Die Nachfrage nach Walfleisch sinkt – selbst auf dem klassischen Markt in Japan. Dennoch hat die Inselnation nach dem Ausscheiden aus der Internationalen Walfangkommission die kommerzielle Jagd auf die großen Meeressäuger wieder aufgenommen.
Während Island 2019 erstmals seit vielen Jahren auf kommerziellen Walfang verzichtet, hat Japan im Juli 2019 trotz heftigster Kritik seitens der Internationalen Walfangkommission (International Whaling Commission, IWC) sowie globaler Tierschutz- und Umweltschutzorganisationen die Jagd auf die riesigen Meeressäuger aus wirtschaftlichen Gründen wieder aufgenommen. Im September 2018 war Nippon, wie Japan auch genannt wird, mit seinem Antrag auf Wiederzulassung des kommerziellen Walfangs bei der IWC gescheitert und hatte daraufhin Ende Juni 2019 seine Mitgliedschaft in dem Gremium beendet. Japan reihte sich damit wieder an die Seite von Island und Norwegen ein – jenen beiden Nationen, die das Geschäft mit dem Töten der lange vom Aussterben bedrohten Tiere seit jeher ganz offiziell betreiben. Bei der zu Dänemark gehörenden Färöer-Inselgruppe ist der Fall etwas anders gelagert. Dort hat das grausige Grindadráp-Ritual (Grindwaljagd) Volksfestcharakter und wird ohne kommerziellen Hintergrund betrieben. Das Fleisch der erlegten Tiere wird anschließend als Wintervorrat an die Einheimischen verteilt.
In isländischen Gewässern, wo im Schnitt jährlich mehr als 400 Finn- und Zwergwale erlegt werden, ist ein grundsätzliches Ende des Walfangs allerdings nicht geplant. Noch weniger in Norwegen, der größten Walfang-Nation der Welt. Dort werden seit Jahren die Fangquoten in immer neue Höhen geschraubt, auch wenn sich die Zahl der tatsächlich getöteten Zwergwale relativ konstant zwischen 500 und 700 eingependelt hat. Japan hat angekündigt, dass bis Ende 2019 innerhalb seiner eigenen territorialen Gewässer 150 Brydewale, 52 Zwergwale und 25 Seiwale gefangen werden dürfen. Zudem soll auf die Jagd in der Antarktis, die bislang unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Forschungszwecke lief, künftig verzichtet werden.
In isländischen Gewässern sterben jährlich 400 Wale
Japan hatte speziell die Jagd auf Bryde- und Zwergwale als unbedenklich und nachhaltig eingestuft, weil beide Arten angeblich derzeit nicht mehr vom Aussterben bedroht seien. So hatte man ein Hintertürchen des 1986 von der IWC beschlossenen Walfang-Moratoriums, das jede kommerzielle Jagd auf die Meeressäuger untersagte, zu nutzen verstanden. Es hatte den weiteren Fang der Tiere aus wissenschaftlichen Gründen für notwendig deklariert, wobei ein Großteil des Fleisches anschließend für den Konsum in den Handel gebracht wurde. Diese Praxis war vom Internationalen Gerichtshof 2014 als illegal bezeichnet worden. Überraschenderweise dürfte die für 2019 vorgegebene Quote im Rahmen des kommerziellen Walfangs deutlich weniger Walfleisch auf die Tische japanischer Esser bringen als in den bisherigen „Forschungsjagden": Statt mit wie zuletzt rund 5.000 Tonnen pro Jahr rechnen Experten nur noch mit 2.000 Tonnen, zumindest kurzfristig.
Was zwangsläufig die Frage aufwerfen dürfte, warum sich nahezu die ganze Welt über Japans Vorgehen aufregt, wenn doch scheinbar die Population der Meeressäuger durch die neue Walfang-Strategie weniger als zuvor geschädigt wird. Die Antwort darauf ist verblüffend und lässt erhebliche Zweifel an Sinn und Zweck des künftigen Walfangs aufkeimen. Denn dieser ist schlicht und einfach unwirtschaftlich geworden und lässt sich eigentlich derzeit nur noch mit erheblichen staatlichen Subventionen am Leben erhalten. Auch wenn Unterstützungszahlungen speziell von Norwegen immer wieder geleugnet werden. Das Grundproblem besteht darin, dass Walfleisch von der Mehrzahl der Konsumenten im traditionellen Verbrauchsland Japan nicht mehr sonderlich geschätzt wird. Was zur direkten Folge hat, dass auch Exporte von Walfleisch aus Island und Norwegen nach Nippon rückläufig sind. Norwegische Firmen sahen sich daher in jüngster Vergangenheit schon dazu gezwungen, Fleisch von Zwergwalen zu Tierfutter zu verarbeiten. In Island wird unumwunden von erheblichen Absatzschwierigkeiten auf dem japanischen Markt gesprochen.
