Homeoffice gilt vielen als das Zauberwort für die neue Arbeitswelt. Damit wird sich mehr ändern als nur der Arbeitsort. Die Diskussion über gesellschaftliche Veränderungen steht noch ziemlich am Anfang.
Die schöne neue Arbeitswelt im Homeoffice sendet die unterschiedlichsten Signale. Wer Homeoffice macht, ist öfter erschöpft aber zufriedener – titelte der „Spiegel“ schon im vergangenen Jahr. Das wird durch aktuelle Studien bestätigt. Die zeigen aber auch die andere Seite: Homeoffice ist zwar offenbar effzienter, aber anstrengender.
Zahlreiche Studien versuchen, Vor- und Nachteile zu fassen, vor allem aus (betriebs-)wirtschaftlicher und arbeitsrechtlicher zuweilen auch psychologischer Sicht. Die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen sind aber bislang kaum im Fokus. Vielleicht ist das Phänomen in dieser verbreiteten Form auch schlicht noch zu jung und die Erfahrungen noch zu frisch. Unabhängig davon werden Befürchtungen einer weiteren Spaltung der Gesellschaft diskutiert, die auf unterschiedlichen Ebenen argumentieren.
Eines der Argumente ist: Homeoffice kommt – wenn überhaupt – nur für einen Teil der Arbeitswelt infrage, vereinfacht gesagt für Tätigkeiten, die üblicherweise am Büroschreibtisch erledigt werden. Alle anderen müssten nach wie vor zur Arbeit. Es sei denn, man entwirft eine komplett neue Gesellschaft, digital und KI-gesteuert. Was noch gar nicht einmal ferne Science-Fiction-Utopie sein müsste.
Eine komplette Umstellung aller Verwaltungsdienstleistungen ist im Grunde längst im Gange, auch wenn Deutschland noch ziemlich hinterherhinkt und einen elektronisch erstellten Bauantrag bereits für einen Meilenstein hält. Dass nicht längst praktisch alles, was mit Büro-Schreibtisch- und Verwaltungsarbeit zu tun hat, auf Homeoffice umgestellt ist, ist keine grundsätzliche Frage der technischen Möglichkeit, sondern der bisherigen Zögerlichkeit.
Was aber ist mit Bereichen, die bislang vom Homeoffice praktisch als ausgeschlossen gelten? Man kann doch kein Auto zu Hause zusammenbauen. Wirklich nicht? Menschenleere Montagehallen sind längst Realität. Wer sagt, dass Kontroll- und Führungszentralen nicht auch im ausgebauten Dachgeschoss-Arbeitszimmer möglich sein sollten?
Und wenn was in diesen Hallen zu reparieren wäre? Es wird doch längst – auch an der Universität des Saarlandes – an KI gearbeitet, die sogar bislang noch unbekannte Fehlerquellen erkennen können soll – natürlich, um sie in einem selbstlernenden Prozess so zu steuern, dass der tatsächliche Fehler erst gar nicht auftritt. Dass der Transport von Teilen zu und des fertigen Produkts aus den Hallen mit autonomen Fahrzeugen erfolgt, ist dann eine Selbstverständlichkeit.
Bei Pflege aber beispielsweise geht das doch gar nicht! Warum? Pflegeroboter gibt es längst, auch wenn sie die Kulturgrenzen zu uns noch nicht passiert haben. Fernüberwachung des Gesundheitszustands – technisch im Grunde kein Problem, Diagnose und Therapie aus dem Homeoffice. Und für Unterhaltung der Senioren sorgen ebenfalls Roboter, Updates per Fernwartung.
Nicht nur die Arbeit wird sich ändern
Wären noch Handwerker, die schließlich kommen müssen, wenn das Rohr im Keller gebrochen ist. Dazu fliegt eine Drohne den Reparaturroboter ein, natürlich an einem Homeoffice-Bildschirm gesteuert. Straßenreinigung und Müllabfuhr haben dann schon längst über GPS-gesteuerte Roboter übernommen.
