Seit Anfang des Jahres ist Stefan Kretzschmar offiziell als Sportvorstand der Füchse Berlin tätig. Er trägt weitaus mehr Verantwortung, als von vielen gedacht.
Ein Leisetreter ist Stefan Kretzschmar nun wirklich nicht. Mangelndes Selbstvertrauen wurde dem einstigen Handball-Punk auch noch nicht nachgesagt. Doch die Großspurigkeit beim Fußball-Bundesligisten Hertha BSC unter Ex-Trainer Jürgen Klinsmann war selbst Kretzschmar zu krass. „Natürlich gehört es zum Teil des Selbstverständnisses von Clubs in der Hauptstadt, erfolgreich sein zu wollen, doch das sollte nie aufgesetzt sein, sondern mit Qualität unterfüttert", sagte er mit Blick auf die Hertha. „Das mit Jürgen Klinsmann wirkte aufgesetzt, theatralisch und ein bisschen zu viel nach Hollywood."
Nun ist es aber so, dass Kretzschmar bei den Füchsen Berlin selbst für ein bisschen Hollywood, für mehr Glamour sorgen soll – der 47-Jährige ist schließlich die bekannteste Person im deutschen Handball. Doch die ersten drei Monate im Amt haben schon gezeigt: Kretzschmar ist beim Handball-Bundesligisten weit mehr als ein „Frühstücksdirektor", der nur mit seinem berühmten Namen die Türen zu Sponsoren öffnen soll. Kretzschmar ist auch als Funktionär ein Mann klarer Worte – und Taten. In seiner noch jungen Amtszeit hat der 218-malige Nationalspieler mit Dainis Kristopans einen Weltstar als neuen Spieler verpflichtet, mit Velimir Petkovic einen Trainer entlassen und mit Michael Roth einen Interimscoach installiert. Natürlich nicht im Alleingang, aber die Entscheidungen gingen mit Sicherheit nicht am Schreibtisch des neuen Sportvorstands vorbei.
„Es ist vor allem nervlich aufreibender, weil von Personalentscheidungen die Zukunft abhängt", sagt er über seine neue Position. Vor allem der Trainerwechsel dürfte dem sonst so coolen Kretzschmar ein paar schlaflose Nächte beschert haben. „Das war eine Aktion, die als Impuls zu werten ist", begründet er die Entscheidung, die angeblich „nichts mit der Qualität des Trainers zu tun" hatte. Aber die Füchse-Bosse sahen ihre Ziele in Gefahr, nachdem das Team nicht mehr an die starken Leistungen unmittelbar nach der EM-Pause (vier Siege in vier Spielen) anknüpfen konnte und Spiele gegen schwächere Teams verlor. Doch so ganz wohl in seiner Haut fühlte sich Kretzschmar bei der Entlassung von Petkovic, der als neuer Nationaltrainer Russlands schnell eine andere Aufgabe gefunden hat, nicht. Die unangenehme Nachricht musste er dem 63-Jährigen überbringen – und nicht Geschäftsführer Bob Hanning. „Es war schwierig, so ein Gespräch mag keiner, wir hatten ja ein Vertrauensverhältnis, und zwei Wochen vorher habe ich ihn ja noch gelobt für seine Arbeit", berichtet Kretzschmar. Es habe sich „nicht gut" angefühlt.
Ein Mann klarer Worte und Taten
Auch sportlich betrachtet war es eine schwere Entscheidung. „Man hat genau eine Kugel im Laufwerk während der Saison, um die Trainerposition zu verändern", verdeutlicht der Sportvorstand. „Man muss sich genau überlegen, wann man sie nimmt." Kretzschmar und Geschäftsführer Bob Hanning „feuerten" die Kugel Ende Februar ab, weil sie den erneuten Einzug in den Europacup und vor allem das Final Four im EHF-Cup in der heimischen Max-Schmeling-Halle (24. und 25. Mai) nicht gefährden wollten. „Es geht um viel", sagte Kretzschmar, „es wäre der Super-Gau, wenn wir an unserem eigenen Final Four nicht teilnehmen, auch wirtschaftlich." Das Geld aus dem Heimturnier können die Füchse gut gebrauchen, denn ihre Ziele ab der kommenden Saison sind hoch. Dafür hat sich der Club mit zahlreichen Spielern verstärkt, den Umbruch hat auch Kretzschmar entscheidend vorangetrieben. Er freue sich schon jetzt „wahnsinnig auf den Kader der nächsten Saison", sagt der gebürtige Leipziger, „da steht ein Gerüst."
