Nur noch selten steht er auf dem Dach und kehrt den Kamin. Meist rückt er mit Hightech-Equipment möglichen Umweltsündern in ihren Wohnungen auf die Pelle. Der Schornsteinfeger ist heute unverzichtbar, gilt es doch die Einhaltung von Umweltauflagen zu überwachen.
Die Rettungsmedaille des Landes verleiht der Berliner Senat nur in Ausnahmefällen. Eine dieser raren Ehrungen ging vor einem Jahr an einen Schornsteinfeger-Meister. Alain Rappsilber hatte von seinem Kreuzberger Büro aus Rauch und Flammen im Dachgeschoss des Hauses gegenüber entdeckt. Ohne lange zu überlegen, war er drüben. Nachbarn riefen ihm zu, dass da oben noch jemand sei. Minuten später war die Bewohnerin aus den Flammen unterm Dach gerettet. „Instinkt" nennt Rappsilber das. „Ein Schornsteinfeger lebt von seinem Feingefühl, sonst erkennt er Gefahrensituationen nicht rechtzeitig." Die Verdienstmedaille hat ihm übrigens die damalige Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey überreicht, die heutige Bundesfamilienministerin.
So richtig anderen aufs Dach steigen: Das ist für den Kaminkehrer Rappsilber inzwischen eher selten geworden. Sein Handwerk findet seit Jahren mehr und mehr in den Wohnungen darunter statt. Heute sind wir am Kottbusser Damm in Berlin-Kreuzberg unterwegs. Der 45-jährige Meister ist auch beim Abgasmessen der Gasthermen immer in seiner Kluft unterwegs: Blank gewienerte, schwarze Arbeitsstiefel, vorn mit Schutzkappe, schwarze Hose, schwarzes Jackett mit goldenen Knöpfen, darunter weißes Halstuch – und den Zylinder auf dem Kopf. „Sonst lassen mich die Leute gar nicht erst in ihre Wohnung", erzählt der knapp 1,90 Meter große Mann und lacht. Schon an die 30 Jahre vertritt er seine Zunft, hat in den vergangenen Jahrzehnten die Veränderungen live mitbekommen.
Angefangen hat er in den 80er-Jahren, im berüchtigten SO36 hier in Kreuzberg. „Harte Lehrjahre" nennte Rappsilber das heute. Er musste die Feuerstellen in Abbruchhäusern mitten im Sanierungsgebiet überwachen. Er kennt noch die teils unglaublichen Wohnverhältnisse im damaligen Kreuzberg, „Stube, Küche und mittendrin ein Ofen, in den die Bewohner alles reinstopften, was sie so fanden". Das Ofenrohr wurde zum Wäschetrocknen genutzt, die Schadstoffwerte in diesen Unterkünften waren abenteuerlich. Heute müssten solche Wohnungen sofort geräumt werden, doch damals hatte Berlin, neben dem Ruhrgebiet, die höchsten Werte an Umweltgiften ganz Westeuropas in der Luft. Die Schornsteinfeger, sowohl in Ost- als auch in Westberlin, hatten auf den Dächern jede Menge zu tun. In zwei Dritteln der Berliner Wohnungen wurde noch per Hand geheizt. Für die Umwelt eine Katastrophe, denn Koks war teuer. Also griffen die meisten auf Eierkohlen oder Briketts aus minderwertiger Braunkohle zurück. Diese wurden dann mit dem Abfall vom Einkauf aufgepeppt, vor allem Kunststoff brannte im Allesbrenner richtig gut. Der damals junge Schornsteinfeger Alain Rappsilber durfte die Rückstände dieser hoch toxischen Abgase dann aus den Schornsteinen „rauskloppen".
Als noch von Hand geheizt wurde
„Diese Zeiten sind natürlich längst vorbei", erzählt Rappsilber, „spätestens Ende der 90er-Jahre hat auch unser Handwerk das Umdenken bei Umweltfragen deutlich bemerkt." Bereits in den 80ern wurde in West und Ost flächendeckend die Fernwärme eingeführt. Die Feuerstättenverordnung für Mieter wurde erheblich verschärft, die Allesbrenner durften in der Folge nicht mehr betrieben werden.
