Mit Hygiene- und Abstandsregeln und getestetem Publikum sollten im Rahmen von „Perspektive Kultur" Konzerte und Theaterabende in Berlin stattfinden. Das Projekt wurde mittlerweile gestoppt, die durchgeführten Veranstaltungen scheinen eine Ewigkeit her. Oder waren sie doch nur geträumt?
Es ist der 25. März, und vor dem Konzerthaus am Gendarmenmarkt stehen einzelne Menschen, einige Paare. Sie genießen die Atmosphäre auf dem Platz und die Vorfreude auf das bevorstehende Ereignis mit einem mitgebrachten Gläschen Prosecco. Im Hintergrund wartet das rötlich illuminierte Konzerthaus Berlin an diesem Abend tatsächlich auf Besucher. Langsam und ruhig bewegen sich die Grüppchen zum Eingang, an dem bereits einige Gäste in dem bekannten Corona-Abstand in der Schlange stehen. In der Hand einen Negativtest-Nachweis auf dem Smartphone und den Personalausweis, eine FFP2-Maske vor Mund und Nase.
Dieser besondere Konzertabend ist Teil des Anfang März ins Leben gerufenen Pilotprojekts „Perspektive Kultur". Ein deutschlandweit einmaliges Projekt, das die Senatsverwaltung für Kultur unter anderem zusammen mit dem Berliner Ensemble, den Berliner Philharmonikern und der Clubcommission entwickelt hatte – als Testlauf für die Öffnung von Kultur. Dabei setzen die Veranstalter auf Antigen-Tests jedes einzelnen Besuchers zusammen mit den ausgefeilten Pandemie- Konzepten der jeweiligen Häuser.
Hier im Konzerthaus geht es schnell mit den Kontrollen der personalisierten Eintrittskarten mit Personalausweis, der tagesaktuellen Negativtests und Masken. Erst danach erhalten die Besucherinnen und Besucher Eintritt in das klangvolle Haus. Begleitet werden sie dabei von Servicekräften, die selbst voller Vorfreude auf das Livekonzert sind – endlich wieder eine Veranstaltung nach den langen Monaten des Lockdowns.
Freude über Liveveranstaltung
„Wir sind überglücklich, nach so langer Zeit wieder ein Livekonzert zu erleben und hatten einfach großes Glück mit der Kartenbuchung", strahlen Jan und Josefin, die direkt aus dem Corona-Familienalltag mit Homeschooling und Homeoffice zu diesem Konzert gekommen sind. „Zusammen mit unseren personalisierten Tickets haben wir Infos zu zertifizierten Schnelltestzentren bekommen und uns eines mit einem passenden Zeitfenster ausgesucht." Umständlich fanden das die beiden nicht. Im Gegenteil: Kulturveranstaltungen würden in diesen Zeiten aufgewertet, viel mehr wertgeschätzt, betont das Paar.
Mit Maske sitzen 230 Personen im Schachbrettmuster – ein Drittel der möglichen Besucherzahl – im Kleinen Kammermusiksaal des Konzerthauses Berlin. Und dann erklingt Mozarts Streichtrio in Es-Dur. Virtuos gespielt von Tanja und Christian Tetzlaff, Violoncello und Violine und Elisabeth Kufferath, Viola. Publikum und Künstler scheinen gleichermaßen ergriffen von der besonderen Atmosphäre im Saal. Mit Pianistin Kiveli Dörken und dem Klavierquartett von Brahms entfesselt sich dann auf der Bühne ein musikalisches Feuerwerk. Man könnte meinen, es entspricht der momentanen Stimmung im Kunst- und Kulturbereich, und die erschütternden Mollsätze zu Beginn spiegeln den Zustand tiefster Verzweiflung der Branche in Corona-Zeiten wider.
Dennoch, trotz Achterbahnfahrt zwischen Lockdown, kurzzeitigen Öffnungen und „Notbremsen" weigert sich der Kultursektor, aufzugeben. Theater, Konzerthäuser und Museen suchen nach konstruktiven Lösungen zur Wiedereröffnung der Kultur, und dazu gehört auch das Konzert am Abend des 25. März. Schon zuvor hatten Berliner Ensemble und die Philharmonie im Rahmen des Pilotprojekts Veranstaltungen mit durchweg positiver Resonanz durchgeführt. Mit 1.000 Konzertbesuchern in der Philharmonie und einem eigenen Testzentrum vor Ort betrieb das Haus erheblichen logistischen Aufwand. Die Möglichkeit, sich direkt und nicht bei einem externen Dienstleister testen zu lassen, nahmen rund 68 Prozent der Besucher wahr. „Insgesamt bewerte ich diesen Testlauf als großen Erfolg, auf dem wir weiter aufbauen können", so Andrea Zietzschmann, die Intendantin der Stiftung Berliner Philharmoniker.
