Die Einlagerung von hochgiftigem Müll in nordrhein-westfälischen Bergwerken hat vor Jahren für Aufregung gesorgt. Der Streit wurde mit Gutachten ausgefochten. Geblieben sind Misstrauen bei den Gegnern und eine RAG, die sich bestätigt sieht.
Die Schlagzeilen waren heftig: „Giftmüllkatastrophe", „Tickende Zeitbombe", „Giftige Zeiten". Etwa 600.000 Tonnen sollen im Ruhrgebiet in stillgelegten Grubenschächten eingelagert worden sein. Für die einen ist es „hochgiftiger Sondermüll", für die anderen sind es „Reststoffe".
Die Angelegenheit wurde öffentlich, als der Abfallexperte und Biochemiker Harald Friedrich 2013 ein Gutachten über die Gefahrenpotenziale dieser Altlasten erstellte, mit der Schlussfolgerung: „Nach Abfallrecht wären diese Sonderabfälle in die Hochsicherheitsdeponie im Steinsalz nach Herfa-Neurode gebracht worden, aber auf keinen Fall in eine Zeche, die nach Beendigung des Bergbaus mit Wasser geflutet wird. Der Unterschied bei der Ablagerung gefährlicher Sonderabfälle in einem Bergwerk oder einer Hochsicherheitsdeponie im Steinsalz entspricht in etwa einem Kartenhaus im Vergleich zum Bundesbank-Tresor".
Auftraggeber für das Gutachten war ein Landwirt aus Bergkamen, der die Ursache für Belastungen seiner Flächen in diesen als Versatzstoffe unter Tage eingebrachten Altlasten vermutete. Gutachter Friedrich spricht dabei von hochgiftigen Stoffen, die unter Tage entsorgt wurden: „Es handelt sich bei den eingelagerten Abfällen um das Giftigste vom Giftigen, was als Sonderabfall in einem mitteleuropäischen Land anfällt. Die Filterstäube aus Hausmüllverbrennungsanlagen stellen die Schadstoffsenke des Verbrennungsprozesses dar. Alle im Abfall enthaltenen Stoffe wie zum Beispiel die giftigen Schwermetalle Cadmium und Blei, die krebserzeugenden polyaromatischen Kohlenwasserstoffe und die bei der Verbrennung entstehenden Giftstoffe wie Dioxine und Furane werden in der Schadstoffsenke Filterstaub abgeschieden. Es gehört schon eine gewisse Kaltschnäuzigkeit dazu, ein aufkonzentriertes Gift-Abfall-Gemisch einer Schadstoffsenke wieder großräumig in der Umwelt zu verteilen und möglicherweise riesigen Grundwasserleitern zugänglich zu machen."
Harald Friedrich hatte bereits als Abteilungsleiter unter der Grünen Umweltministerin Bärbel Höhn in Nordrhein-Westfalen Erfahrungen mit den Entsorgungspraktiken gemacht und damit auch mit der rechtlichen Situation: „Bei der Bewertung der Legalität ist große Vorsicht angebracht. Eine Genehmigung nach Bergrecht ist formaljuristisch eine rechtskräftige Genehmigung. Das Bergrecht an sich ist aber kein den Umweltgesetzen vergleichbares Recht".
Der Fall und das Gutachten blieben nicht ohne Folgen. Zumal in der Folge schnell klar wurde, was da unter Tage schlummert. Zum einen ging es um industrielle Massenstoffe und Filterstäube, die seit den 80er-Jahren als „Versatzstoffe" in nicht unbeträchtlicher Menge eingesetzt wurden.
Zum anderen geriet das Problem mit PCB ins Blickfeld. Der Stoff, der, weil nicht brennbar, lange als vermeintlich idealer Schmierstoff eingesetzt wurde, bis klar wurde, wie hochtoxisch diese Chemikalie ist. Schon damals befürchtete der BUND, diese Stoffe könnten wieder in die Umwelt zurückgelangen. Dabei hatte man bereits das endgültige Ende des Bergbaus 2018 im Blick. Und schon damals war Thema, dass das abgepumpte Grubenwasser ungefiltert in die Flüsse eingeleitet wurde.
