Nach dem Ende der Ära von Dirk Nowitzki ist die deutsche Basketball-Nationalmannschaft individuell so stark besetzt wie noch nie. Experten trauen dem Team bei der Weltmeisterschaft in China viel zu.
Basketball-Weltmeister Deutschland? Hört sich seltsam an, ist aber keine Utopie mehr. Bei der WM in China (31. August bis 15. September) geht die Auswahl des Deutschen Basketball-Bundes (DBB) als Geheimfavorit ins Turnier. „Ich will nicht sagen, dass wir Weltmeister werden, und am Ende kommt dann der Waldmeister raus“, sagte DBB-Präsident Ingo Weiss. „Aber so ein durchgehend talentiertes Team hatten wir noch nie. Daraus ergeben sich Erwartungen.“
Deutschland geht als Geheimfavorit ins Turnier
In der Tat ist der Kader mit Starspieler Dennis Schröder qualitativ und quantitativ einer der besten der WM. Er ist sogar so gut, dass Bundestrainer Henrik Rödl die Qual der Wahl hatte und kurz vor dem Start in Center Moritz Wagner (Washington Wizards) einen NBA-Profi streichen musste – wann hat es das zuletzt gegeben? „Solche Entscheidungen sind immer superschwierig“, sagte Rödl. „Die Aufgabe, die wir haben, ist aber kein Kindergarten, wir versuchen, die Besten zusammenbekommen.“ Wagner habe noch eine große Zukunft vor sich, aber ihm fehle „ein bisschen Spielpraxis und Erfahrung“.
Der immens harte Konkurrenzkampf zeigt, dass sich die DBB-Auswahl nicht hinter den Mitfavoriten Frankreich, Spanien, Serbien, ja nicht einmal hinter den USA, Titelgewinner der letzten beiden Weltmeisterschaften, verstecken muss. „Wir haben mit den tiefsten Kader jemals“, schwärmt selbst der frühere Ausnahmespieler Dirk Nowitzki, er ist sicher: „Wir werden eine tolle Truppe nach China schicken. Ich hoffe natürlich, dass sie eine tolle WM spielen.“
Auftaktspiel gegen Frankreich gibt Aufschlüsse
Einen Fingerzeig, ob es wie 2002 (Bronze) zu einer WM-Medaille reichen könnte, gibt bereits das Auftaktspiel in der Vorrundengruppe am kommenden Sonntag, 1. September, in Shenzhen gegen Frankreich. Der Dritte der vorangegangenen Weltmeisterschaft reist mit sechs NBA-Profis nach China und schielt ebenfalls auf den Thron. Ein Sieg wäre aber nicht nur fürs Prestige wichtig, sondern auch für das Punktekonto in der Zwischenrunde. Denn dass Deutschland und Frankreich als die beiden Gruppenbesten weiterkommen, ist angesichts der zwei anderen Vorrundengegner Dominikanische Republik und Jordanien fast sicher.
In der Zwischenrunde der WM, die erstmals mit 32 Mannschaften ausgetragen wird, dürften Top-Teams wie Litauen, Kanada oder Australien warten. „Das wird wahrscheinlich die beste WM aller Zeiten“, sagt Bundestrainer Rödl, der deshalb auch nicht das Viertelfinale als Minimalziel ausrufen möchte. Viele Teams agieren auf einem ähnlichen Niveau. Auch die USA dürften nicht in ihrer eigenen Liga spielen, weil sie auf die absoluten Topstars der NBA verzichten. „Die Amerikaner scheinen erst einmal nicht so übermächtig zu sein, wie man es von ihnen gewohnt ist“, glaubt Rödl. „Aber es wird ohnehin eng für die USA, es gibt einen ganzen Pool an Mannschaften die um den Titel und Medaillen mitspielen können.“
Und auch wenn es der Europameister von 1993 nicht öffentlich zugeben mag: Deutschland gehört dazu. „Ich glaube“, sagt der ehemalige Bundestrainer Svetislav Pesic, „dass Deutschland zu den Medaillenfavoriten zählt.“ Der DBB habe nach der Ära Nowitzki „eine Generation, die gut zusammenpasst. Sie haben Ambitionen und Ziele.“ Und diese Ziele sind nicht nur auf die WM in China ausgerichtet, sie sei „nur der Anfang“, wie Rödl betont: „Dieser Kader kann noch mindestens einen olympischen Zyklus zusammenbleiben – und da kommt ja noch Talent von unten nach. Aus dieser Basketball-Generation werden wir noch lange schöpfen können.“ Er selbst fühle sich deshalb wie vom Glück geküsst: „Es ist eine sehr gute Zeit, um Bundestrainer zu sein.“
So breit der Kader auch aufgestellt ist, einer ragt dennoch heraus. Dennis Schröder ist das, was man einen Unterschiedsspieler nennt. Auf seine Form, seine Ideen und Tempo-Dribblings dürfte es in den engen Spielen mit Teams auf Augenhöhe ankommen. „Dennis ist einer der besten und schnellsten Spielmacher der Welt“, schwärmt Rödl. „Er wird das Tempo vorgeben, er ist unser Anführer.“
