Am Saarländischen Staatstheater steht – in Koproduktion mit dem Landestheater Linz – am 8. März eine interessante Premiere bevor: „Solaris", eine Kammeroper nach dem gleichnamigen Roman von Stanisław Lem. Ein Probenbesuch.
Kris! Kriis! Kriiis!" Die Sopranistin Valda Wilson steht auf einem Podest der Probebühne und gerät als Harey langsam in Panik. Ihr Freund hat sie soeben in einer Raumkapsel eingesperrt. Harey wird klar, dass ihr noch Schlimmeres droht. Kris will sie loswerden. Ein Beziehungsdrama?
Wir befinden uns auf einer Raumstation auf dem Planeten Solaris. Die Frage von Ei oder Henne ist im Falle von „Solaris" klar: Buch, Film, Oper. „Solaris", geschrieben 1961 vom polnischen Schriftsteller Stanisław Lem, 1972 in englischer Übersetzung erschienen: bis heute ein Klassiker der Science-Fiction-Literatur. Der Stoff wurde 1972 von Andrej Tarkowski und 2002 von Steven Soderbergh – George Clooney spielt Kris Kelvin – verfilmt. Als Kammeroper erlebte „Solaris" 1996 in München die Uraufführung. Der deutsche Komponist Michael Obst schrieb sowohl die Musik als auch das Libretto – zur Saarbrücker Premiere hat er sich bereits angekündigt. In einem Pariser Studio hatte er Ton- und Instrumentalfolgen verfremdet, diese Bänder von der Uraufführung werden als Live-Elektronik bei den Vorstellungen zusätzlich eingespielt.
Die österreichische Erstaufführung brachte Hermann Schneider, Regisseur und Intendant am Linzer Landestheater, vor zwei Jahren dort heraus. Generalintendant Bodo Busse besuchte die Vorstellung, war begeistert und lud Hermann Schneider ein, seine Inszenierung für das Saarländische Staatstheater einzurichten.
Oper in deutscher Sprache
Die Probe ist in vollem Gange, aber der Regisseur nicht da. Die szenische Einstudierung liegt in der Verantwortung von Andreas Beuermann, der hat es sich nicht am Regietisch bequem gemacht, sondern bleibt, ohne Hektik zu verbreiten, zwar im Hintergrund, ist aber scheinbar überall.
Ganz nah dran am Geschehen, auch wenn sie ganz hinten in der Ecke der Probebühne sitzt, ist Jutta Staiger. Sie gibt allen Protagonisten Sicherheit. Im Zweifel ist sie noch vor dem Sänger zu hören. Sie ist Souffleuse. Den Satzanfang spricht sie gut hörbar ein, und schweigt, sobald der Akteur flüssig weiterspricht. Einfach ist ihre Aufgabe nicht, muss sie doch ins Buch schauen, den Sänger beobachten, den richtigen Satzanfang einsprechen und das auch noch wohldosiert. Nicht zu viel. Nicht zu wenig. Auch das Soufflieren ist eine Kunst.
Valda Wilson stößt in Endlosschleife Kriiis-Hilfeschreie aus und vollführt nebenbei eine fuchtelige Geste, die Andreas Beuermann zu deuten versteht. Rasch dreht er einen der beiden Monitore in Wilsons Blickrichtung. Bei der Vorstellung werden sechs Monitore für die Sänger im Bühnenraum positioniert. Auf der szenischen Probe sehen die Sänger den Dirigenten Ulrich Cornelius Maier live, er steht direkt neben dem Flügel, auf dem Yeon-Sung Monz spielt. Ihr konzentrierter Blick verrät, dass diese Partitur weniger einem Spaziergang, als einer Klettertour gleichkommt.
Die Musiker, die erst bei den Endproben anwesend sein werden – auch der Regisseur Schneider begutachtet dann das Erarbeitete vor Ort – plus Dirigent werden bei der Vorstellung hinter den Kulissen platziert. Mehrere Monitore sind dann für die Sänger notwendig, um die Einsätze vom Dirigenten abnehmen zu können. Auf der Solaris-Forschungsstation werden die flimmernden Bildschirme gleichzeitig zu Ausstattungsgegenständen.
Anspruchsvolle Gesangspartien
Wir befinden uns also auf der Solaris-Raumstation. Die bekannte Bestuhlung in der Feuerwache weicht einem veränderten Raumkonzept, dadurch stehen anstelle der 240 Plätze nur noch 90 zur Verfügung. Die Zuschauerstühle werden auf kreisrunder Fläche angeordnet, umringt von den Spielorten, die erhöht aufgebaut sind. Es ergibt sich daraus, vermute ich, eine Anmutung von Isolation oder gar Beklemmung. Auf Solaris geht abwechselnd eine rote und eine blaue Sonne auf. Die Lichteffekte werden diese Stimmung transportieren. Die Zuschauer befinden sich mitten in der Handlung und in wechselnder Entfernung zu den Spielorten und Akteuren – Drehstühle machen es möglich.
