Das Arbeiten zu Hause ist in der Corona-Pandemie im Jahr 2020 für viele Beschäftigte zur neuen Normalität geworden. Experten warnen jedoch vor Gefahren und Benachteiligungen, insbesondere für Arbeitnehmerinnen.
Im ersten Lockdown im Frühjahr mussten viele Eltern wochenlang einen Spagat bewältigen: im Homeoffice weiterhin gute Arbeit leisten und sich gleichzeitig rund um die Uhr um die Kinder kümmern. Die Kinderbetreuung und das Homeschooling brachten so manche Eltern an den Rand ihrer Kräfte. Auch der zweite Lockdown und die strengen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zwingen erneut viele Menschen dazu, in den eigenen vier Wänden zu arbeiten.
So fällt im Haushalt automatisch mehr Arbeit an, es muss also öfters eingekauft, gekocht und geputzt werden. Das bedeutet für alle mehr Stress, vor allem für die Frauen: „Die anfallende Mehrarbeit im Haushalt bleibt tendenziell an den Frauen hängen", sagt Anna Buschmeyer vom Deutschen Jugendinstitut in München. Dort arbeitet sie an einer qualitativen Studie zur Vereinbarkeit von Homeschooling, Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit. Dazu hat die Soziologin in Zusammenarbeit mit der Hochschule Hamm-Lippstadt 21 Interviews mit Vätern und Müttern geführt. Unter den Befragten waren Elternpaare und Alleinerziehende.
Traditionelle Geschlechterrollen halten sich hartnäckig
Die Befragung hat gezeigt, dass sich die Aufgabenverteilung in den meisten Familien während des Lockdowns im Frühjahr nicht verändert hat. Zwar packen die Männer im Haushalt deutlich mehr an als in den Zeiten vor der Corona-Krise. Sie verbringen auch mehr Zeit mit den Kindern. „Trotzdem entspricht die familieninterne Aufgabenverteilung häufig traditionellen Geschlechterrollen", sagt Anna Buschmeyer, mit negativen Auswirkungen für die Mütter: Für sie ist das Homeoffice mit einer deutlichen Mehrbelastung verbunden.
Diesen Umstand begründet die Expertin für Geschlechterforschung mit dem Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern und der Langlebigkeit gesellschaftlicher Rollenbilder. „In den Interviews haben wir festgestellt, dass auch emanzipierte Frauen oft wie selbstverständlich die Mehrarbeit im Haushalt übernehmen." Zudem seien sie eher dazu bereit, beruflich kürzerzutreten, wenn der Mann mehr verdient, was die Regel sei.
Auch die Arbeitsbedingungen sind für die weiblichen Beschäftigten zu Hause häufiger schlechter als im Büro. Sie werden von ihren Kindern häufiger gestört als die Männer, was darauf zurückzuführen ist, dass sie häufiger als die Männer kein eigenes Arbeitszimmer haben. Stattdessen arbeiten sie am Küchentisch oder im Wohnzimmer, wo die Kinder spielen. Im Gegensatz dazu verfügen die Männer häufiger über ein separates und gut ausgestattetes Arbeitszimmer.
Frauen gehören tendenziell zu den Verliererinnen der Corona-Krise
Stefan Sell kommt zu einem ähnlichen Befund. Der Sozialwissenschaftler ist Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung an der Hochschule Koblenz. „Die Corona-Krise hat das Potenzial, bestehende gesellschaftliche Strukturen und Rollenbilder zu verfestigen und die Ungleichheit zwischen Mann und Frau zu vertiefen."
Die Vermischung im Homeoffice von Beruf und Privaten könne zudem eine Quelle für psychischen Stress sein, gibt er zu bedenken, und verweist auf eine im vergangenen Jahr erschienene Studie der Internationalen Arbeitsorganisation, einer Sonderorganisation der UNO. Zu Hause arbeiten erscheint auf den ersten Blick praktisch: Arbeitsweg gespart, nebenbei die Wäsche gemacht. „Für Körper und Psyche kann das Arbeiten in den eigenen vier Wänden aber ernste Nachteile haben. Darunter haben vor allem die Frauen zu leiden. Unter dem Strich gehören sie tendenziell zu den Verliererinnen der Corona-Krise und von Homeoffice", analysiert Stefan Sell.