2015 schließlich wollte die damalige rot-grüne Landesregierung in NRW Klarheit. Wirtschafts- und Umweltministerium gaben gemeinsam ein Gutachten in Auftrag, „zur Prüfung möglicher Umweltauswirkungen des Einsatzes von Abfall- und Reststoffen zur Bruchhohlraumverfüllung in Steinkohlbergwerken in Nordrhein-Westfalen". Das von Friedrich als „hochgiftigen Sonderabfall" bezeichnete Material wurde nun als „Abfall- und Reststoff" bezeichnet, aber damit keineswegs ungiftiger.
„Bergrecht ist nicht mit Umweltrecht vergleichbar"
Im Entwurf zum Bergeversatz-Gutachten, der im vergangenen Jahr öffentlich wurde, wird festgehalten, dass von Mitte der 80er-Jahre bis 2006 insgesamt 1,6 Millionen Tonnen industrielle Massereststoffe und Filterstäube in elf Steinkohlebergwerken des Ruhrgebiets als Bruchhohlraumverfüllung, auch Bergversatz genannt, eingesetzt wurden. Davon waren 578 000 Tonnen „besonders überwachungsbedürftige Abfälle" in drei Bergwerken. Allein für das Bergwerk Haus Aden/Monopol listet das Gutachten als „Gefährdungspotenzial" große Mengen an Zink, Blei und Cadmium, sowie Dioxine und Furane auf.
Das Gutachten kommt in seiner Risikoanalyse in Bezug auf Grund- und Oberflächenwasser aufgrund der Einlagerung zu dem Ergebnis, dass „keine Risiken" durch die organischen Stoffe bestünden, und ein Risiko durch die anorganischen Stoffe (Metalle) „für die Oberflächengewässer und das Grundwasser nicht erkennbar" sei. Vorsorglich schreiben die Gutachter allerdings den Hinweis dazu: „Bezogen auf heutige Bewertungsmaßstäbe". Das Monitoring zur Früherkennung möglicher Gefährdung wird grundsätzlich als ausreichend angesehen, allerdings verbunden mit der klaren Empfehlung, dies im Zuge des revierweiten Grubenwasseranstiegs „transparenter zu gestalten".
Das Gutachten beschäftigte sich auch mit dem Risiko durch PCB, das auch in den Bergwerken in NRW seit Mitte der 60er-Jahre eingesetzt wurde, mit dem Ergebnis: „Eine Maßnahme unter Tage die partikuläre und auch die gelöste PCB-Fracht … zu senken, ist ein Anstieg des Grubenwassers." Die RAG sieht sich dadurch im Wesentlichen bestätigt, kommt doch das Gutachten zum Schluss, dass sich der größere Teil des PCB an Schwebstoffe bindet. „Durch den geplanten Anstieg des Grubenwassers bleiben mehr Schwebstoffe unter Tage", so die RAG in einer Stellungnahme zu den Ergebnissen. Im Übrigen verweist das Unternehmen darauf, dass nur ein Prozent oder sogar weniger des PCB, das in Bächen und Flüssen gemessen wurde, aus dem Bergbau stamme. Der Aufwand zur Reinigung sei nicht nur technisch schwierig, sondern auch unverhältnismäßig. Insofern kam das Gutachten gelegen, zumal es nun sozusagen von „neutraler" Seite beauftragt wurde, nämlich der rot-grünen Landesregierung, nicht vom Unternehmen oder Gegner der Unternehmenspläne.
Ein weiteres fast zeitgleiches Gutachten kam allerdings zum Ergebnis, dass 90 Prozent der PCB-Fracht aus dem Grubenwasser herausgefiltert werden könnte und zwar zu vertretbaren Kosten. Um das zu testen, wies das NRW-Umweltministerium den Bau von Pilotanlagen an. Geschätzte Kosten: 550 000 Euro pro Anlage. Sollten die sich bewähren, würde ein flächendeckender Einsatz in NRW etwa 13,5 Millionen Euro pro Jahr an Kosten verursachen. Die Einleitungen von Grubenwässern seien „die einzigen in NRW maßgeblichen Punktquellen, weshalb nur dort Einfluss auf weitere Emissionen genommen werden kann", hieß es aus dem Ministerium. Schließlich sei auch Deutschland zur Vermeidung von PCB-Freisetzung verpflichtet und müsse es dort, wo möglich, auch tun. Der BUND in NRW sieht in der Anweisung das Land „auf einem guten Weg, die fortgesetzte Einleitung des Ultragifts PCB in Ruhr, Lippe und Rhein zu beenden".