Eine befürchtete Spaltung in Menschen mit beziehungsweise ohne homeofficefähige Jobs erscheint vor diesem Hintergrund eher als eine Frage für den Übergang zu der grundsätzlichen Frage der Arbeitswelt der Zukunft. Sie deshalb einfach zu überspringen, wäre aber dann doch etwas zu einfach. Wichtiger ist vielmehr, die derzeit wesentlich auf die konkreten Ausgestaltungen von Homeoffice konzentrierten Diskussionen auf gesamtgesellschaftliche Perspektiven zu erweitern.
Die Soziologin Jutta Allmendinger sieht im Trend zum Homeoffice ein Potenzial für „gesellschaftlichen Sprengstoff“, vor allem, weil Homeoffice aus ihrer Sicht den Trend zur Vereinzelung noch verschärft. Sie bezieht das nicht so sehr auf Entwicklungen, die unter Gesichtspunkten unternehmensinterner Kommunikation bereits zahlreich untersucht werden, sondern auf einen gesamtgesellschaftlichen Rahmen. So verweist die Präsidentin des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland darauf, dass Erwerbsarbeit immer auch Menschen unterschiedlichster Milieus zusammenbringe, „und sei es nur in der S-Bahn oder in der Cafeteria“. Sicher wird auch die Soziologin nicht behaupten, dass das Gedränge in Bus und Bahn die Folgen sozialer Spaltungen lindert. Trotzdem ist der Kern der Botschaft nicht von der Hand zu weisen.
Der amerikanisch-britische Soziologe Richard Sennett, der sich auch mit der Instabilität zwischenmenschlicher Beziehungen und der Vereinzelung beschäftigt, hofft zwar, „dass die Ungleichheit nicht größer wird“. Aber seine Beobachtungen stimmen eher skeptisch: Bei Menschen im Homeoffice nimmt der Trend zur Formalisierung der Arbeit zu. Formalisierte Vorgänge würden vor allem für Tätigkeiten zutreffen, die von „Leuten mit niederen Rängen“ und „starren Kommunikationswegen“ ausgeübt werden. Gesellschaftlich sieht er auch unterschiedliche Entwicklungen zwischen Stadt und Land. Persönliche Netzwerke –
womit er nicht Social-Media-Gruppen, sondern direkte persönliche Kontakte meint – könnten in Städten eher aufrechterhalten werden als in ländlichen Regionen. Es gehe „nicht darum, ob die Straßen voll oder leer sind, sondern um das soziale Panorama“.
Ob sich solche Szenarien bewahrheiten, und wenn, mit welchen konkreten Auswirkungen, ist eher eine mittelfristige Entwicklung. Kurzfristig hat die in großem Umfang erzwungene Umstellung Fragen verschärft, die ohnehin grundsätzlich in der Entwicklung der digitalen Gesellschaft auf der Agenda standen.“ Will ich eigentlich arbeiten, wieviel Zeit will ich mit meiner Familie verbringen?“, sind nur einige davon. Die Journalistin und Erfolgsautorin Greta Taubert ist überzeugt, dass die Erfahrungen der letzten Monate „noch viel eindrücklicher wirken“, als es jetzt vergleichsweise kurzfristig zu sehen ist.
Es gibt allerdings auch weniger skeptisch-pessimistische Stimmen. Der Arbeitssoziologe Klaus Dörre hat vor allem Führungskräfte und Angestellte befragt und kommt danach zu dem Schluss, dass sich in der Arbeitswelt aufgrund der Erfahrungen neue Mischformen entwickeln werden. Damit bestätigt die Untersuchung das, was sich als Trend abzeichnet. Er verbindet mit den Erkenntnissen seiner Studie aber auch die Perspektive, dass die Zeitersparnis durch Homeoffice positive Rückwirkungen auf gesellschaftliches Engagement haben könnte, vor allem dann, „wenn wir konzentrierter und durchschnittlich weniger arbeiten würden“.