Jerome Müller aus Werschweiler kämpft mit seinem aktuellen Club, den Eulen Ludwigshafen, gegen den Abstieg aus der Handball-Bundesliga. Als sei dies noch nicht schwer genug, steht er dabei auch noch im direkten Duell mit seinem künftigen Club, dem TVB Stuttgart.
Handballer Jerome Müller steht vor den kuriosesten Wochen seiner bisherigen Karriere. Der 23-jährige Saarländer steht noch bis Saisonende bei Bundesligist Eulen Ludwigshafen unter Vertrag. Im Januar veröffentlichte sein künftiger Club, Ligakonkurrent TVB Stuttgart, dass er ab Sommer für zwei Jahre in dessen Diensten steht. Soweit, so normal. Müller will zu einem Club, der nicht wie Ludwigshafen jedes Jahr im Abstiegskampf steckt. Allerdings hat sich seit seiner Entscheidung für den TVB in der Tabelle einiges getan, und Stuttgart hängt genauso im Kampf um den Klassenverbleib wie Ludwigshafen. Beide Teams, Müllers aktuelles und sein künftiges, liegen mittlerweile gleichauf vor dem abgeschlagenen Schlusslicht HSG Nordhorn-Lingen. Die beiden Letzten steigen am Saisonende ab.
„Die Entscheidung ist aus sportlichen Gründen so gefallen. Stuttgart hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie den Klassenverbleib immer wieder schaffen, und deshalb wollte ich diesen Schritt gehen“, sagt Müller und muss zugeben: „Mittlerweile ist es schon ziemlich eng, das war zum Zeitpunkt der Entscheidung doch ein bisschen anders.“ Sein Vertrag in Stuttgart gilt für die Erste und Zweite Liga. „Wenn es wirklich zum Abstieg kommen sollte, habe ich halt mal Pech gehabt und muss in den sauren Apfel beißen“, sagt er und findet: „Bisher habe ich in meiner Laufbahn auch immer sehr viel Glück mit den Mannschaften gehabt, zu denen ich gewechselt bin.“ Noch hat der Linkshänder Hoffnung, dass beide Teams in der stärksten Liga der Welt bleiben. Jedenfalls will er alles in seiner Macht stehende dafür tun und sich nicht nachsagen lassen, in den restlichen Spielen in Gedanken schon bei seinem neuen Verein zu sein. „Es ist meine Pflicht, mich für die Mannschaft bis zum letzten Spiel zu hundert Prozent reinzuhauen. Welche Tabellenkonstellation wir dann am Ende haben, wird sich zeigen. Ich hoffe, dass es für beide Clubs positiv ausgeht.“ Dies scheint aktuell zwar unwahrscheinlich, aber unmöglich ist es nicht.
„Ich hoffe, dass es für beide Clubs positiv ausgeht“
Die Entscheidung, die Eulen im Sommer zu verlassen, sei ihm „überhaupt nicht leichtgefallen“, sagt Jerome Müller. „Mir gefällt es hier insbesondere mit der Mannschaft unheimlich gut. Wir unternehmen und erleben sehr viel zusammen, und deshalb ist es schon schwer, das alles hier zu verlassen.“ Trotzdem freut sich der 23-Jährige auch auf die neue Herausforderung. Zu der gehört, sich aufs Neue einem Konkurrenzkampf zu stellen. In Ludwigshafen ist Müller mit 80 Toren nach 21 Spielen der unumstrittene Topscorer. Beim TVB, wo sein künftiger Torwart der 2007er WM-Held Jogi Bitter sein wird, muss sich der Saarländer zunächst mit dem Isländer Viggó Kristjánsson um die Vorherschafft und Einsatzminuten streiten. Kristjánsson steht in der laufenden Saison bei der HSG Wetzlar unter Vertrag, dem Club von Müllers früher kongenialem Mannschaftskameraden bei der HG Saarlouis (bis 2018), Lars Weissgerber. „Das wird ein erst einmal ausgeglichener Konkurrenzkampf. Er hat