Im kommenden Jahr wird das Saarland die neue Rote Liste 2020 vorstellen. 30 Artengruppen (Tiere, Pflanzen, Pilze) wurden diesmal bearbeitet und Gefährdungen ermittelt. Entstanden ist die Liste am Zentrum für Biodokumentation (ZfB) dank der Hilfe vieler Ehrenamtler.
Bunte Schmetterlinge, glitzernde Geoden und präparierte Löwen – rund zwei Millionen Exemplare der unterschiedlichsten Arten unserer Bio-Geschichte lagern in den Räumen des alten Verwaltungsgebäudes des Bergwerks Reden. Was andernorts in Museen zu bestaunen ist, ist im Saarland zwar auf den ersten Blick unter Verschluss, wer will, darf aber jederzeit auf den Fundus der naturkundlichen Landessammlungen zurückgreifen und sich in den Archiven des Zentrums für Biodokumentation umsehen. „Das nutzen vor allem Schulklassen und ehrenamtliche Feldbiologen", erklärt der Leiter des Zentrums, Andreas Bettinger. Seit Jahren ist das Zentrum im Saarland dafür zuständig, Biodiversitätsdaten zu sammeln. Und sammeln ist in zweierlei Hinsicht zu verstehen. Die Daten sind einerseits jene, die in Datenbanken und Büchern wie der neuen Roten Liste erfasst sind. Andererseits aber eben auch Modelle und Präparate, die aus dem Saarland und der ganzen Welt stammen. Die Aufgabe ist wichtig, erläutert Bettinger: „Die dauerhafte Erfassung von Art- und Biotopdaten ist erforderlich, um vernünftig Naturschutzpolitik machen zu können. Ich kann keine landesweite Biodiversitätsstrategie aufstellen und umsetzen, wenn ich nicht weiß, wo die schützenswerten Arten und Lebensräume im Land vorkommen."
Zusammenarbeit mit Delattinia
Das Zentrum für Biodokumentation hat seinen Ursprung in der Umstrukturierung der Universitätslandschaften in Südwestdeutschland um die Jahrtausendwende. An der Universität des Saarlandes hatte das große Veränderungen mit sich gebracht, vor allem für die Biologie und Geografie. Die Fachdisziplinen, die sich zuvor mit der Erforschung der Landeskunde und der Tier- und Pflanzenwelt im Saarland beschäftigten, verschwanden an der Saar-Uni – und mit ihr eine unmittelbare Ausbildungs- und Anlaufstätte für junge Wissenschaftler, die die Grundlagen für eine fundierte naturwissenschaftlich orientierte Heimatforschung erheben und vermitteln. Der Verein Delattinia, die naturforschende Gesellschaft des Saarlandes, regte daraufhin Gespräche mit Fachleuten und Politikern an.
Die Bemühungen führten dazu, dass die Landesregierung am Zukunftsstandort Reden das Zentrum für Biodokumentation einrichtete. In enger Abstimmung zwischen dem Umweltministerium und der Universität gelangten die naturkundlichen Sammlungen der Uni als Dauerleihgabe in das neue Zentrum. Eine enge Zusammenarbeit gibt es dort noch heute mit Delattinia. Die Gesellschaft ist eine Vereinigung von ehrenamtlich tätigen Naturforschern, die Beobachtungsdaten von Pflanzen und Tieren sammelt und erfasst.
Der Geschäftsführer der Delattinia, Andreas Werno, arbeitet am Zentrum für Biodokumentation und ist dort vor allem für Entomologie, also die Insekten verantwortlich. Er war gemeinsam mit Andreas Bettinger an der Koordination der neuen Roten Liste beteiligt. „Deren Endergebnisse liegen noch nicht komplett vor, bis Ende des Jahres rechnen wir damit", sagt Bettinger. „Die Aussagen sind deshalb vorläufig, von der Tendenz her aber sicher richtig."
Flora am besten untersucht
Insgesamt arbeiten elf Mitarbeiter im Referat für Arten- und Biotopschutz des Umweltministeriums, zu dem das Zen-trum für Biodokumentation gehört. Drei bis vier sind hauptamtlich für die Dokumentationen zuständig. „Was das ZfB ausmacht, ist aber eben diese Plattform, die wir für ehrenamtliche Artexperten und Naturschützer bieten", sagt Andreas Werno. Denn das Zentrum fungiert als eine Art Schnittstelle zwischen den professionellen Naturschützern bei der Landesregierung und den ehrenamtlichen Experten bei der Gesellschaft Delattinia. „Die Artkenner und die, die draußen noch Arten erfassen können, sind zu 90 Prozent in der naturforschenden Gesellschaft rekrutiert", erklärt Bettinger. „Ohne diese Leute könnten wir im Saarland nichts machen. Wir haben hier eine Plattform, wo Workshops stattfinden. Die Leute fangen beispielsweise Insekten und können nicht zuordnen, welche es sind. Dabei helfen unsere Belegsammlungen." Es ist ein Geben und Nehmen zwischen den Ehrenamtlichen und den Hauptamtlichen, die zur Pflichtübung der Behörde führen – der amtlichen Erfassung qualifizierter Art- und Biotopdaten im Saarland. Die Delattinia übernimmt mit ihren ehrenamtlichen Artexperten hier seit Jahrzehnten die flächendeckende Hintergrunderfassung, die das Land selbst nicht leisten kann. Solche Langfristdaten sind gerade bei der Erstellung der Roten Listen für die Einschätzung von Gefährdungen bei Tier- und Pflanzenarten besonders wichtig. „Die Pflanzen sind im Saarland am besten untersucht", sagt Andreas Werno. „Zu vielen dieser Arten haben wir Verbreitungsatlanten gemacht. Sie sind das Ergebnis der ehrenamtlichen Arbeit."
