Musik und Theater Saar führt Mozarts „Die Entführung aus dem Serail" im Merziger Zeltpalast mit einem neuen Libretto auf. Ein Premierenbericht.
War es nun Wasser oder Öl, das auf die Bühne lief? Symbolisiert dies die Flucht übers Mittelmeer oder die nahende Gefahr einer Explosion? Sollen die grauen Kutten, mit denen die Akteure zum Beginn die Bühne betreten, an den IS, den sogenannten Islamischen Staat, erinnern? Wofür steht der große Säbel, mit dem so schrill die Vorführung geräuschvoll eingeleitet wird? Sollten Osmins Bart, Kappe und Kaftan im Grün des Propheten an Mohammed erinnern? Warum rollt am Ende doch ein Kopf?
Fragen über Fragen, die sich die Zuschauer der Premierenvorführung der „Entführung aus dem Serail" im Zeltpalast in Merzig vergangenen Freitag stellen. In der Pause und nach der viel beklatschten Vorführung rätseln die Zuschauer über die Inszenierung von Regisseur Andreas Gergen und über die neue Textfassung des Mozart’schen Singspiels durch die beiden Autoren Feridun Zaimoglu und Günter Senkel.
Eine Inszenierung, die die Zuschauer herausfordert
Vieldeutig, geheimnisvoll und zuweilen auch beklemmend sind die Worte, die das Autorenduo der auserkorenen Hauptfigur Bassa Selim in den Mund legen. Er ist wegen einer Intrige aus Europa in das osmanische Reich geflohen und zum Islam konvertiert. In seinem Palast hält er die Christin und spanische Edelfrau Konstanze mit ihrer Zofe Blonde und Diener Pedrillo gefangen und buhlt um ihre Liebe. Seine Sprechrolle, überragend von dem Schauspieler Boris Jacoby gespielt, schildert Mozarts Singspiel aus der Sicht des gekränkten Moslems, der die Liebe der Christin Konstanze nicht erringen kann, nicht mit Macht und nicht mit Schmeicheleien.
Geht es im Merziger Zeltpalast um den Kampf Christen gegen Islamisten, um religiöse Konflikte, gar um den Zusammenprall der Kulturen? Oder geht es um das Zwischenmenschliche, um Macht und Rache oder doch um Liebe und Treue und um ganz viel Großherzigkeit? Zwei Gegenpole, mit denen Regisseur und Autoren mit vielen Symbolen und heftigen Worten spielen und den Zuschauer herausfordern.
Doch der Reihe nach. Als erstes fällt dem Zuschauer die spärliche Bühnengestaltung ins Auge, die gerade durch ihre minimalistische Ausstattung so viele Assoziationen auslöst.
Das Orchester spielt hinter einer Gitterwand zwischen blühenden Mandelbäumchen. Keine Frage, dies kann man eindeutig als den Paradiesgarten, als den Palast eines osmanischen Herren – eben das Serail –, Bassa Selim, erkennen. Aber auch als Gefängnis, in dem der mächtige Bassa Selim seine Sklaven festhält. Der Gedanke an den Zaun von Ceuta an der marokkanischen Grenze zur spanischen Enklave mag da auch so manchem gekommen sein. Ein Hinweis auf die Transformation des Stücks in die Flüchtlings-Aktualität, auf das Zusammenprallen der Kulturen?
Die Akteure müssen zwischen acht schwarzen Ölfässern auf einer mit dunkler Folie ausgelegten Bühne gegen diese optische Leere ansingen. Letzteres gelingt hervorragend. Stimmlich ist das Ensemble in Bestform.
Hier spürt man die Professionalität der Sänger, die in nur drei Probewochen unter der musikalischen Leitung des Merziger Dirigenten Stefan Bone mit dem spielfreudigen Orchester zu einer stimmgewaltigen Einheit gewachsen sind. Die britische Sopranistin Robyn Allegra Parton brillierte als Konstanze, der junge ungarische Tenor Gyula Rab als ihr Geliebter und Befreier Belmonte, die deutsche Sopranistin Katharina Borsch als Zofe Blonde, der englische Tenor Edward Lee als Diener Pedrillo und der dänische Bass Per Bach Nissen als Harems-Diener Osmin.
Keine Frage, hier hat der Produzent und künstlerische Leiter der Merziger Zeltoper, Joachim Arnold, fünf große Sänger und ein hervorragend aufeinander eingespieltes Orchester nach Merzig gelockt. Wer die Augen schließt und nur der Musik wegen nach Merzig eilt, der wird sicherlich voll auf seine Kosten kommen. Und dabei denken, es geht vor allem um die treu liebende Konstanze, die sich gegen den mächtigen muslimischen Herrscher zur Wehr setzt, und deren Standhaftigkeit am Ende mit der Freilassung und der Wiedervereinigung mit Belmonte gekrönt wird.
Doch die Inszenierung von Andreas Gergen und die Texte von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel lenken den Blick des Zuschauers immer wieder auf die Frage: Was steht im Mittelpunkt? Die Liebe und der Großmut oder der religiöse Konflikt?
