Ist die Hoffnung auf eine friedliche und gerechte Welt naiv? Werden all die Kriegsverbrecher und Massenmörder irgendwann einmal bestraft? Carla del Ponte hat einige von ihnen in Den Haag vor Gericht gebracht. Joschka Fischer, der ehemalige Außenminister, warnt vor Illusionen.
Man muss auch mit 71 Jahre noch träumen können, damit die Hoffnung nicht stirbt", ruft Carla del Ponte aus. Sie ist die ehemalige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (1999 bis 2007) und hat sich ausgiebiger als viele andere mit den Kriegsverbrechen in Jugoslawien und dem Völkermord in Ruanda befassen müssen. Joschka Fischer, gerade 70 geworden, hält dagegen: „Das klingt schön, aber in unserem Alter träumt man nicht mehr wirklich. Und wenn, dann ist es meist nichts Positives."
Die Schweizer Juristin und der ehemalige Grünenpolitiker sitzen sich in der Berliner Volksbühne gegenüber. Anlass ist das neue Buch von del Ponte „Im Namen der Opfer – Das Versagen der Uno und der internationalen Politik in Syrien". Fischer sollte vor allem ihre Aussagen zu diesem Bürgerkrieg politisch kommentieren. Doch auf der Bühne entwickelt sich zwischen den beiden eine hochinteressante Diskussion zu aktuellen Fragen der Weltpolitik. Es ist ein teils sehr emotionales Rededuell, bei dem sie sich nur in einem Punkt einig werden: Die Frisuren von US-Präsident Trump und Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un seien genauso fragwürdig wie zahlreiche ihrer politischen Entscheidungen.
Carla del Ponte bringt eine Menge politischen Zündstoff mit nach Berlin. Bis zum vergangenen Jahr hatte sie als Uno-Sonderermittlerin die Menschenrechtsverletzungen im Bürgerkriegsgebiet in Syrien untersucht. Dann hat sie ihr Amt niedergelegt: „Die Erkenntnis, dass ich nichts bewegen konnte, hat mich total frustriert. Als ehemalige Chefanklägerin wollte ich natürlich, dass der UN-Sicherheitsrat beschließt, dass ein internationaler Gerichtshof zustande kommt – damit die Verbrechen, die da verübt werden, bestraft werden."
Was sie in Syrien erlebt hat, habe sie schier zur Verzweiflung getrieben. „Da gibt es kein Gut und kein Böse mehr. In Syrien gibt es nur noch Böse. Jeder kämpft gegen jeden, mit brutalsten Mitteln." Mittlerweile werfe dort jeder Bomben auf den anderen, notfalls auch Giftgas. Für del Ponte wurde die 2011 begonnene Syrien-Mission zum Flop. „Am Anfang ist eine solche Kommission sehr wichtig. Dann muss der Sicherheitsrat aber entscheiden, wie es weitergeht, und das hat er nicht gemacht." Del Pontes Entscheidung stand fest. Sie schmiss ihren Job hin und schrieb ein Buch. Eine der Forderungen darin: „Die Welt braucht einen ständigen internationalen Gerichtshof."
Joschka Fischer sieht das anders. „Der wird so lange nicht zustande kommen wie es im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für die Großmächte ein Vetorecht gibt", meint er. „Da wird immer jemand dagegen stimmen." Im Falle eines Syrien-Tribunals waren es die Russen und die Chinesen. Del Ponte: „Diese Menschenrechtsverletzungen sind einfach unerträglich! Das ist schlimmer als alles, was ich vorher gesehen habe."
„Ohne Träume ist man verloren"
Carla del Ponte kann das Geschehen vergleichen, mit ähnlich Schlimmem in Ex-Jugoslawien und Ruanda. Der Unterschied: „Da haben wir die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und viele von ihnen verurteilt. Insgesamt wurden in meiner Zeit als UN-Chefanklägerin 91 von insgesamt 161 Personen, gegen die das UN-Tribunal Anklage erhoben hat, gefasst oder stellten sich freiwillig. 63 wurden tatsächlich verurteilt." Zahlen, von denen del Ponte heute im Syrienkonflikt nur träumen kann. „Da muss man doch juristisch etwas machen!"
Wieder widerspricht Fischer. „Seien wir realistisch. Juristisch kann man erst etwas machen, wenn es politisch gewollt ist. Und davon sind wir im Moment weit entfernt." An dieser Stelle muss del Ponte einlenken: Auch wenn Deutschland jetzt nicht-ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat sei, sei das zwar gut für den Schutz der Menschenrechte – aber das reiche bei Weitem nicht. „Was Syrien angeht, hängt das ja an den Vereinigten Staaten, Russland und China." Fischer: „Und dass die ihr ‚Go!‘ im Sicherheitsrat für ein Syrien-Tribunal geben, halte ich für ausgeschlossen. Dafür wird schon der Mann mit der komischen Frisur im Weißen Haus sorgen." (Anm. d. Red.: Gemeint ist US-Präsident Trump).
Carla del Ponte und Joschka Fischer – zwei Menschen jenseits der 70, die eigentlich ihr Leben im Ruhestand genießen könnten. Dennoch sieht die Realität für beide anders aus. Die Schweizerin hat zwar alle offiziellen Ämter niedergelegt, ist aber nun für ihr neues Buch auf Promotion-Tour durch ganz Europa. Und auch Fischer arbeitet immer noch: Er ist Autor zahlreicher Bücher und Zeitungsartikel. Außerdem berät er Unternehmen, die auf internationalen Märkten arbeiten wollen. Seine Zielrichtung: „Wir suchen vor allem nachhaltige Wachstumschancen."
Beide haben in ihren jeweiligen Jobs viel von der Welt gesehen, darunter auch Brutalität und Leid. Doch die Folgerungen, die sie auch in Sachen Syrien daraus ziehen, könnten unterschiedlicher kaum sein. Darf man noch hoffen? Fischer klingt eher negativ: „Das ist ja leider politisch in unserer Zeit nicht gewollt. Schauen Sie sich alleine mal an, wie ablehnend einige europäische Staaten Flüchtlingen gegenüberstehen! Das ist zwar schrecklich, aber die knallharte Realität." Hingegen sagt del Ponte: „Ich habe unglaubliches Elend bei meinen Ermittlungen in Syrien gesehen. Vor allem die Kinder leiden unglaublich. Aber trotzdem bewahre ich mir den Traum, dass irgendwann da etwas passiert. Wenn man zu träumen aufhört, hat man ja schon verloren."