Andreas Bettinger holt aus einem Regal in seinem Büro einen hunderte Seiten schweren Atlas aus dem Jahr 1993, in dem mehr als 1.300 Pflanzenarten des Saarlandes und deren Vorkommen nach Regionen genau verzeichnet sind. „Die Menschen, die solche Atlanten erstellen, arbeiten oft ihr ganzes Leben daran", sagt Andreas Werno. „Es ändert sich eben ständig, und damit es überschaubar bleibt, muss man ständig dranbleiben. Es verschwinden ja immer wieder Arten, während andere hinzukommen."
Die Gefährdung variiert stark
Das wird sich auch in der neuen Roten Liste zeigen, wie zumindest die vorläufigen Ergebnisse bestätigen. Im Vergleich zur Liste aus dem Jahr 2008 sind einige Arten verschwunden. „Es gibt aber einen kleinen Unterschied zwischen den Definitionen ‚Ausgestorben‘ und ‚Verschollen‘", sagt Andreas Bettinger. Der Dukatenfalter zum Beispiel ließ sich etwa noch bis zum Jahr 2011 im nördlichen Saarland an der Landesgrenze zu Rheinland-Pfalz nachweisen und gilt seitdem als verschollen. In den angrenzenden höheren Bereichen von Rheinland-Pfalz gibt es ihn heute noch, und er könnte eventuell von dort aus das Saarland wieder besiedeln. Andere Tiere waren schon zur Veröffentlichung der vergangenen Roten Liste verschwunden. Bei den Brutvögeln sind das die Wiesenweihe (zuletzt gesichtet 1995), die Bekassine (2003), der Ziegenmelker (2006) sowie der Gelbspötter (2005).
Andere Arten kamen aber inzwischen wieder. „Wir haben zum Beispiel den Weißstorch und den Biber wieder hier", sagt Andreas Werno. Der Biber geht auf ein Neuansiedlungsprojekt durch den Nabu zurück. Er besiedelt momentan fast das gesamte Saarland. „Die Weißstörche sind vor einigen Jahren aus dem Elsass zu uns eingewandert, im Bliestal hat man die Brut- und Nahrungsbedingungen durch Nisthilfen und Biotopverbesserungen optimiert, sodass die Art Fuß fassen konnte", freut sich Andreas Bettinger. Der Storch hat sich in den vergangenen fünf Jahren weiter nach Norden in die Seitentäler der Blies ausgebreitet. Wie viele Tiere im Saarland nach aktueller Faktenlage konkret bedroht sind, sei aber schwer zu beziffern, „da es in jeder Organismengruppe anders aussieht und es nicht in jeder Gruppe einen Bearbeiter gibt", sagt Bettinger.
Diese Lage verschlechtert sich immer wieder, weiß auch Andreas Werno: „Wir werden in 20 Jahren bestimmte Gruppen nicht mehr bearbeiten, weil die ehrenamtlichen Leute dann weg sind. Das ist kein modernes Hobby. Die jüngsten sind 55, die ältesten 90." Rund 25 Koordinatoren, die einzelne Organismengruppen bearbeiten, gibt es noch.
An die 50 Mitarbeiter haben an der Liste geschrieben. „Insgesamt haben diese Ehrenamtlichen in Form von Checklisten oder Rote Listen mehr als 10.000 etablierte Arten (korrekt: Sippen) von den grob geschätzt 25.000 im Saarland heimischen Organismenarten bearbeitet. Das sind so viele betrachtete Arten wie nie ", erklärt Bettinger. „Im Mittel sind rund 34 Prozent der Organismen der saarländischen Fauna und Flora bestandsbedroht oder bereits ausgestorben, also etwa ein Drittel. Die Gefährdung variiert jedoch zwischen den einzelnen Organismengruppen ganz erheblich." Sie schwankt zwischen 65 Prozent bei den Fledermäusen und rund zehn Prozent bei den Flechten.
Saarland kommt noch gut weg
Alarmierende Zahlen also, wenngleich das Saarland wegen seiner geringen Flächengröße gegenüber den anderen Bundesländern relativ artenreich ist. „Aufgrund der im Saarland noch in vielen Teilregionen vorhandenen intakten Landschaftsstruktur sind bei uns einige sonst in Deutschland seltene oder stark gefährdete Arten weiter verbreitet und weniger gefährdet als im Bundesgebiet", sagt Andreas Bettinger. Dazu gehören etwa der Brachwiesen-Zwergspanner und die drei Tagfalterarten Goldener Scheckenfalter (Euphydryas aurinia), Thymian-Ameisenbläuling (Phengaris arion) und Großer Feuerfalter (Lycaena dispar). „Interessant ist in dem Zusammenhang, dass sich von den Vogelarten der Feuchtgebiete bei der Bewertung in der aktuellen Roten Liste mehr Arten verbessert als verschlechtert haben", sagt Bettinger: „Das ist sicher damit zu begründen, dass viele hochwertigen Feuchtwiesengebiete in Schutzgebieten liegen und dort entsprechend gepflegt und die Zielarten positiv gemanagt werden."
Die genaue Situation der Flora und Fauna im Saarland lässt sich in der endgültigen Roten Liste im kommenden Jahr begutachten. Wer Interesse an unserer Bio-Geschichte hat, kann sich die Sammlungen im Zentrum für Biodokumentation jederzeit ansehen.