Bei der EM greift die deutsche Handball-Nationalmannschaft nach dem Titel. Die Spieler und der Trainer haben sich nach Startproblemen längst zusammengerauft.
Jürgen Klopp ist für fast alle Fußballtrainer dieser Welt eine Inspiration. Doch auch in anderen Sportarten hat der charismatische Teammanager des FC Liverpool seine Anhänger. Für Christian Prokop zum Beispiel, der als Bundestrainer immerhin den wichtigsten Trainerposten im deutschen Handball inne hat, ist Klopp ein absolutes Vorbild.
„Ich würde schon sagen, dass Jürgen Klopp mich inspiriert. Es ist spannend, ihm bei seinem Coaching zuzuschauen", sagte Prokop dem „Mannheimer Morgen": „Seine Interviews sind großartig. Sein Ehrgeiz ist beispiellos." Der 40-Jährige schwärmte regelrecht über seinen Trainerkollegen. Vor allem von der Art, wie Klopp auf seine Spieler einwirkt, will sich Prokop eine Scheibe abschneiden. Es sei „außergewöhnlich, was er für eine Beziehung zu seiner Mannschaft aufgebaut" habe, so Prokop: „Seine Spieler danken es ihm."
In der Handball-Szene behaupten manche: Prokop hat sich schon während der erfolgreichen Heim-WM im vergangenen Januar, bei der das deutsche Team auf Platz vier nur denkbar knapp an einer Medaille vorbeigeschrammt war, zu einem „Mini-Klopp" verwandelt. Wobei „verwandelt" ein sehr harter Begriff ist, denn er impliziert ja, dass sich Prokop von seiner eigentlichen Persönlichkeit größtenteils verabschiedet hat. Das verneint der Bundestrainer bei jeder Gelegenheit, doch eine gewisse Metamorphose gibt er zu. Er habe nun den „richtigen Mix aus Anspannung und Lockerheit" und wisse, „dass zur Rolle des Bundestrainers Gedankengänge gehören, die über den Videoschnitt und die taktischen Vorgaben hinausgehen".
Eines ist Prokop aber wichtig zu betonen: Er hat sich nicht angepasst, weil andere das von ihm erwartet haben, „sondern weil ich der vollsten Überzeugung bin, dass das genau das richtige für diese Mannschaft ist." Manche Medien schrieben dennoch von einem „Prokop 2.0". Der frühere Trainer von Bundesligist SC DHfK Leipzig war während der WM im Vergleich zum EM-Debakel im Jahr davor kaum wiederzuerkennen. Vor allem in Sachen Kommunikation sowohl nach innen als auch nach Außen hatte Prokop eine 180-Grad-Wende vollzogen.
Richtiger Mix aus Anspannung und Lockerheit
„Das ist der Christian Prokop, den ich kenne und den wir verpflichtet haben", sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning, der nach dem Desaster bei der EM sein eigenes Schicksal im Deutschen Handball-Bund (DHB) mit dem von Prokop verbunden hatte. Kein geringes Risiko, denn Prokop stand mächtig auf der Kippe und konnte sich erst nach vielen Gesprächen mit den Spielern und einer außerordentlichen Präsidiumssitzung retten. Doch Hanning war und ist sehr überzeugt vom Bundestrainer. „Ich wusste immer, dass er das kann", sagte der Geschäftsführer der Füchse Berlin, „Überall, wo er war, hat er etwas aufgebaut und entwickelt." Vor der Handball-EM in Österreich, Norwegen und Schweden (10. bis 26. Januar) steht Prokop in keinster Weise zur Disposition. Doch er hat selbst miterlebt, wie von einem auf das andere Turnier die Stimmung kippen kann. Prokop wird also erneut liefern müssen – trotz eines verbesserten Standings in der Branche.
„Wir standen bei der WM unter den letzten vier Teams. Das möchten wir nicht nur wiederholen, sondern einen Schritt weitergehen", sagte Prokop: „Und diesmal möchten wir uns auch belohnen. Ich spüre einen Hunger im Team, dass es diesmal etwas Greifbares mitnehmen möchte."
