Der herausragende Lauf der Füchse Berlin ist auf brutale Weise gestoppt worden. Zwei Niederlagen in zwei Topspielen holen das Team zurück auf den Boden der Realität.
Familiäre Spannungen waren bei den Kretzschmars programmiert. Gipfeltreffen in der Handball-Bundesliga, Füchse Berlin gegen den SC Magdeburg, Zweiter gegen Erster – und Vater und Sohn auf völlig verschiedenen Seiten. Hier Stefan Kretzschmar, der Sportvorstand der Füchse, der aufgrund seines unschönen Abschieds beim Gegner „Animositäten gegen den SCM" hegt. Auf der anderen Seite Elvis-Ernesto Kretzschmar, der als 13-Jähriger in der Magdeburger D-Jugend spielt und immer seinem „Traumverein" die Daumen drückt – auch wenn auf der anderen Seite der eigene Papa in der Verantwortung steht.
„Da reicht die Vaterfigur nicht aus, um bei ihm Sympathie für den Berliner Verein zu wecken", sagte der Senior der „Sport Bild". Im direkten Duell werde n„also mindestens bei einem Kretzschmar Tränen fließen." Geweint hat Stefan Kretschmar nach dem Spiel zwar nicht, aber ihm war sprichwörtlich zum Heulen zumute. „Wir sind traurig", sagte der Sportvorstand der Berliner: „Heute sind uns die Grenzen aufgezeigt worden." Das Ergebnis auf der Anzeigetafel drückte nicht ganz die Dominanz der Magdeburger, mit dem 29:33 waren die Füchse vor heimischer Kulisse in der Max-Schmeling-Halle noch sehr gut bedient.
„Wir machen zu viele technische Fehler"
„Man muss fair sein und Magdeburg gratulieren, sie waren das bessere Team", sagte der verletzte Kapitän Paul Drux, der die Lehrstunde von draußen tatenlos mitanschauen musste und mehrfach den Kopf schüttelte. „Man kann unserer Mannschaft überhaupt keinen Vorwurf machen", sagte der Nationalspieler – und dann machte er es doch: „Es waren einfach zu viele einfache Fehler." In der Tat boten die Hausherren ein Fehler-Festival, das mitunter für ein Raunen unter den Zuschauern sorgte.
„Wir machen zu viele technische Fehler, verlieren den Ball und dann wird man einfach sofort bestraft von Magdeburg", zeigte sich Torjäger Hans Lindberg selbstkritisch. Auch Trainer Jaron Siewert klagte über „zu viele Fehler in der Vorwärtsbewegung" und „zu viele Tore, die im Tempospiel gefallen" seien. Den Leistungsabfall kann sich der Coach nicht erklären: „Das ist uns vorher so nicht passiert." Es ist der zweite herbe Rückschlag innerhalb weniger Tage, nachdem das bislang so überzeugende Team schon bei der SG Flensburg Handewitt (23:28) klar verloren hatte. Die Pleite bedeutete das Ende eines Laufs: Saisonübergreifend hatten die Füchse bis dahin 23 Ligaspiele – also fast ein halbes Jahr – nicht mehr verloren. Jetzt setzte es gleich wieder zwei Pleiten am Stück. Das drückt auf die Stimmung.
„Wir hatten einen guten Flow und wurden vielleicht zu hoch gefeiert und vielleicht zu hoch eingeschätzt", sagte Kretzschmar. Die Füchse blieben zwar vorerst Tabellenzweiter, doch Kretschmar siedelt das Team (noch) nicht vor dem THW Kiel oder den Flensburgern an. „Wir sind in der Qualität nicht über diesen Mannschaften", sagte der frühere Weltklasse-Linksaußen, „aber wir können mit diesen Mannschaften mithalten." Außerdem könne man trotz der zwei jüngsten Rückschläge mit Stolz auf die zu Ende gegangene Rekordserie blicken: „Das sollten wir uns jetzt auch nicht kaputtmachen."
