Die deutschen Handballerinnen haben für die WM eine Hammergruppe erwischt. Beim Turnier in Japan trifft das DHB-Team ab dem 30. November gleich auf vier ehemalige Weltmeister. Auch nach der Vorrunde drohen hochkarätige Gegner – doch die Verantwortlichen bleiben zuversichtlich.
Maren Baumbach hat bereits vorgesorgt. Sie hat schon jetzt vorsichtshalber alle potenziellen Termine für den nächsten Sommer beim baden-württembergischen Kultusministerium angemeldet, an denen sie womöglich vom Unterricht befreit werden müsste. Baumbach, einst selbst Nationalspielerin und 2007 WM-Dritte mit dem Team des Deutschen Handballbundes (DHB), ist seit September Teammanagerin der deutschen Frauenhandball-Nationalmannschaft. Hauptberuflich ist sie jedoch als Lehrerin für Mathematik und Sport am Gustav-Stresemann-Gymnasium in Fellbach tätig, weshalb sie ihre Reisen mit dem Nationalteam stets mit ihren Vorgesetzen abklären muss.
„Die Olympischen Spiele 2020 und die damit verbundene unmittelbare Vorbereitungszeit fallen zum Großteil nicht in die Sommerferien“, sagt sie. Das Olympiaturnier in Tokio ist das große Ziel der deutschen Handballerinnen. Es wäre erst das fünfte Mal, dass Deutschlands Frauen auf der größten Bühne des Weltsports vertreten sind, das erste Mal seit 2008. Wie es sich anfühlen würde, in Fernost dabei zu sein, können die DHB-Spielerinnen in diesen Tagen schon einmal austesten. Denn der Weg zu Olympia führt ebenfalls über Japan.
Vom 30. November bis zum 15. Dezember ist die Großstadt Kumamoto im Süden des Inselstaates Austragungsort der diesjährigen Weltmeisterschaft. Insgesamt 24 Mannschaften sind am Start – und mit mindestens Platz acht würde Deutschland zumindest die Teilnahme an einem von drei Olympia-Qualifikationsturnieren sichern, bei denen im März 2020 die letzten Plätze ausgespielt werden. Direkt qualifiziert ist nur der Weltmeister. Sicher in Tokio dabei sind außerdem Olympiagastgeber Japan sowie die vier Sieger der kontinentalen Meisterschaften: Frankreich, Brasilien, Südkorea und Angola.
Das Ziel sind die Olympischen Spiele
Leicht wird die Aufgabe nicht. Denn für die WM bekam Deutschland schon für die Vorrunde gleich drei dieser Mannschaften in die Gruppe gelost – Frankreich, Brasilien und Südkorea. Die weiteren Gegner sind Dänemark und Außenseiter Australien. Das bedeutet auch, dass die deutsche Auswahl bereits in der ersten Phase auf vier Weltmeister trifft. Frankreich ist amtierender Welt- und Europameister, die „Equipe Tricolore“ gewann 2017 in Deutschland den Titel. Brasilien (2013), Dänemark (1997) und Südkorea (1995) durften ebenfalls schon einmal den Pokal in die Höhe stemmen, die Däninnen waren zudem je dreimal Olympiasieger und Europameister.
„Das Weiterkommen in die Hauptrunde und dort eine gute Ausgangslage sind die ersten großen Ziele. Frankreich als aktueller Weltmeister ist sicherlich ein Hammer, aber gegen alle anderen Mannschaften können wir mit einer guten Leistung selbstbewusst antreten. Wenn wir unter die ersten Acht kommen und damit in der Olympia-Qualifikation verbleiben wollen, müssen wir diese Aufgaben mit aller Macht lösen. Das wird ein offenes Rennen, aber wir haben bereits bei der EM 2018 gezeigt, dass wir gegen Top-Nationen erfolgreich bestehen können“, kommentierte DHB-Sportvorstand Axel Kromer die Auslosung.
Beim Kontinentalturnier war Deutschland im vergangenen Jahr Zehnter geworden. Bei den vorherigen Weltmeisterschaften 2017 im eigenen Land hatte das DHB-Team Platz zwölf belegt – im Achtelfinale war damals gegen den jetzigen Gruppengegner Dänemark Endstation. Den bislang einzigen WM-Titel holte man 1993, die letzte Medaille – Bronze – datiert von 2007.
Auf dem Weg zu einer möglichen Wiederholung würde es auch nach der Vorrunde nicht leichter werden. Die jeweils ersten drei Teams der vier Vorrundengruppen erreichen die Hauptrunde, die in zwei Gruppen mit jeweils sechs Mannschaften ausgespielt wird. Dort drohen den deutschen Frauen im Falle des Weiterkommens mit dem WM- und EM-Dritten Niederlande und dem dreimaligen Weltmeister Norwegen weitere hochkarätige Gegner.