Doch beim Wort Fernwärme muss Kaminkehrer Alain dann doch schmunzeln: „Nicht alles, was nach Öko klingt, macht auch wirklich Sinn! Keine andere Stadt in Deutschland hat so viele schön beheizte Straßen und Bürgersteige wie Berlin." Laut Rappsilber geht gut die Hälfte der Wärmeenergie aus den Kraftwerken auf der Strecke in die Wohnungen verloren, „weil einfach die Dämmung der Fernwärmerohre viel zu dünn ist". Die Folge: Die Menschen müssen nachheizen und machen dies dann mit Radiatoren, die über Strom gespeist werden. In der Folge wird mehr Strom verbraucht, und ein Großteil des Stroms kommt wiederum aus der Kohle, rechnet Rappsilber vor. Andere mögen das mit der Fernwärme anders sehen, da gehen die Meinungen auseinander. Richtig ärgerlich aber wird der schon rein berufsmäßig engagierte Umweltaktivist, wenn es um Wärmedämmung geht.
Stichwort Energieeinsparverordnung. Wonach die Hausbesitzer beim Anbringen von viel Kunststoff an die Außenwand ihres Gemäuers Steuern sparen und gleichzeitig die Miete deutlich erhöhen können. „Es macht für die Umwelt überhaupt keinen Sinn, auf eine 56er- Außenwand eines Altbaus noch 20 Zentimeter Plastik aufzukleben", meint Rappsilber. „Das ist im Gegenteil völlig kontraproduktiv, und das angeklebte Styropor an der Außenwand ist obendrein ein Brandkatalysator, wie wir es in London erlebt haben." Damit seien diese „energetisch sanierten" Gebäude eigentlich nicht mehr im Rahmen der Feuerschutzbestimmungen.
Ideal: Solarzelle und Wärmepumpe
Den Bezirks-Schornsteinfegern Berlins nütze dieses Wissen derzeit wenig. Denn politisch sei die „Plastik-Vakuum-Sanierung" der letzte Schrei im Bereich der energetischen Sanierung. Wenn dann anschließend die Gastherme in der sanierten Wohnung eigentlich nicht mehr betrieben werden dürfe, weil das Haus – etwa nach perfekt abgedichteten Fenstern – nicht atmen kann, dann hilft als Kaminkehrer nur noch eins: „ein Auge zudrücken".
Auf die Frage, was ist denn nun eigentlich die ökologisch vertretbare, aber dann auch noch für den normalen Geldbeutel bezahlbare Variante im Bereich Heizung, muss Schornsteinfegermeister Rappsilber nicht lange überlegen: „Nahwärme, das kleine Heizkraftwerk im Haus, im Wohnblock, für alle Mietparteien, ohne lange Transportwege". Ob diese nun mit Öl oder Gas betrieben wird, müssten die Betreiber selbst entscheiden. Aber diese Energiequellen seien derzeit die preiswertesten. Wer halt wirklich „nachhaltig" seine Wohnräume heizen will, dem empfiehlt Rappsilber eine Raumluftanlage, die die Wärmeenergie der Bewohner nutzt. Dazu könnten eine kombinierte Wärmepumpe im Keller und Solar auf dem Dach kommen. Das kostet natürlich erheblich mehr Geld als der Fossil-Brenner. „Aber damit kann dann auch der Schornsteinfeger bei den Abgaswerten gut leben", sagt der Mann in Schwarz und lacht. Er nimmt seinen Schornsteinfeger-Tornister und macht sich mit seinem kleinen Messcomputer in der Hand wieder auf in die nächste Etage. In der rechten Wohnung im vierten Stock am Kottbusser Damm wartet eine weitere Gastherme, Baujahr ’81.