Ärgerlich war die Pleite gegen Magdeburg aber nicht nur, weil sich manche Berliner tatsächlich Hoffnungen auf den Titel gemacht hatten – und es vielleicht auch immer noch tun. Da neben Rechteinhaber Sky auch die ARD das Topspiel übertragen hatte, schaute ein Millionen-Publikum zu. Und es sah überforderte, ja fast schon ängstliche Füchse. „Uns hat die Breite im Kader gefehlt, wir konnten es nicht so gut managen, wie es für so ein Spitzenspiel notwendig gewesen wäre", sagte Trainer Siewert mit Blick auf die Ausfälle der verletzten Nationalspieler Drux und Fabian Wiede sowie Spaniens Abwehr-Ass Viran Morros. Außerdem erwischte es im Spiel selbst Nils Lichtlein mit einer Bänderverletzung.
Doch das allein war nicht der Grund für die Lehrstunde. Magdeburg sei derzeit einfach „das Maß aller Dinge", meinte Kretzschmar, der elf Jahre selbst für den SCM auf Torejagd gegangen war und dort auch zwei Jahre als Sportdirektor gearbeitet hat. Auch Bundestrainer Alfred Gislason stellte anerkennend fest, dass bei den weiter ungeschlagenen Magdeburgern „eine überragende Arbeit geleistet" werde. Vor 20 Jahren feierte der frühere DDR-Serienmeister seinen letzten Titel in der Bundesliga – jetzt scheint er wieder an der Reihe zu sein.
Anders als die Magdeburger sind die Füchse vielleicht noch nicht titelreif, aber sie haben in dieser Saison klar einen Schritt nach vorne gemacht. „Wir sollten uns nicht verrückt machen, wir haben über Wochen und Monate sehr guten Handball gespielt", sagte Rückraumspieler Marian Michalczik. Auch Kretzschmar sieht seinen Verein generell „auf einem richtig guten Weg, nachdem wir vergangene Saison noch meilenweit hinter Kiel und Flensburg lagen."
Magdeburg ist das „Maß aller Dinge"
In dieser Spielzeit scheint ein Machtwechsel sehr realistisch, die Ostclubs Magdeburg und Berlin laufen den Nordclubs Kiel und Flensburg aktuell den Rang ab. Dies könnte auch ein langfristiger Trend sein, glaubt Kretzschmar. Sein Ex-Club Magdeburg werde in jedem Fall „die nächsten Jahre um die Meisterschaft mitspielen", sagte er. Die Zeiten, in denen ein Team durchmarschiert oder sich maximal noch mit einem Rivalen ernsthaft duelliert, sei vorerst vorbei, so Kretzschmar: „Sechs, sieben Teams im Meisterkampf werden die Regel sein, nicht die Ausnahme. Den alleinigen Zweikampf Kiel gegen Flensburg wird es nicht mehr geben."
Wollen die Füchse ganz vorne mitmischen, müssen sie mental stärker werden. Kretzschmar hatte schon nach dem nur auf dem Papier klaren Sieg gegen die TuS N-Lübbecke (30:22) Ende Oktober ein ungutes Gefühl bekommen. „Das ist mir ein bisschen zu viel Freude gerade", hatte er gewettert: „Irgendwann wird die Serie wahrscheinlich brechen und dann können wir nicht sagen, wir haben es nicht kommen sehen." Kretzschmar behielt Recht.
Wie viel Einfluss die vorangegangene Pleite in Flensburg für das Gipfeltreffen gegen Magdeburg hatte, vermochte keiner seriös zu beantworten. Fakt aber ist: Geholfen hatte der schwache Auftritt in der „Hölle Nord" mit 5.000 gegnerischen Fans sicherlich nicht. Man sei als „verdienter Verlierer" abgereist, meinte Siewert. Michalczik sprach gar von einem „Aussetzer", man sei „nicht gut ins Spiel" gekommen und „die Beweglichkeit im Angriff" hätte gefehlt.
Die Berliner warfen auch den Flensburger Torhüter Benjamin Buric „berühmt". Der Bosnier konnte allein in der ersten Halbzeit elf Bälle parieren und legte damit den Grundstock für den Sieg seines Teams. Doch nicht nur die Offensive enttäuschte an jenem Tag mit Ungenauigkeiten, auch die Abwehr wackelte und Torhüter Dejan Milosavljev erwischte einen schwachen Tag – wie später gegen Magdeburg. Die beiden verletzten Leistungsträger Wiede und Drux fehlten als Impulsgeber. „Man hat gesehen, dass die Verletzungen von Fabi und Paul einen Leistungsabfall bringen", so Siewert.