Die Kreisfläche, die bei der szenischen Probe vom Flügel eingenommen wird, ist mit weißem Klebeband markiert. Die Schleuse, hinter der Harey ihrer Verzweiflung mit hohen Tönen Ausdruck verleiht – wie auch die Tür, die sie einige Szenen später mit wildem Kickboxen gegen die Luft eintritt. Es wird so viele präparierte Türen geben, wie es Vorstellungen gibt. Die Sopranistin Valda Wilson gibt es nur ein Mal. Die Anzahl der Hareys dagegen wird noch überraschen…
Der Wissenschaftler Kris Kelvin – Salomón Zulic del Canto singt die Rolle – wurde von der Erde zum Planeten Solaris gesandt, denn Seltsames geschieht dort, was er aufklären soll. Kurz nach seinem Eintreffen steht er vor der verschlossenen Tür seines Kollegen und singt: „Sartorius! Ich möchte Sie sprechen. Machen Sie auf! Öffnen Sie!" Schließlich greift er zur Axt. Sartorius, eine Sprechrolle, gespielt von Sebastian Kunzler, kommt schließlich heraus. Aber was oder wen versteckt er in seinem Zimmer?
Als Kris nach seiner ersten Nacht in seiner Kabine erwacht, erscheint ihm:Harey, seine verstorbene Freundin. Bei Lem trägt sie ein weißes Strandkleid mit roten Knöpfen, die sich nicht öffnen lassen. Auf der Probe trägt Valda Wilson ein gelbes Kleid. Wer das Buch kennt, dem macht es bestimmt Vergnügen die Details mit dem Bühnengeschehen zu vergleichen. Eine Kenntnis des Buches ist jedoch nicht erforderlich, um der Opernhandlung folgen zu können. Den Feinheiten einer literarischen Vorlage kann weder ein Film noch ein Musiktheaterstück gerecht werden. Wer die Oper gesehen hat, bekommt vielleicht Lust das Buch zu lesen. Die immer gerne gestellte Frage, was besser sei, das Buch, der Film, oder, wie hier: die Oper, ist müßig. Es ist was es ist, und das entscheidet jeder für sich.
Der aus Chile stammende Sänger Salomón Zulic del Canto ist als Kris beständig auf der Bühne präsent. Die Herausforderungen benennt er klar: „Die Rolle durchhalten. Die deutsche Sprache. Die Musik." Seine Kollegin Valda Wilson beschäftigt sich schon seit Oktober mit der Partitur und bezeichnet ihren Part als „sehr anspruchsvoll". Beide stehen nicht das erste Mal zusammen auf der Bühne, auch in „La Bohème" und „My Fair Lady" sind sie gemeinsam zu erleben.
„Liebes, wie schön, dass du mich besuchst", singt Kris. Meint er das ehrlich, ist er verlogen oder verwundert? Andreas Beuermann spricht die Anweisungen „Hand vor die Augen. Wegrutschen." Salomón Zulic del Canto tut genau das. Kris mustert eingehend die Handgelenke der Harey-Erscheinung und entschließt ziemlich rasch: Sie muss weg. Ich fühle mich ein bisschen überrumpelt. Ruckzuck geht das auf der Bühne, aber nicht im Buch. Das „Kriiis!"-Geschrei nützt nichts. Ab, möglichst auf nimmer Wiedersehen in den Weltraum mit dieser Harey.
Der Ozean birgt Geheimnisse
Der Wissenschaftskollege Snaut (Felix Rathgeber) merkt, dass Kris verstört wirkt, und fragt mit Bassstimme: „Gäste gehabt? Ab in die Schleuse und raus?" Kris: „Ich habe sie vor zehn Jahren verloren. Sie schnitt sich die Pulsadern auf." Aber Harey erscheint bald wieder. Snaut warnt: „Je länger sie hier sind, desto mehr vermenschlichen sie und es ist immer schwieriger sie loszuwerden." Sind? Es gibt also mehrere Gäste auf der Solaris.
Die Wissenschaft müht sich seit Langem Solaris zu erforschen, dabei machte man auch vor waghalsigen Experimenten unvorhersehbaren Ausgangs nicht Halt. Insbesondere der Ozean steht dabei im Mittelpunkt. Kris grübelt: „Der Ozean – was will er? Uns strafen oder prüfen?" Snaut: „Das Problem steckt in uns, nicht in der
Solaris."
Wer könnte widersprechen? Der Mensch holzt den Tropenwald ab und verschmutzt die Meere. Die Natur kann sich nicht wehren. Aus Technikbegeisterung wird Technikgläubigkeit und schließlich Technikabhängigkeit. Roboter sollen lernfähig werden. Zunehmend mehr Menschen lassen sich in Schweden reiskorngroße Chips implantieren, um Türen zu öffnen. In Japan drückt man alten Menschen Elektronik als Plüschtier getarnt in den Arm, weil menschliche Zuwendung zu teuer sei. Die Digitale Revolution krempelt die Arbeitswelt um. Wird die Entwicklung der Mensch-Maschine-Beziehung eine sein, die sich gegen uns richtet? Haben wir den Geist aus der Flasche gelassen? Alle diese Fragen schwingen mit. Die Kammeroper „Solaris" kommt zur rechten Zeit.
Andreas Beuermann: „Wahnsinn! Fast ein ganzer Durchlauf. Echt ein guter Stand. Cool!" Mal sehen, ob das Publikum auch bald so begeistert ist.