Als Osmin die Befreiungspläne Belmontes zunichte gemacht und die Flucht der vier Spanier vereitelt hat, zündet sich Bassa Selim eine Zigarette an. Die Bühne ist mittlerweile vollgelaufen mit Wasser, oder doch mit Öl? Bassa Selim spielt mit dem Gedanken, die Gefangenen zu töten, sich ganz seinen Rachegelüsten hinzugeben. Da funkelt wieder der Gedanke auf: Wird „der Moslem" die Welt anzünden aus Gekränktheit?
„Der Moslem" zeigt sich großmütig. Er lässt Konstanze, ihren Geliebten und ihren Tross ziehen. „Ich will nicht länger mit den alten Schatten kämpfen, ich will euch freigeben." So viel Großmut, so viel Huld, so viel Gnade. Also doch ein Stück über Liebe und Treue?
„Bassa Selim muss seine Macht nicht ausnutzen"
Autor Feridun Zaimoglu schmunzelt vielsagend: „Für mich ist Bassa Selim eine herausragende Persönlichkeit. Er will ehrliche Liebe, keine erzwungene. Und als er einsieht, dass alles Werben umsonst ist, da Konstanze ihn nicht ablehnt, weil er Moslem ist, sondern weil sie Belmonte aufrichtig liebt, kann er so edelmütig sein, sie ziehen zu lassen. Er muss seine Macht nicht ausnutzen und kann seine Rache zügeln. Ich wünsche mir, dass es noch viele Menschen wie Bassa Selim gibt."
Bevor die Zuschauer sich jedoch beruhigt auf den Nachhauseweg machen können, endet die vielschichtige Inszenierung mit einem großen Schock. Während sich Konstanze und Belmonte, Blonde und Pedrillo über ihre Freiheit freuen, kommt Bassas Diener Osmin mit einem Tablett auf die Bühne. Wie einst Salome den Kopf von Johannes dem Täufer – oder wie in beklemmender IS-Manier – serviert er den Kopf seines Gebieters. Die Ölfässer brennen und rings um die Bühne züngelt ein Flammenband.
Also geht es im Merziger Zeltpalast doch um den Kampf der Kulturen? Wird derjenige, der gnädig, versöhnlich, liberal, großzügig ist, am Ende doch den Kürzeren ziehen? Einen Kopf kürzer gemacht?
Klare Antwort von Regisseur Andreas Gergen: „Osmin erlebt die Großherzigkeit seines Herrschers gegenüber den Christen als Demütigung. Er wird zum Extremisten. Darüber sollten wir nachdenken, denn der Konflikt zwischen Christen und Islam wird uns noch viele Jahre bewegen."
Und was meint der Zuschauer? Was bleibt ihm in Erinnerung?
„Mir hat die Rolle des Erzählers besonders gut gefallen. Die Geschichte aus seiner Sichtweise zu schildern, hat mich sehr angesprochen. Ich frage mich, ob das Wasser auf der Bühne auch ein Symbol für die vielen Tränen ist, die Menschen in Gefangenschaft weinen", sagt Birgit Dragonat aus Saarbrücken. Ihr Mann Andreas hätte sich gewünscht, „dass der Konflikt zwischen Christentum und Islam noch stärker herausgearbeitet wird."
Stefanie Tauchert und ihr Mann Sascha sind ganz fasziniert vom Bühnenbild: „Da merkt man doch, dass weniger mehr ist.
Wir konnten uns ganz auf den Text konzentrieren, die blühenden Mandelbäume im Orchester empfinden wir als ein Zeichen der Hoffnung auf eine friedliche Welt."
Für Joachim Jäger aus Saarbrücken war der Besuch in Merzig eine Premiere: „Eine Oper im Zelt? Wie wird das vom Klang her wohl sein? Aber ich bin freudig überrascht, wie toll der junge Dirigent seine Sache gemeistert hat. Die schauspielerische Leistung der Akteure war super. Ich empfinde den Text von Bassa Selim als hochpolitisch. Zu Mozarts Zeiten wäre diese Inszenierung sicherlich auf dem Index gelandet. Warum am Ende der Kopf rollen musste, habe ich aber nicht verstanden."
Wie viele andere Zuschauer wohl auch rätseln Wanda Kidron und ihre Tochter Dagmar aus Saarlouis über das Wasser auf der Bühne. „Damit können wir nichts anfangen. Wir fragen uns auch, ob die Akteure dadurch nicht ihre Stimme riskieren. Der Aspekt von Liebe und Treue in Mozarts Oper ist für uns durch diese Merziger Inszenierung in den Hintergrund getreten. Die vielen Anspielungen auf den IS-Terror machen uns nachdenklich."
Joachim Arnold, der es nach sechs Jahren Pause wieder gewagt hat, eine Oper in seinem Zeltpalast zu produzieren, verbindet mit der Inszenierung zwei wichtige Hoffnungen: „Dass sich die Zuschauer auf die poetisch-saftige Sprache, die schauspielerischen Leistungen und musikalischen Genüsse einlassen, und dass sie Vergnügen daran haben, etwas über andere Menschen zu lernen und vielleicht bessere Menschen werden."