Das Coronavirus hat die Welt auf den Kopf gestellt und die Arbeitsroutine vieler Bands durcheinandergebracht, so auch die jener aus dem oberbayerischen Weilheim. „Vertigo Days", Tage des Schwindels, haben The Notwist ihr neues Album genannt, das erste seit sieben Jahren, wenn man das Live-Album „Superheroes, Ghost-Villains + Stuff" und die Kompilation von Instrumentals „Messier Objects" nicht mitzählt. Als der erste Lockdown im Frühjahr 2020 das Land stilllegte, hatte die Band schon einen Großteil der Songs aufgenommen. Wie es konkret weitergehen sollte, wusste man jedoch nicht. Doch da die Indiepop-Band nicht mehr live spielen durfte, stellte sie das Album mit allem bis dahin vorhandenen Material fertig. Einmal mehr sind Markus und Micha Acher über sich hinausgewachsen, haben ein so noch nie gehörtes Gesamtkunstwerk geschaffen, das erst seine Größe und Magie dank der mit den Brüdern befreundeten Gastmusikern entfaltet.
Saya Ueno von der japanischen Band Tenniscoats („Ship"), der amerikanische Jazzmusiker Ben LaMar Gay („Oh Sweet Fire"), die argentinische Folk-Elektro-Künstlerin Juana Molina („Al Sur") und andere veredeln die Songs mit ihren Texten und Stimmen. Natürlich lassen sich auf dem achten Studioalbum auch die vertraute Laut-Leise-Dynamik wie in „Loose Ends", die bekannten melancholischen Tonfolgen wie in „Into Love" und „Night‘s Too Dark" und pluckernde und verspielte Sounds heraushören. Doch all diese unverwechselbaren Bestandteile fügen sich zu einem homogenen Ganzen, das in ein warmes, Lo-Fi-ähnliches Klangbild eingebettet ist. Die Stimmung der 14 Songs, die meisterlich ineinanderfließen und in einer Session entstanden sein könnten, passt in diese Zeit der Pandemie, die das ganze Gesellschaftssystem und jeden von uns trifft.
Ja, fast schon mutet das neue Werk wie ein Soundtrack für den zweiten Lockdown an. Über vielen Städten liegt eine geradezu gespenstische Stille. Niemand vermag zu sagen, was morgen kommen wird, wie lange wir noch in dieser Blase leben. The Notwist bringen mit „Vertigo Days" Licht in diese Zeit der Ungewissheit und des Wartens.