Beifall und Bravo-Rufe – wieder einmal ist das Publikum im Maxim-Gorki-Theater begeistert von der Inszenierung „Elizaveta Bam". Das Stück spielt zwar in der Sowjetunion der Stalin-Ära, spiegelt aber auch die Erfahrungen des Exil-Ensembles wider. Mit Unterdrückung, haltlosen Beschuldigungen und Verhaftungen ohne Grund.
Tahera Hashemi will endlich wieder als Schauspielerin wahrgenommen werden, schließlich stand die 28-Jährige schon vor 14 Jahren das erste Mal auf der Bühne. Die Afghanin nahm mit ihrem eigenen Ensemble an Festivals in Schweden und Belgien teil, arbeitete mit internationalen Regisseuren aus den USA, Norwegen, Frankreich, Deutschland und dem Iran und hat auch selbst Regie geführt. Jetzt ist sie Teil des Exil-Ensembles am Berliner Gorki-Theater. Sie beklagt, dass sie außerhalb des geschützten Theaterbereichs vor allem als „Flüchtling" gesehen und entsprechend behandelt wird. Und wenn sie für Rollen besetzt wird, geschieht dies meist dem Klischee entsprechend. Als schleiertragende Muslima würde sie durchaus Rollen bekommen, warum aber nicht als Julia an der Seite von Romeo? Tahera Hashemi erinnert sich an eine Aufnahmeprüfung an einer Schauspielschule. Nachdem ihr dort die Dozenten Talent bestätigt und von ihrer Bühnenpräsenz geschwärmt hatten, lehnte man sie trotzdem ab. Die Begründung: Sie sei wegen ihres Äußeren für deutsche Bühnen nicht geeignet. Ein andermal wurde ihr als Alternative zur Schauspielausbildung die Teilnahme an einem Puppenspielkurs angeboten.
Beschimpft und geschlagen
Tahera Hashemi kommt aus Herat, der zweitgrößten Stadt Afghanistans, und war bereits dort Schauspielerin. Genau genommen war es sogar die Schauspielkunst, die sie ins Exil zwang. Schauspielerinnen würden in ihrer Heimat verachtet und von der Öffentlichkeit als „Huren" betrachtet, berichtet sie. Wenn die Frauen dann von der Bühne herab noch für ihre Rechte kämpfen, wie das Hashemi und ihre Mitstreiterinnen taten, kann die Situation lebensbedrohlich werden. Zusammen mit ihren ebenfalls schauspielernden Schwestern war die junge Frau konservativen islamischen Männern schnell ein Dorn im Auge. Hashemi wurde bedroht, beschimpft und geschlagen.
„Drohungen sind an der Tagesordnung in Afghanistan. Du bist daran gewöhnt, dass man zu dir sagt: Ich schlage dich, ich entführe dich oder ich vergewaltige dich." Tahera Hashemi und ihre Schwestern wurden mehrmals Opfer von Gewalt. „Das wird mich mein ganzes Leben nicht mehr loslassen", sagt sie.
Das erste Mal ging Tahera Hashemi als 20-Jährige ins Exil – im eigenen Land. Die Eltern schickten sie in die Hauptstadt Kabul. Doch das blieb letztendlich nur eine Zwischenstation auf dem Weg Richtung Berlin. Als sie gerade mit zwei ihrer Schwestern durch Europa tourte, bekam sie einen Anruf ihres Vaters – das Büro des Theaters sei zerstört worden, berichtete der, und ihren Bruder habe man zusammengeschlagen. Sie mögen bitte nicht mehr nach Hause kommen, flehte er seine Kinder an. Tahera Hashemi stockt die Stimme, als sie erzählt: „Ich bin nicht freiwillig hier geblieben, es ging nicht anders."
Araber als eine Art Beruf
Mazen Aljubbeh, 30, hat in Syrien vor allem fürs Fernsehen gearbeitet. Theaterschauspieler würden dort so schlecht bezahlt, erzählt er, dass sich Schauspieler, die von ihrem Beruf leben wollen, beim Fernsehen verdingen müssen. Damit allerdings geben sie ihre künstlerische Freiheit auf. Syrische Filme sind nämlich auch Propaganda fürs Regime. Aljubbeh erzählt, dass Polizisten beispielsweise immer als Helden, Retter und „fast engelsgleiche" Helden dargestellt würden. „So einen habe ich auch schon einmal gespielt", sagt er.