Experten warnen vor Zweiklassengesellschaft
Nichtsdestotrotz gehören in der Regel diejenigen, die zu Hause arbeiten können, eher zu den Privilegierten. Allein das Wegfallen des Arbeitsweges ist für viele Eltern eine große Erleichterung. Sie können ihr Einkommen stabil halten, während andere, die ihren Job verloren haben oder in Kurzarbeit geschickt worden sind, Gefahr laufen, in eine finanzielle Schieflage zu geraten. Zudem haben sie aufgrund ihrer Arbeit ein geringeres Ansteckungsrisiko als etwa Pflegerinnen, Polizistinnen oder Handwerker, die alle vor Ort arbeiten müssen.
Experten warnen schon vor einer Zweiklassengesellschaft: Auf der einen Seite diejenigen, die im Homeoffice arbeiten können, auf der anderen jene, die das nicht können. Diese müssen sich allerdings nicht automatisch benachteiligt fühlen. Viele Menschen schätzen den ständigen Kontakt mit den Kunden oder Patienten und wollen darauf auch nicht verzichten.
Homeoffice als Karriere-Killer?
In der Diskussion um die Frage, wer von Homeoffice eigentlich profitiert, stellt sich oft auch diese Frage: Kann die Arbeit im Homeoffice zum Karriere-Killer werden, insbesondere für Frauen? Üblicherweise gilt die Devise, dass durch mobiles Arbeiten, das bedeutet an einem Ort außerhalb der eigentlichen Betriebsstätte, die Karrierechancen drastisch sinken. Denn vielerorts gilt: Wer Karriere machen will, muss im Unternehmen Präsenz zeigen, ein persönliches Netzwerk gilt als Karrieremotor. Und das funktioniert in der Regel nur über das persönliche Gespräch, von Angesicht zu Angesicht.
Ute Wörner ist Senior-Personalreferentin bei der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen. Aus ihrer Sicht besteht „keine Gefahr", dass mobiles Arbeiten die Karrierechancen von Frauen und Männern beeinträchtigen könnte. Dass es für das Team nicht gerade förderlich sei, wenn die Mitarbeitenden und ihre Vorgesetzten sich über Monate nicht mehr treffen könnten, liege zwar auf der Hand. „Wir gehören zu den großen Sparkassen in Deutschland. Trotzdem kennen wir die Kolleginnen und Kollegen persönlich. Für eine mögliche Beförderung spielt es deshalb auch keine Rolle, ob und wie lange jemand außerhalb des Büros arbeitet. Es zählen allein der persönliche Einsatz und das Arbeitsergebnis."
Homeoffice ist keine Patentlösung
Auch wenn mobiles Arbeiten mehr Flexibilität im Alltag ermöglicht, wäre es ein Trugschluss zu glauben, Homeoffice wäre die „ultimative Lösung" für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, gibt Anna Buschmeyer vom Deutschen Jugendinstitut zu bedenken. „Haushalt und die Kinderbetreuung parallel zur Erwerbsarbeit zu verrichten, ist illusorisch. Homeoffice ist nur dann eine Erleichterung, wenn die Kinderbetreuung gewährleistet ist, entweder durch die Kita oder durch den Partner."
Die berufstätige Mutter zweier Kinder spricht aus eigener Erfahrung: Den ersten Lockdown im Frühjahr verbrachte die 42-Jährige zusammen mit ihrer vierköpfigen Familie in einer Drei-Zimmer-Wohnung. Sie und ihr Mann arbeiteten abwechselnd an einem kleinen Schreibtisch im Schlafzimmer, während der andere Partner auf die Kinder aufpasste. „Das war für alle eine extrem anstrengende Zeit."