Jahrelang führte das deutsche Schwimmen ein Schattendasein. Zwei neue Hoffnungsträger sollen die Sportart nun wieder ins Rampenlicht führen.
Franziska van Almsick muss es wissen, sie selbst hatte ja im Alter von 14 Jahren einen Schwimm-Boom ausgelöst. Bei den Olympischen Spielen in Barcelona verzückte sie als „Berliner Göre" mit ihren herzerfrischenden Auftritten und vier Medaillen ganz Sport-Deutschland. Danach fieberten Millionen Menschen an den TV-Bildschirmen mit, wenn van Almsick und Co ihre Bahnen zogen und selbst die Stars aus den USA oft hinter sich ließen.
Diese Zeiten sind vorbei. Seit vielen Jahren ist der Schwimmsport in Deutschland abgetaucht – doch das könnte sich laut van Almsick jetzt ändern. Florian Wellbrock und Sarah Köhler seien „die Rettung des Deutschen Schwimmverbandes", frohlockte die frühere Weltmeisterin bei ihrer Auszeichnung mit der Goldenen Sportpyramide Ende November. Um in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, braucht es Erfolge und Gesichter – und beides liefern Wellbrock und Köhler dem Deutschen Schwimm-Verband (DSV). Die Aufmerksamkeit für das Schwimmpaar, das gemeinsam in Magdeburg lebt und trainiert, ist seit dem vergangenen Sommer rasant gestiegen.
Bei der WM im südkoreanischen Gwangju gewann Köhler im Freiwasser Staffelgold und im Becken Silber über 1.500 m Freistil, Wellbrock setzte sogar noch einen drauf: Sein Doppel-Triumph drinnen (1.500 m) und draußen (10 km) war eine historisch einmalige Sache. „Es geht endlich wieder los, wir haben endlich wieder etwas, worüber wir reden können", freute sich van Almsick, die als ARD-Expertin in der Vergangenheit die deutschen Schwimmer oft und auch hart kritisiert hatte. „Ich habe viele Jahre darauf gewartet", ergänzte van Almsick, „dass wir wieder solche positiven Nachrichten haben". Sie freue sich nun „noch mehr" auf Olympia: „In weniger als 250 Tagen geht es nach Tokio, und solche Leistungen von Florian Wellbrock und Sarah Köhler sind toll, das braucht der deutsche Sport und wir Schwimmer sowieso." Auch Wellbrock und Köhler wissen: Bei Olympia zählt’s! Von ihren famosen WM-Auftritten in Fernost gab es keine Live-Bilder im klassischen TV, nur ein paar Tausend Fans sahen nachts via Internet-Stream zu. Die Sommerspiele bieten eine ganz andere Bühne, und alle warten sehnsüchtig auf den ersten deutschen Schwimm-Olympiasieg seit Britta Steffens Doppel-Gold 2008 in Peking.
Paare sind schwieriger zu vermarkten
Von diesem Ziel ist Wellbrock fast schon besessen. „Ich brenne so dermaßen darauf, jetzt endlich nach Japan fliegen zu können", sagte der 22-Jährige. Olympia sei für ihn schon jetzt, acht Monate vor dem Startschuss, „megapräsent". Zu jeder Stunde „schweben diese olympischen Ringe in meinem Kopf und lassen mich nicht los", gab er zu. Man merkt eindeutig: Der süße Geschmack des Erfolgs hat Wellbrock hungrig auf mehr gemacht. Und die WM in Südkorea hat dem Immobilienkaufmann auch gezeigt, dass sein riskantes Projekt, sowohl im Freiwasser als auch im Becken nach Gold zu greifen, keineswegs überambitioniert ist.
Unter Ex-Bundestrainer Henning Lambertz würde es den „doppelten Wellbrock" in Tokio wohl nicht geben, er galt als einer der Skeptiker. Nun ist aber Wellbrocks Heimtrainer Bernd Berkhahn der offizielle Teamchef der deutschen Nationalschwimmer – und der lässt seinen Schützling drinnen und draußen von der Leine. „Ich habe gezeigt, dass ich auf großer Bühne schwimmen kann. Daraus machen wir dann nächstes Jahr das Beste", sagte Wellbrock. Gut für den Langstreckenschwimmer: In Tokio finden zuerst die Beckenwettbewerbe und erst dann das kräftezehrende Rennen im Open Water statt. Für Paul Biedermann, den zurückgetretenen Doppel-Weltmeister von 2009, ist Wellbrock auch deswegen „der klare Favorit" bei seinen Starts über 1.500 m und 10 km. Biedermann war der letzte große männliche Schwimmstar in Deutschland, und Wellbrock tritt nicht nur sportlich in seine Fußstapfen. Seit wenigen Monaten wird der Magdeburger von der Heidelberger Agentur „Albus" betreut, die schon für Biedermann und Britta Steffen lukrative Sponsorendeals an Land gezogen hatten.