Aljubbeh, der seit Ende 2016 in Deutschland lebt, teilt die Erfahrungen von Tahera Hashemi, seiner afghanischen Kollegin. „Es ist beides schwer", sagt er, „arabischer Schauspieler in Syrien zu sein und arabischer Schauspieler in Deutschland". Dort ist es die Einschränkung der Freiheit, die den Künstlern zu schaffen macht. „Die Waffe des Schauspielers ist das Wort, und die wird uns in Syrien genommen", sagt Aljubbeh. In Deutschland seien die Einschränkungen andere. In der Öffentlichkeit werde er als Araber gesehen und „so als sei es ein Beruf, der spezielle Aufgaben umfasst", erwarte man von ihm, dass er sich entsprechend verhalte. In seinem tatsächlichen Beruf würde arabisch aussehenden Menschen wie ihm immer wieder dieselbe Art von Rollen angeboten. Die Leute auf der Straße sähen in ihm einen Flüchtling. Und verhielten sich erst respektvoller, wenn sie hörten, dass er Schauspieler am Maxim-Gorki-Theater sei. „Dann ändert sich das Verhalten." Und so, als bedürfe es nach dieser Kritik eine Klarstellung, schiebt er hinterher: „Natürlich lebe ich trotzdem viel lieber hier als in Syrien."
Das Theater bildet die Realität ab
Jens Hillje, Co-Intendant am Gorki-Theater, definiert sein Haus als „Stadttheater", und als solches habe es auch die Verantwortung, der Realität in Berlin Rechnung zu tragen. Er spricht von der „refugee crisis" im Jahre 2015 und der Tatsache, dass ein Drittel der Menschen in der Hauptstadt keinen deutschen Namen mehr trügen. „Das alles soll sich auch im Ensemble widerspiegeln", sagt der 50-Jährige, der zu den Urgesteinen der deutschen Theaterlandschaft gehört. Trotzdem oder gerade deswegen legt er Wert auf die Klarstellung, dass man im Gorki-Theater kein „Refugee- oder Flüchtlings-Ensemble" etabliert hat, sondern ein Exil-Ensemble. Der sprachliche Unterschied mag auf den ersten Blick gering erscheinen, verrät aber einiges über das Konzept. Ein geflohener Künstler wird auf seine Flüchtlingsgeschichte reduziert. Spricht man aber vom Exil, so stehen das neue Leben in der Fremde und die künstlerische Arbeit dort im Fokus.
Kunst statt Mitleid
Viele Künstler des Exil-Ensembles haben es ohnehin satt, immer nur zu ihrer Vergangenheit befragt zu werden, trotzdem ist die natürlich Teil ihres Lebens. Das sieht auch Hillje so. Man könne die Realität der Geflüchteten nicht ignorieren, sagt er und betont, dass man deren Erfahrung auch zum Material für die Kunst machen könne. „Jeder kann von sich erzählen, keiner muss", sagt Hillje. Für ihn ist das Exil-Ensemble ohnehin vor allem eine Ausbildungsstätte. Das bestätigt auch Shermin Langhoff, Intendantin des Hauses, laut der es beim Exil-Ensemble um Kunst und nicht um Mitleid gehe. Hier arbeiten junge Schauspieler zusammen, die neu in Deutschland angekommen sind, oft noch Schwierigkeiten mit der neuen Sprache haben und auch mit der hiesigen Theaterlandschaft nicht vertraut sind. Ziel sei es, dass die jungen Schauspieler irgendwo in ein festes Ensemble übernommen werden.
Das Exil-Ensemble als solches soll aber eine permanente Einrichtung sein. Ein Anlaufpunkt für Schauspieler im Exil wird, sagt Hillje, auch in den nächsten 20, 30 Jahren benötigt werden. „Ich glaube, es ist leider ein Zukunftsmodell." Der Co-Intendant des Gorki befürchtet gar, dass bald Schauspieler aus einigen europäischen Ländern ins künstlerische Exil gedrängt werden könnten. Zunächst aber spielen in Berlin junge talentierte Schauspieler aus Syrien, Afghanistan und Palästina, von denen jeder seinen eigenen Traum lebt. Und wer weiß, vielleicht stehen ja Mazen Aljubbeh und Tahera Hashemi in naher Zukunft doch in irgendeinem deutschsprachigen Theater als Romeo und Julia auf der Bühne.