„Wir wollen zu den Olympischen Spielen, da musst du auch mal ein paar Brocken beiseite räumen“, meint Kreisläuferin Julia Behnke, die in Russland bei Rostov Don spielt. „Wir haben uns in den vergangenen eineinhalb Jahren super entwickelt, da brauchen wir uns trotz der schweren Gegner nicht zu verstecken. Und vielleicht gelingt uns wie bei der EM 2018 gegen Norwegen auch gleich zum Start ein Überraschungssieg.“
Zum Start trifft die deutsche Mannschaft auf die Brasilianerinnen, bei denen die frühere Welthandballerin Alexandra do Nascimento ihr Comeback im Nationalteam feiert. Ein Sieg zum Auftakt wäre sicherlich gut für die Moral, doch die ausgeglichene Gruppe bringt es immerhin mit sich, dass auch bei einer Niederlage noch nicht alles verloren wäre. „Ich denke, in unserer Gruppe wird es nur spannende Spiele geben. Ich glaube nicht, dass eine Mannschaft ohne Verlustpunkte weiterkommt, das heißt, du kannst auch eine Niederlage gleich im nächsten Spiel wieder ausmerzen“, wird Baumbach auf der Seite des DHB zitiert. Auch Bundestrainer Henk Groener meinte im Vorfeld in der ARD-„Sportschau“: „Wenn man mal ein Spiel verliert, ist man nicht direkt raus.“
Die anspruchsvolle Gegnerschaft ist für Groener jedoch nicht die einzige Herausforderung bei diesem Turnier. Auch das fremde Essen und die Zeitumstellung gelte es zu beachten, sagte er in der „Sportschau“. Früher als sonst ist die deutsche Mannschaft deshalb nach Japan geflogen, wo wenige Tage vor dem Turnierstart (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) noch ein letzter Test gegen das Team aus Montenegro angesetzt war, den Europameister und Olympiazweiten von 2012. Das vorletzte Testspiel hatte Deutschland Ende Oktober in Hannover mit 32:23 gegen Kroatien gewonnen, nachdem man sich wenige Tage zuvor gegen den gleichen Gegner noch mit einem Remis begnügen musste. „Insgesamt bin ich zufrieden, dass wir nach der Enttäuschung (im ersten Spiel, Anm. d. Red.), wo wir gar nicht zu unserem Spiel gefunden haben, es dann drei Tage später vor einer tollen Kulisse geschafft haben, unser Tempo zu spielen und über 30 Tore zu werfen und über weite Strecken auch in der Abwehr zu überzeugen. Das war für mich zufriedenstellend“, lautete Groeners Fazit nach der Partie. Rückraumspielerin Alicia Stolle vom Thüringer HC meinte: „Ich denke, das Spiel war ein wichtiger Schritt in Richtung WM, denn wir gehen mit einem guten Gefühl aus dieser Woche. Insgesamt müssen wir – vorne wie hinten – aber noch an der Konstanz arbeiten, denn wir haben noch überall Steigerungspotenzial. Wir müssen konsequenter spielen und dürfen bis zur WM nicht mehr nachlassen.“
„Da musst du auch mal ein paar Brocken beiseite räumen“
Stolle ist eine von insgesamt fünf Spielerinnen von Pokalsieger Thüringer HC, der damit neben dem deutschen Meister SG BBM Bietigheim (ebenfalls fünf Spielerinnen) den größten Block im WM-Kader stellt. 12 von 17 Spielerinnen waren bereits bei der EM 2018 im Aufgebot, acht Spielerinnen erleben nun in Japan ihr WM-Debüt. „Wir sind mit der Mannschaft bei der EM einen guten ersten Entwicklungsschritt bei einem Großturnier gegangen. Durch die Kontinuität im Kader in den vergangenen Monaten wollen wir bei der WM in Japan weiter zusammenwachsen und uns die Teilnahme an einem Olympia-Qualifikationsturnier erarbeiten“, sagt Bundestrainer Henk Groener. Man sei auf allen Positionen durchweg gut besetzt. „Bei uns gibt es nicht den einen Star und der Rest sind bloß Wasserträger“, betonte er im ARD-Interview.
Angeführt wird die Mannschaft von Kapitänin Kim Naidzinavicius aus Bietigheim. Nachdem sie gegen Kroatien kürzlich ihr 100. Länderspiel absolviert hat, hofft sie nun auf einen besseren Ausgang als bei der WM 2017. Beim Heimturnier war sie bereits nach dem ersten Spiel aufgrund eines Kreuzbandrisses für den Rest des Turniers ausgefallen. Bleibt zu hoffen, dass der Austragungsort kein schlechtes Omen ist. Schließlich fand 1997 bereits die Weltmeisterschaft der Männer in Kumamoto statt. Deutschland war damals gar nicht erst qualifiziert.