In Konzerthaus, in der Philharmonie und beim Berliner Ensemble gab es durchweg positive Erfahrungen mit den Gesundheits- und Sicherheitskonzepten und den streng organisierten Abläufen. Aber wie sehen Chancen und Risiken für die Berliner Clubkultur während der Pandemie aus? Wie können die geforderten Abstände eingehalten werden, wenn Impulsivität und Nähe für einen Clubabend charakteristisch sind? Um das für ihre Clubbesucher herauszufinden, hatte sich auch die Berliner Clubkommission am Pilotprojekt „Perspektive Kultur" beteiligt. Auf Augenhöhe und im gleichberechtigten Austausch mit Theatern, Konzert- und Opernhäusern. Ein Livekonzert fand im Rahmen des Modellprojekts im Säalchen Holzmarkt, einem angesagten Berliner Kulturstandort, statt. Mit Bison Rouge (Electronic x Classical Cello Vocal Experience) und Reecode (Cyber Ballads). Das Konzert war auch hier nach wenigen Minuten ausverkauft. Rein kam nur, wer zu seinem Ticket einen negativen Corona-Test vorzeigen, sich ausweisen konnte und Maske trug. Keine Konzertpause, keine Getränke, sichere Abstände und ein individuelles Hygienekonzept gehörten zu den Covid-Sicherheitsmaßnahmen. Noch letztes Jahr hätte sich Pamela Schobeß, Vorsitzende der Berliner Clubcommission, nie ein Club-Konzert mit Bestuhlung vorstellen können. Nun aber gab es für die Besucher 72 Stühle im Mindestabstand von 1,5 Metern, keinen Dancefloor und damit auch nur ein Fünftel der Saal-Kapazität.
Clubbesuch ohne Dancefloor
Die Teilnahme an diesem Pilotprojekt sieht die Clubkommission als wichtigen Schritt, um der Politik zu zeigen, dass der Clubbetrieb unter strengen Auflagen zu einer gewissen Normalität zurückkehren könnte. Es geht auch darum, nach 13 Monaten Schließzeit mit „finanziellen und emotionalen Leiden" Hoffnung zu vermitteln. Die Clubkultur lebt weiter, auch unter sehr erschwerten Bedingungen. Nach dem Konzert resümierte Pamela Schobeß: „Unser Modellversuch hat unter Beweis gestellt, dass Betreibern ein hohes Maß an Verantwortung bei der Durchführung von Veranstaltungen zugetraut werden kann. Jetzt braucht es verlässliche Genehmigungsverfahren seitens der Politik, um weitere Modellprojekte zu ermöglichen."
Aber wegen stark gestiegener Infektionszahlen mussten die geplanten Veranstaltungen in der Staatsoper Berlin, in der Berliner Volksbühne und in der Deutschen Oper Berlin wieder abgesagt werden. Und noch schwieriger ist es jetzt für den gesamten Kultursektor durch die gerade von der Bundesregierung beschlossene Notbremse. Als kontraproduktiv hat Berlins Kultursenator Lederer die Novelle des Infektionsschutzgesetzes bezeichnet. Für ihn ist es nicht nachvollziehbar, dass darin – nur abhängig von einer Inzidenz über 100 – ein pauschales Verbot kultureller Veranstaltungen, ohne Unterscheidung zwischen Innenräumen und unter freiem Himmel, vorgesehen ist.
Denn Open-Air-Veranstaltungen mit beschränkter Teilnehmerzahl, Mindestabstand und mit Hygieneregeln seien eine sichere Alternative. Dass die Veranstalter die dazu notwendigen Gesundheitskonzepte logistisch umsetzen können, hat das Modellprojekt „Perspektive Kultur" jedenfalls gezeigt. Ebenso wie die Begeisterung und Freude des Publikums über jegliches live stattfindendes Kulturevent.