Schröder tankte vor dem Abflug nach China in der Heimat mit seinem kleinen Sohn Dennis Malick Junior und Ehefrau Ellen Kraft. Der NBA-Star der Oklahoma City Thunder bewies beim Gewinn des Supercups als letztem Härtetest, dass auf ihn Verlass ist. Gegen Polen (92:84) erzielte Schröder 33 Punkte und sorgte bei den Fans für große WM-Euphorie. Dazu passt: Schröder feiert am 15. September, dem Tag des WM-Endspiels, seinen 26. Geburtstag. Die 18.000 Zuschauer fassende Arena in Peking wäre für den schillernden Star sicher ein geeigneter Ort für eine große Party. Doch das Finale als Ziel ausgeben, will auch er (noch) nicht. „Wir haben ein gutes Team, aber wir müssen trotzdem noch jeden Tag besser werden“, sagte der Aufbauspieler, dessen Zusammenspiel mit seinem alten Kumpel Daniel Theis (Boston Celtics) das Publikum verzückte. „Wir kennen uns schon von klein auf. Wir haben viel Basketball zusammen gespielt“, erklärte Schröder sein fast blindes Verständnis mit Theis, mit dem er einst für Braunschweig zusammen aufgelaufen war. „Ich weiß genau, was er mag. Er weiß genau, was ich mag. Das erleichtert es uns auf dem Feld.“
Doch Schröder verlässt sich nicht nur auf seine Qualitäten und die seiner Mitspieler, der 25-Jährige ist auch einer der abergläubischsten Spieler im Team. „Wenn ich mit neuen Schuhen nicht gut in der ersten Halbzeit spiele, dann muss ich andere Schuhe probieren“, verriet Schröder. Sein Koffer für die China-Reise dürfte also leichtes Übergepäck haben. Auch seine Ehefrau und sein Kind sind mitgeflogen und dürften im Teamhotel übernachten – ein Zugeständnis, dass der DBB jedoch allen Spielern gewährt.
Im Verband ist man bemüht, die Sonderrolle Schröders nicht zu groß werden zu lassen. „Wir haben ja nicht nur Dennis“, lautetet eines der Mantras von Rödl, und dann zählt der Bundestrainer auf: „Danilo Barthel ist Kapitän von Bayern München, Niels Giffey ist Kapitän in Berlin. Wir haben mittlerweile so viele Spieler, die in ihren Clubs Verantwortung übernehmen.“ Trotzdem ist Schröder in der Offensive der Dreh- und Angelpunkt, er gibt den Takt vor und leitet fast alle Angriffe ein. Doch das wahre Prunkstück der deutschen Mannschaft ist die Defensive. Es herrscht eine große Aggressivität und Bereitschaft, gegen den Ball und nach hinten zu arbeiten – auch Schröder stellt hier keine Ausnahme dar. „In der Verteidigung haben wir so viel Potenzial, dass es eigentlich an keinem Tag eine Schwachstelle sein darf“, sagte Maximilian Kleber selbstbewusst. Der Profi der Dallas Mavericks zählt zu den stärksten Verteidigern der NBA, das will der ehemalige Teamkollege von Dirk Nowitzki auch bei der WM beweisen.
Sieben Teams qualifizieren sich direkt für Tokio
Das einzige Manko ist – zumindest auf dem Papier – die Erfahrung. Die DBB-Auswahl ist jung, einzig Kapitän Robin Benzing ist älter als 29. Das könnte in Drucksituationen den Ausschlag geben. Das Team will sich darüber aber nicht schon im Vorfeld den Kopf zerbrechen, sondern lieber unbekümmert an die Sache rangehen. „Verstecken müssen wir uns nicht, wir haben eine echt geile Mannschaft“, sagt Kleber. „Wir haben richtig Bock auf die WM.“ Zu gewinnen gibt es nicht nur eine Medaille und vielleicht sogar den ersten WM-Titel einer deutschen DBB-Mannschaft überhaupt, sondern auch ein Ticket für die Olympischen Spiele 2020. Insgesamt qualifizieren sich sieben Teams direkt für Tokio. „Olympia ist für jeden Sportler das allergrößte Ziel“, weiß Rödl, doch diese Zusatzmotivation hätten auch alle anderen Mannschaften.
Eine Olympia-Qualifikation und eine erfolgreiche WM wären ganz im Sinne des Verbandes, der eine einmalige Chance sieht: Schröder und Co. könnten mit Top-Leistungen im fernen China einen Basketball-Boom in Deutschland auslösen. Den gab es zwar auch nach dem EM-Sieg vor 26 Jahren und nach WM-Bronze 2002 und dem EM-Finale 2005, doch er hielt nie lange an. „Jetzt bietet sich uns eine neue Chance“, glaubt DBB-Boss Weiss. Die Voraussetzungen sind gut: Insgesamt interessieren sich laut neuesten Umfragen rund 16 Millionen Menschen für Basketball. Der Verband zählte zu Beginn des Jahres 208.428 Mitglieder, das ist ein Höchststand.
Deutsche WM-Spiele nicht im Fernsehen
Ein herber Rückschlag ist es aber, dass die deutschen WM-Spiele nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen oder zumindest beim Spartensender Sport1 zu sehen sind. Telekom besitzt die TV-Rechte und wird die Partien via MagentaSport zwar im Gratis-Stream zeigen, doch für viele Menschen ist dieser Weg deutlich komplizierter, als die Taste eins oder zwei auf der Fernbedienung zu drücken. Hinzu kommt die Zeitverschiebung, die WM-Spiele werden angepfiffen, wenn in Deutschland die meisten Menschen arbeiten. Das Finale findet aber an einem Sonntagnachmittag statt.