„Zur olympischen Saison tut so ein Tapetenwechsel ganz gut", begründete Wellbrock diesen Schritt. Seine Freundin Sarah Köhler wechselte dagegen nicht die Agentur. Paare sind deutlich schwieriger zu vermarkten, selbst beim einstigen Schwimm-„Traumpaar" Biedermann/Steffen soll es deswegen Probleme gegeben haben. Wellbrock alleine könnte einen sechsstelligen Sponsorenerlös generieren, glauben Experten. Der junge Mann ist erfolgreich, ehrgeizig und eloquent. „Grundsätzlich haben die Sportart Schwimmen und der Typ Wellbrock gute Möglichkeiten, den Erfolg lohnend zu nutzen", sagte Albus-Geschäftsführerin Claudia Lindner. Ihr neuer Klient sei aber „trotz seiner Erfolge bisher noch nicht bekannt genug" und müsse noch „mithilfe von Interviews und Fernsehauftritten zu einer Marke geformt" werden. Und so sah man den sonst eher zurückgezogenen Wellbrock Ende November elegant im feinen Zwirn auf dem roten Teppich vor dem Festspielhaus in Baden-Baden spazieren, ehe er mit dem Bambi ausgezeichnet wurde. Die Erfahrung sei „supercool" gewesen, berichtete der Schwimmer, der gemeinsam mit Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul in der Rubrik Sport geehrt wurde. Wellbrock weiß: Um aus Gold auch Geld zu machen, muss er aus seinem Schneckenhaus raus. Doch verbiegen lassen will er sich dabei nicht. „Ich mache auf der Tribüne nicht den Hampelmann oder schwinge irgendwelche Reden", sagte er: „Ich werde oft gefragt, ob ich jetzt der neue Paul Biedermann bin. Für mich ist das überhaupt nicht relevant."
Riesenstimmung in Neapel
Auch Heimtrainer Berkhahn erlebt seinen Schützling noch immer „so wie vorher", es habe sich „keine Überheblichkeit oder Verängstigung" eingestellt. Das trifft auch auf Köhler zu, die unter Berkhahn einen wahren Quantensprung nach vorne gemacht hat. Seit ihrem Umzug von Heidelberg nach Magdeburg setzt die 25-Jährige ihre Bestzeiten immer weiter nach unten, längst gehört sie auf den langen Freistildistanzen zur absoluten Weltspitze. Untermauert hat Köhler das in Berlin mit dem Kurzbahn-Weltrekord über 1.500 m (15:18,01 Minuten) Mitte Februar. „Ich hätte nie gedacht, dass ich die zwei Buchstaben WR hinter meinem Namen mal sehen würde", sagte die Athletensprecherin, nachdem für sie „definitiv ein Traum in Erfüllung" gegangen war. Für ihren Trainer Berkhahn war es dagegen ein „Weltrekord fast mit Ansage". Schließlich befindet sich Köhler in starker Frühform, und sie war direkt aus dem Höhentrainingslager aus der Sierra Nevada in Spanien zum Weltcup in den Europasportpark nach Berlin gereist. Er habe ihr schon am Vortag „die Aufgabe gegeben", verriet Berkhahn „den Weltrekord zu schwimmen". Und Köhler lieferte, wie eigentlich immer bei den letzten großen Wettbewerben.
Bei der WM profitierte sie im 1.500-m-Finale zwar vom krankheitsbedingten Fehlen der Ausnahmeschwimmerin Katie Ledecky, doch auch mit der US-Amerikanerin hätte es für Köhler für einen Podestplatz gereicht. Auf die Frage, ob es das Rennen ihres Lebens war, antwortete sie: „Ich hoffe nicht. Ich hoffe schon, dass es nächstes Jahr noch ein bisschen schneller geht." Die Angst vor großen Namen hat die gebürtige Hanauerin längst abgelegt. Geholfen hat ihr dabei auch der Start bei der neuen und mit fünf Millionen US-Dollar dotierten Schwimm-Profiliga ISL für das italienische Team Aqua Centurions. Vor allem beim Heimrennen in Neapel musste Köhler aufgrund der Partystimmung im Piscina Felice Scandone Nervenstärke beweisen. „Ich habe gar nicht gehört, dass wir auf den Block sollten, weil es so laut war", berichtete Köhler: „Es wäre schön, wenn wir in Deutschland auch so eine Begeisterung für uns hätten." Sie und ihr Freund Wellbrock tun zumindest alles dafür, dass der deutsche Schwimmsport wieder positive Schlagzeilen schreibt und aus seinem Schattendasein herauskommt. Als Liebespaar ist diese Mission nicht immer einfach. Als Wellbrock bei der WM im Vorlauf über 800 m völlig überraschend gescheitert war, musste Köhler ihren Vorsatz, „dass wir bei Wettkämpfen vor allem als Individualsportler an den Start gehen", etwas über Bord werfen. Sie baute ihren Freund moralisch auf – auch auf die Gefahr hin, sich von seinem Missgeschick herunterziehen zu lassen.
Solche Geschichten begeistern Franziska van Almsick. Sie hat das Preisgeld, das sie für die Goldene Sportpyramide erhielt, aus eigener Tasche auf 75.000 Euro verdreifacht, aus diesem Topf sollen unter anderem die Kosten für ein Mentaltraining für Köhler und Wellbrock bezahlt werden. Jetzt müssen die neuen Stars „nur" noch beweisen, dass sie wirklich die Retter des deutschen Schwimmsports sind.