schon in einigen Spielen gezeigt, dass er ein richtig Guter ist. Aber ich will diese Herausforderung annehmen und mich in diesem Zweikampf behaupten“, kündigt Müller respektvoll, aber selbstbewusst an. TVB-Geschäftsführer Jürgen Schweikardt sagt dazu: „Mit Viggó Kristjánsson und Jerome Müller haben wir zwei facettenreiche Spieler für die rechte Rückraumposition gewinnen können. Beide haben ihren Leistungshorizont noch lange nicht erreicht und stehen trotzdem schon Woche für Woche ihren Mann in der HBL. Wir alle können uns auf zwei sehr spannende Spieler und Menschen freuen.“
Trotz seiner starken Leistungen in der Bundesliga hat die Herren-Nationalmannschaft beim Junioren-Vizeeuropameister von 2016 noch nicht angeklopft. Auch nicht, als zahlreiche verletzungsbedingte Ausfälle vor der EM im Januar auf eine Nominierung hoffen ließen. „Ich bin da Realist. Ich spiele zwar jetzt seit anderthalb Jahren in der Bundesliga mit, aber ich kann auch die Konkurrenzsituation einschätzen“, stellt Müller nüchtern klar. „Hier gibt es viele erfahrene Rückraumspieler, die seit mehreren Jahren schon auf BundesligaTopniveau spielen und sich immer wieder beweisen. Ich hoffe, dass ich irgendwann auch einmal dieses Niveau erreichen kann, aber ich weiß auch, dass da noch ein langer Weg vor mir liegt.“
„Ich weiß, dass da noch ein langer Weg vor mir liegt“
Zum Abschneiden der Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft hat er eine dezidierte Meinung: „Ich finde, dass alles durch die vielen Schlagzeilen während der EM viel negativer dargestellt wurde, als es eigentlich war. Die Mannschaft kam definitiv schlechter weg als sie gespielt hat“, sagt der Linkshänder und ergänzt: „Im Endeffekt haben wir nur zwei Spiele verloren – und die auch noch gegen die beiden Finalisten. Gegen Spanien war es deutlich, aber gegen Kroatien bitter, weil wir da lange das bessere Team waren.“
Den fünften Platz hält er auch mit Blick auf das verletzungsbedingte Fehlen einiger Stammkräfte für einen versöhnlichen Abschluss.
Apropos versöhnlicher Abschluss: Den wünscht sich der Student der Sport- und Bildungswissenschaften auch für sein Studium zum Sportlehrer, das er in Stuttgart fortführen will. Was sich auf einer künftigen Bewerbung neben dem akademischen Abschluss und seiner Bundesliga-Stationen gut machen wird, ist der „Kretzsche des Monats“. Den vom Privatsender Sky ausgelobten „wichtigsten Handballpreis der Welt“ bekam Müller für seine starken Leistungen im November 2019. „Ich hoffe nicht, dass das dem jungen Kollegen zu Kopf steigt“, sagte Kult-Handballer und Namensgeber des Preises, Stefan Kretzschmar, bei seiner Laudatio und ergänzte: „Ich hoffe, dass unser Preis, ähnlich wie der Friedens-Nobelpreis für Barack Obama Anreiz sein sollte für das, was jetzt kommt. Nämlich eine große Steigerung. Also, dranbleiben, Jerome. Bisher haste nich’ viel falsch gemacht.“ Für Jerome Müller war schon die Nominierung „etwas Tolles. Dank der tollen Unterstützung aus meiner Heimat, dem Saarland, hab ich das Ding jetzt“, sagte er im Sky-Interview und verriet, für den Preis, der ihm „sehr viel“ bedeute, einen „schönen Platz“ vor seinem Fernseher vorgesehen zu haben. Spannend bleibt, ob er die Bundesligasaison 2020/2021 ebenfalls nur vor dem Fernseher verfolgen darf oder mitten im Geschehen.