Überangebot von Walfleisch
In Japan hat der Walfang eine jahrhundertealte Tradition. Aber es war vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Meeressäuger als ebenso effiziente wie preisgünstige Proteinlieferanten im verarmten Nippon geschätzt wurden. Nach Angaben der „Zeit" erreichte der Konsum in den 60er-Jahren einen Höchstwert von 200.000 Tonnen pro Jahr, womit die Japaner damals rund 45 Prozent ihres gesamten Fleischkonsums decken konnten. Doch schon seit den 80er-Jahren war die Nachfrage ständig zurückgegangen auf zuletzt rund 5.000 Tonnen, womit der Bedarf, ergänzt durch Importe aus Island und Norwegen, voll und ganz gedeckt werden konnte. Wobei sogar immer größere Mengen auf Eis gelegt werden mussten. Das Überangebot hat den Preis für Walfleisch seit ungefähr zwei Jahrzehnten sinken lassen. Und das, obwohl die besten Stücke, zu Sashimi verarbeitet, in japanischen Spitzenrestaurants immer noch eine luxuriös-teure Delikatesse sind.
Die junge und jüngere Generation in Japan kann mit Walfleisch nichts mehr anfangen, viele haben das geschmacklich ziemlich gewöhnungsbedürftige Produkt noch niemals probiert. Sie wollen damit auch gar nichts mehr zu tun haben, weil mit Walfleisch eben ein Arme-Leute-Essen aus der Nachkriegszeit assoziiert wird. Da tut man sich doch lieber ganz modern an Sushi oder westlichen Speisen gütlich. Ähnlich sieht die Situation bei der norwegischen Bevölkerung aus. In dem reichen skandinavischen Land kommt nur noch bei fünf Prozent der Einwohner häufig Walfleisch auf den Tisch, jeder fünfte Norweger hat in seinem Leben noch niemals Walfleisch gegessen, unter den jüngeren Bürgern gibt es noch viel weniger Interesse an dem Nahrungsmittel.
Es wäre daher eigentlich naheliegend, den Walfang einfach einzustellen. Doch genau dies geschieht gerade nicht, ganz im Gegenteil: Sowohl in Norwegen als auch in Japan wurde von den Regierungen aus eine riesige Werbe- und Marketing-Maschinerie in Gang gesetzt, um der Bevölkerung Walfleisch wieder schmackhaft zu machen. Ob man damit wirklich die Nachfrage ankurbeln kann, dürfte fraglich sein. Aber immerhin erweist man damit einer Sparte der heimischen Fleischindustrie einen Gefallen und kann die anfallenden Kosten mit der Erklärung rechtfertigen, ein wichtiges Kulturgut retten und bewahren zu wollen. Norwegen hatte von Anfang an Widerspruch gegen das Walfang-Moratorium eingelegt und ist seitdem trotz kommerzieller Jagd auf die Meeressäuger vollwertiges IWC-Mitglied geblieben. Hinzu kommt, dass die dort mächtige Lobby mit ihrem Muskelspiel zugunsten des Walfangs zugleich auch allen möglichen und befürchteten internationalen Bevormundungen bezüglich etwaiger Beschränkungen eine prophylaktische Kampfansage erteilen möchte. Der frühere Fischereiminister Per Sandberg hatte zudem Anfang 2018 betont, dass die Jagd auf die Zwergwale in norwegischen Gewässern als nachhaltig einzustufen sei, weil immerhin inzwischen wieder 100.000 Tiere dort anzutreffen seien. Die IWC kann Norwegen keinerlei Fangverbote aussprechen, sondern lediglich Empfehlungen; es gibt keinerlei Rechtsgrundlagen für mögliche Sanktionen.
Antrag für riesiges Walschutzgebiet
Island hatte in Sachen IWC eine andere Taktik angewandt. Bis 1992 hatte es das Moratorium befolgt, war dann aus der IWC ausgetreten, hatte den Walfang mit Alibi-Wissenschaftsprogrammen wieder aufgenommen und war 2004 neuerlich in die IWC eingetreten, wobei es explizit die Anerkennung des Moratoriums ausgeschlossen hatte.
Das Ausscheiden Japans aus dem IWC hat immerhin den Vorteil, dass dem 2018 unter Federführung von Brasilien eingebrachten Antrag auf Einrichtung eines 20 Millionen Quadratmeter großen Walschutz-Gebietes im Südatlantik größere Chancen zur Umsetzung eingeräumt werden können. Nippon kann dagegen nämlich keinen Widerspruch mehr einlegen, obwohl das Land weiterhin als Beobachter den Beratungen der IWC beiwohnen möchte. Internationale Umwelt- und Naturschützer sowie Walschutzorganisationen haben große Bedenken wegen Japans Rückkehr zum kommerziellen Walfang. Aus ihrer Sicht sei die Population mancher Arten zwar wieder gewachsen, aber man könne noch keinesfalls von einer Erholung der Bestände sprechen. Zudem dürfe nicht vergessen werden, dass die Reproduktion bei den großen Meeressäugern recht langsam verlaufe und sich daher Nachwuchs nur alle paar Jahre einstelle. Auch haben Wale eine wichtige Funktion für das Ökosystem, da sie mit ihren Ausscheidungen das für viele andere Meereslebewesen wichtige Plankton düngen.