Das Endspiel ist ein sehr ambitioniertes Ziel, nicht so sehr wegen der Gruppengegner Spanien, Lettland und die Niederlande. Aber spätestens in den Runden danach warten Top-Gegner wie Dänemark, Frankreich, Norwegen oder Kroatien. Als zusätzliche Motivation erhält der Sieger der erstmals mit 24 Teams ausgetragenen XXL-EM ein Direkt-Ticket für die Olympischen Spiele 2020.
Spätestens in Tokio dort peilt die Spielergeneration um Kapitän Uwe Gensheimer ihre Krönung an. „Wenn du es einmal unter die ersten Vier geschafft hast, ist es durchaus möglich, Olympiasieger zu werden", sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann.
Für die ganz großen Triumphe braucht es ein perfektes Zusammenspiel zwischen Trainer und Mannschaft. Und in dieser Hinsicht haben Prokop und die deutschen Nationalspieler inzwischen ein ganz anderes Level erreicht als noch bei Prokops Feuertaufe 2018. Damals wollte er stur Europameistern und Champions-League-Siegern in ein neues taktisches Korsett stecken.
„Ich wollte meine Spielphilosophie durchdrücken"
„Ich wollte meine Spielphilosophie durchdrucken", gab Prokop zu. Dabei habe er wenig Rücksicht auf Befindlichkeiten genommen, auf Rückschläge habe er mit „harter Kritik und Wut" reagiert – und so „Teile der Mannschaft verloren". Doch Spieler und Trainer gaben sich im Jahr 2019 eine neue Chance. „Wir haben besser zusammengefunden", sagte Kreisläufer Jannik Kohlbacher, der sich inzwischen keinen anderen Verantwortlichen an der Seitenlinie vorstellen kann: „Die Kommunikation zwischen Team und Trainer ist sehr, sehr gut." Auch Abwehrrecke Henrik Pekeler schwärmte über den „neuen" Prokop: „Er versucht, viel Spaß in die Truppe zu bringen, sei es beim Training oder abends im Hotel."
Nationaltorhüter Andreas Wolff, der als einer der größten Prokop-Kritiker galt, hat seine Meinung über den Bundestrainer ebenfalls geändert. Warum? „Ich denke, er hat sich selbst reflektiert und vor allem seine guten Seiten noch einmal verbessert." DHB-Vize Hanning ist wenig überrascht: „Am meisten lernst du, wenn du am Boden liegst."
Besonders offensichtlich für Außenstehende ist Prokops Wandlung bei den Auszeiten. Bei der EM wirkte er in diesen immens wichtigen Sekunden noch hektisch, unsouverän und überfordernd. Jetzt spricht er kurz, klar und nimmt sich auch mal zurück, sollte einer seiner Leistungsträger das Wort ergreifen. Das Signal ist: Ich vertraue Euch!
Prokop nimmt sich die Hilfe eines Medien- und Mentalcoaches, dadurch ist sein Auftritt auch nach außen deutlich souveräner geworden. Außerdem holt er sich Rat von Weltmeister-Trainer Heiner Brand. Und er achtet darauf, dass er nicht 24 Stunden am Tag an Handball denkt und dadurch ausgeruhter und gelassener ist.
Er joggt und geht regelmäßig in die Sauna, Social Media meidet er bewusst. Vor, während und nach der EM hatte er auch seinen Namen immer mal wieder gegoogelt, „das alles hat Zeit und Kraft geraubt", sagte Prokop: „Ohne soziale Netzwerke bin ich jetzt klarer, freier und mit mehr Energie unterwegs".
Manche Experten fordert nun sogar schon eine Vertragsverlängerung bis zur Heim-EM 2024. Doch die DHB-Bosse und auch Prokop wissen, dass der nächste Sturm nur eine Turnierpleite entfernt ist. DHB-Präsident Michelmann brachte es auf den Punkt: „Nichts hilft so sehr wie sportlicher Erfolg."