Die Handball-Weltmeisterschaft elektrisierte die Massen in Deutschland und Dänemark. An der Frage, ob der vierte Platz der deutschen Nationalmannschaft ein Erfolg ist, scheiden sich die Geister. Ebenso an Christian Prokop.
Am Ende einer turbulenten Weltmeisterschaft steht für die deutsche Nationalmannschaft der vierte Platz. Vor dieser Weltmeisterschaft hätten alle Verantwortlichen wohl dankend diesen Platz angenommen, vor allem wenn die Norweger und die Franzosen für die Niederlagen verantwortlich sind. Neben all der Euphorie und der guten Stimmung hat das Zustandekommen des vierten Platzes aber irgendwie einen faden Beigeschmack. Die Gruppenphase der Nationalmannschaft war gut, trotz eines unnötigen Unentschiedens gegen Russland, das durch eine Unachtsamkeit in der letzten Minute zustande kam. Die Hauptrunde wurde souverän erreicht. Gegen Island und Kroatien wurde dann vorzeitig der Einzug ins Halbfinale eingetütet. Im eigentlich unwichtigen Spiel gegen Spanien wurde auch gewonnen. Der Traum vom Finale lebte – bis die Norweger kamen. Als erster Mannschaft gelang es den Skandinaviern, die überragende Deckung der Deutschen auszuspielen. Die erste Niederlage im Turnier wurde also sofort eine schmerzhafte – und verdiente. Alles, was in den Spielen zuvor gut lief, funktionierte nicht. Der Schiedsrichter war nicht auf der Seite der Deutschen, pfiff aber nicht schlecht. Viel zu viele Zeitstrafen unterbrachen den Rhythmus des deutschen Spiels. Im Angriffsspiel fehlte die Tiefe, aus dem Rückraum wurde zu wenig Torgefahr erzeugt. Und die beste Abwehr des Turniers hatte enorme Probleme mit dem norwegischen Angriffsspiel um Sander Sagosen. Im Spiel um Platz drei dann ein erneut bekanntes Bild. Führung der Deutschen gegen die Franzosen, jedoch wurde das Polster von vier Toren verspielt. Dieses Spiel gipfelte dann in seiner letzten Aktion. 23:23, Heinevetter pariert, die letzten zehn Sekunden sind auf der Uhr. Anstatt die Uhr herunterlaufen zu lassen und die Verlängerung mitzunehmen oder einen Abschluss aus dem Rückraum zu forcieren, entscheidet sich die deutsche Mannschaft für einen riskanten Pass an den Kreis. Der Ball wird verloren, Nikola Karabatic bekommt den Ball und schweißt ihn ein.
Für ganz oben reicht es nicht
Auch wenn viele Verantwortliche des DHB dies nicht hören wollen, so steht genau diese letzte Aktion sinnbildlich für die momentane Situation des deutschen Handballs: Für ganz oben reicht es nicht. Dies mag sich in dieser Phase, in der jeder so begeistert über den Handball spricht, etwas komisch anhören, jedoch kommt diese Annahme nicht von ungefähr. Mit den eigenen Fans im Rücken und wenn alle Spieler des Teams an ihrem Limit spielen, können die Deutschen durchaus die Großen ärgern. Fallen zwei oder drei Spieler ab, wird es schon eng.
Eine große Rolle spielt auch Christian Prokop. Als das Halbfinale in der Tasche war, haben alle beim DHB inklusive Trainer Prokop durchgeschnauft. Das Minimalziel Halbfinale erwies sich nach den Kroaten und Franzosen eher als ein Maximalziel. Dass Prokop diese Last auf seinen Schultern spürte, war ihm nicht anzumerken. Das erste Turnier unter seiner Verantwortung war ein großer Misserfolg. Jetzt, wo die Loblieder der DHB-Verantwortlichen en masse kommen und die Öffentlichkeit Prokop für seine Wandlung feiert, nützt es, genauer hinzuschauen. Kritisch betrachtet wird Prokop weiterhin. Beim Halbfinal-Aus funktionierte vieles nicht, was von der Bank gefordert wurde. Nach jedem Spiel, das Urteil über einen Bundestrainer neu zu fällen wäre vermessen. Die Skepsis gegenüber Prokop und seinen Fähigkeiten bleibt aber trotzdem bestehen. Vizepräsident Bob Hanning steht innerhalb des Verbandes immer noch hinter Prokop – doch es gibt auch andere Stimmen.
Während des Turniers wurde die Stimmung gelobt, auch die zwischen Trainer und Mannschaft. Ob es mehr als nur eine zweckgebundene Schönrederei ist, ist aus der Entfernung nicht zu beantworten. Der Erfolg und der Umstand einer Heim-WM haben auf jeden Fall zusammengeschweißt. Die Japan-Reise 2018 hat daran sicherlich auch ihren Anteil.
Doch wenn ein genauer Blick auf die Bänke anderer Weltklasse-Mannschaften geht, zum Beispiel zu den Dänen mit Nikolaj Jacobsen oder den Norwegern mit Christian Berge, dann herrschen dort andere Sitten. Demokratisches Besprechen verschiedener Taktiken gibt es dort nicht. Ob das der einzige Weg zum Erfolg ist, ist zu bezweifeln. Gerade Prokop wurde bei dieser WM als Stärke ausgelegt mit seinen Spielern zu reden und gemeinsam zu entscheiden, während er bei seinem Amtsantritt zuerst durchregieren wollte. Dass ein Jacobsen mit Mikkel Hansen eben auch einen Spieler in seinem Kader hat, den Deutschland bei Weitem nicht hat, macht es für ihn eben auch ein wenig einfacher. Das Ziel muss es sein, die Nationalmannschaft eben über die Breite und die bewährten deutschen Werte in der Weltspitze zu halten. Das kann gutgehen bis zum Ende seines Fünfjahresvertrags und darüber hinaus. Es muss aber nicht.
Nachhaltig war der Boom nach der WM 2007 nicht
Ein weiteres Thema: der Handball-Boom. Gibt es diesen überhaupt? In der Vergangenheit schien es öfter, als ob die Sportart einen Aufschwung erfahren würde. Zum Beispiel im Jahr 2007, als Deutschland bei der Heim-WM den Titel holte. Georg Clarke ist Präsident des Bayerischen Handball-Verbands sowie Vizepräsident des Deutschen Handball-Bundes (DHB). Er hat noch lebhafte Erinnerungen an die Zeit nach dem Titelgewinn. „Tatsächlich sind in den Jahren 2007 bis 2010 die Mitgliederzahlen deutlich nach oben gegangen." Laut dem 55-Jährigen hatten sich damals 50.000 Menschen neu in Handballvereinen angemeldet, stellenweise waren knapp rund 850.000 Menschen Mitglied. Nachhaltig war dieser Boom aber nicht, wie er zugeben muss: „Uns ist es nicht gelungen, die Mitgliederzahlen zu halten." Derzeit spielen bundesweit 760.000 Menschen in 4.200 Vereinen Handball.
Alles in allem war die Handball-WM dennoch ein Erfolg. Auch wenn bisher noch nicht wirklich klar ist, welche Schlüsse aus diesem vierten Platz gezogen werden können.