Sie müssen sanften Widerstand üben. Verbindlich im Ton, denn überschäumende Polemik würde dem Krawallo-Präsidenten in die Karten spielen. Aber klare Abgrenzung in der Sache. Gegen die geplanten wirtschaftlichen Strafmaßnahmen wegen Iran sollte die EU vor der Welthandelsorganisation (WTO) klagen. Es wäre zumindest ein wichtiger symbolischer Akt. Auch wäre zu überlegen, ob Unternehmen, die mit US-Sanktionen belegt werden, nicht Schadenersatz gewährt werden soll. Um die Nuklear-Vereinbarung mit Teheran zu retten, ist ein punktuelles Zusammengehen mit Russland und China unerlässlich. Möglicherweise bietet sich das im Zuge der neuen Weltunordnung auch auf anderen Politikfeldern an.
Und – ja – bei der Verteidigung steht Europa am Beginn einer neuen Ära. Ob die USA im Notfall der EU beispringen, ist bei Trump nicht mehr gewiss. Drohung und Erpressung sind Teil seines politischen Werkzeugkastens. Die Gemeinschaft muss künftig viel mehr für Verteidigung ausgeben und deutlich mehr kooperieren. Es ist Zeit aufzuwachen, Europa. Das heißt nicht, dass die transatlantischen Beziehungen grundsätzlich zu Ende sind. Besser wird es aber frühestens unter Trumps Nachfolger.