Fernab des Pilgertourismus zeigt die Region Galicien im Nordwesten Spaniens eine geschichtsträchtige Seite: Jahrhundertealte Klöster und Kirchen reihen sich entlang der Flussläufe von Sil und Miño. Zu entdecken gibt es auch Thermalquellen und urige Landschaften.
Der Jakobsweg mit dem Pilgerziel Santiago de Compostela ist vielen bekannt, zumindest vom Hörensagen. Wer aber kennt das übrige Galicien oder gar die Ribeira Sacra? Da kommen selbst die Spanier ins Grübeln. Doch eine Reise durch die weitgehend unverbrauchte Landschaft hinein in eine große Vergangenheit macht Entdecker glücklich.
Abgesehen von den Küstenstädten und den Badeorten am Meer versteckt sich Galicien in tiefen Wäldern und hinter schroffen Gebirgszügen wie Schneewittchen hinter den sieben Bergen. Einiges lässt sich leicht finden, anderes steht „in der Mitte von nix", wie es Begleiter Tommi auf Deutsch formuliert.
In dieses stille Nichts, gesegnet mit mildem Klima, zogen sich in den ersten christlichen Jahrhunderten die Einsiedler zurück. Schon bald wurden Kapellen, Kirchen und Klöster errichtet, auch als gemischte Abteien. Erst ab dem 10. Jahrhundert hat man Männer und Frauen getrennt. Mehr als hundert solcher Sakralbauten reihten sich an den Flüssen Sil und Miño. Daher der Name Ribeira Sacra, das Heilige Flussufer. Der südliche Teil gehört zur Provinz Ourense, der nördliche zur Provinz Lugo.
Im weitgehend erhaltenen Kloster San Pedro de Rocas ist der Atem der Geschichte besonders deutlich zu spüren. Zunächst lebte hier ein Einsiedler, später waren es sechs. Ihre Namen mit der Jahreszahl 537 sind auf einer Steinplatte verewigt, die das Archäologische Museum in der Stadt Ourense hütet.
Vermutlich haben die Eremiten in Felsenhöhlen gewohnt. Erst im 12. Jahrhundert wurde das Kloster aus dem harten Granitgestein herausgeschlagen. Den Resten der Kirche ist das noch anzusehen. Gänsehautgefühl dann angesichts der kistenartigen großen und kleinen Steingräber. Auch Kinder hätten bei den Mönchen gelebt, heißt es dazu. Eine faszinierende mysteriöse Stätte, aufgelockert durch den niedlichen Glockengiebel (ohne Glocken) aus späterer Zeit. Eine steile, geländerlose Treppe führt hinauf. Nur was für Schwindelfreie!
Unternehmungslustige können die oft noch urige Landschaft auf Wander- und Radwegen erobern, entdecken hier mal ein Dorf, dort einen einsamen Bauernhof, auch „in der Mitte von nix". Früher mussten die Frauen alleine für Kinder und Tiere, Hof und Garten sorgen, während die Männer das Geld in der Fremde verdienten. Das ist teilweise noch immer der Fall.
„Nach wie vor haben in Galicien die Frauen das Sagen", betont Tommi, und so sind es couragierte Landfrauen, die auf Agrotourismus setzen, den Urlaub auf dem Bauernhof. Hier darben die Gäste garantiert nicht und einige fühlen sich gleich wie daheim. Wohl nicht so ganz bei den Mini-Calamares auf dem Teller, wohl aber bei Maultaschen und Spätzle, die auch zu den dortigen Lieblingsgerichten zählen. „Wir Galizier sind die Schwaben Spaniens", lacht Tommi und schwärmt sofort von den Kastanienfesten im Herbst, die überall gefeiert werden. „Dann fressen wir den ganzen Tag", behauptet er.
Auch im „Parador de Santo Estevo de Ribas de Sil", eines der schönsten und geschichtsträchtigsten Hotels Spaniens, kommt Regionales auf die fein gedeckten Tische. Von schwäbischer Sparsamkeit kann in dem ehemaligen, nun aufwendig restaurierten Stefanskloster jedoch keine Rede sein. Trotz der Umwandlung in eine Nobelherberge blieb viel reine Romanik erhalten und bleibt sicherlich als ein Highlight in Erinnerung (www.parador.es/es/paradores/parador-de-santo-estevo).
Fast andächtig wandeln die Gäste durch den Bischofskreuzgang, denn selbst solche Würdenträger hatten sich im 10. und 11. Jahrhundert in dieses Kloster zurückgezogen. Im Jahr 1184 begann der Bau der Klosterkirche. Zu ihren Schätzen gehört ein romanisches Steinretabel. Mit großen Köpfen auf kleinen Körpern und leicht lädierten Nasen haben Jesus und die Apostel rund 800 Jahre überdauert.
Früherer Palast bietet Historie mit Aussicht
Wie viele Jahrtausende hat wohl der Fluss gebraucht, um sich durch das harte Granitgestein zu graben und den Canón do Río Sil zu formen? Eine Attraktion nahe dem Parador de Santo Estevo. Tiefblaues Wasser zwischen zerklüfteten Felsen – ein Superbild (siehe links). Schnell hinunter zur Anlegestelle, um mit einem Katamaran vorbei an mächtigen Felsen auf dem Fluss entlang zu schippern. Fast eine Stunde verharrt ein Junge an der Bootsspitze, um alles ganz genau zu sehen. Noch eins drauf setzen schließlich die Balcónes de Madrid, ein Aussichtspunkt hoch oben am Berg.
Der Mao, ein Nebenfluss des Sil, hat ebenfalls einen Canyon gegraben. Ein kilometerlanger Holzsteg, die „Pasarela do Mao", führt oberhalb der Fluten und Felsen daran entlang und endet an einem kleinen See. Ein angenehmer Spaziergang hin und zurück, im Sommer bitte mit Wasser, Sonnencreme und Sonnenbrille.
Gegen ein Glas Wein danach ist auch nichts einzuwenden. Ganz im Sinne der alten Römer, die an den sonnigen Südhängen der Flüsse Weinterrassen anlegten, was dann auch die Klöster taten. Diese Tradition haben rund 2.880 Winzer an der Ribeira Sacra wiederbelebt, darunter auch die Eigner der Adega Algueira in der Gegend von Doade.
Nach 35 Jahren harter Arbeit produzieren sie diverse Weiß- und Rotweine, die man dort verkosten, im dazugehörigen Restaurant genießen und daheim im Internet bestellen kann. Ein „Salud" („Zum Wohl") haben auch die Traubenpflücker für ihre Arbeit an den oft extrem steilen Hängen verdient. „Heroische Weinernte" nennt Tommi ihre Tätigkeit.
Wein wächst also wieder am Heiligen Flussufer, nur die Mönche sind seit der Aufhebung der Klöster im Jahr 1835 verschwunden. Auch in der Klosteranlage San Vicente do Pino oberhalb des Städtchens Monforte de Lemos. Die Kirche blieb erhalten und überrascht mit freigelegten Freskenwänden beidseitig vom goldglänzenden Altar. Dort oben wurde der ehemalige Palast der Grafen zum Parador de Monforte de Lemos umgestaltet und bietet Historie mit Aussicht.
Doch ein aktives Kloster aus romanischer Zeit gibt es! Wieder, sei hinzugefügt. Im Zisterzienserkloster Santa Maria in Ferreira de Pantón beten und arbeiten acht Schwestern des Bernarda-Ordens, gegründet von der Schweizerin Maria Bernarda Bütler (1848-1924). Freundlich und aufgeschlossen empfängt Schwester Rosario die Gäste. Als Jüngste der Nonnen sorgt sie für die anderen. Hat sie vielleicht auch die zart duftenden Almendrados gebacken, die leckeren, hier besonders geformten spanischen Mandelkekse?
Dieser kleinen Entdeckung folgt noch eine weit größere: die heißen Thermalquellen in der Stadt Ourense. Das wohltuende und heilsame Wasser, das schon die Römer nutzten, füllt nun große Becken am Fluss Miño. Unter freiem Himmel können hier Einheimische und Gäste tagsüber und nachts zu jeder Jahreszeit baden, in fünf Thermalbereichen sogar kostenlos. Bei 40 Grad Celsius nachhaltig erwärmt, wird garantiert niemand beim Gang durch die kühle St. Martinskathedrale bibbern.