Als einer der Architekten dieses Kaders hat Kretzschmar aber nicht nur Freude erlebt. „Das war teilweise ein Nervenspiel mit vielen schlaflosen Nächten, weil man weiß, dass das Schicksal deines Vereins von einer Unterschrift abhängen kann", berichtet er und gab zu, bei einigen Verhandlungen „nervös" gewesen zu sein. Von seinen Abwerbungsversuchen von Spielern in Portugal flog Kretzschmar zum Beispiel ohne Erfolgsmeldung zurück, „das ist dann ein kleiner Nackenschlag und nimmt einen schon mit". Auf der anderen Seite sei eine Unterschrift eines Spielers, den er unbedingt haben wollte, umso schöner: „Dann hat sich das Martyrium gelohnt."
Die wirklichen Früchte seiner Arbeit sind aber Siege der Mannschaft, am besten Titel. In zwei bis drei Jahren sollen die Füchse unter seiner Regie „als absolute Spitzenmannschaft wahrgenommen werden und wenn möglich um Titel spielen", sagte er dem SID. Das Ziel sei, „konstant die Nummer eins oder zwei zu sein". Das wäre noch mal ein großer Schritt für die Berliner, die bislang nie ernsthaft um den Meistertitel spielen konnten. Dafür soll Kretzschmar mit seinem Namen nicht nur Top-Spieler nach Berlin locken, sondern mit seiner Erfahrung auch den Finger in die Wunde legen. Nach den Niederlagen, die Trainer Petkovic den Job gekostet hatten, tat der neue starke Mann genau das. „Keiner ist wirklich geil darauf, nach vorne zu gehen. Niemand will Verantwortung übernehmen", wetterte Kretzschmar. Auch vor Einzelkritik machte er nicht Halt. Auf der anderen Seite bewies Kretzschmar auch ein gutes Gespür, als er das Team nach dem rein vom Ergebnis her enttäuschenden 26:26 beim Bergischen HC moralisch aufbaute, weil es einen Fünf-Tore-Rückstand im Endspurt noch aufgeholt hatte. Kretzschmar lobte die „Moral und die Reaktion" seiner Spieler – und kritisierte stattdessen die Schiedsrichter, die seiner Meinung nach beim 2,15-Meter-Riesen Kristopans mit zweierlei Maß messen würden: „Ich finde es beunruhigend, dass für ihn offenbar andere Regeln gelten."
„Uns fehlt noch eine ganze Menge"
Schon jetzt ist deutlich zu spüren: Kretzschmar geht in seiner neuen Rolle voll auf. Das Angebot von Hanning, welches er zunächst für einen Scherz gehalten hatte, nahm Kretzschmar vor allem deshalb an, weil sein Bauchgefühl ihm dazu riet. Und trotz der vielen Arbeit und der harten Entscheidungen hat er seine Unterschrift unter dem Vierjahresvertrag nicht bereut. Der geplante Angriff auf Branchenprimus THW Kiel ist für ihn höchst reizvoll, doch anders als Klinsmann bei Hertha BSC will er sich mit großspurigen Tönen zurückhalten. „Ich werde jetzt nicht den Fehdehandschuh gen Kiel in den Ring werfen", sagt Kretzschmar. „Uns fehlt schon noch eine ganze Menge im Vergleich zu Kiel, allein budgetär sind das vier, fünf Millionen Euro." Doch daran arbeiten er und Hanning. Zum zweiten Alphatier bei den Füchsen pflegt er nach eigener Aussage „ein harmonisches Verhältnis".
Das berüchtigte Partyleben in der Hauptstadt kommt für Kretzschmar derweil ein bisschen zu kurz. Selbst an seinem 47. Geburtstag vor einem Monat ging er nicht auf die Piste. „Ich habe mich abends schön auf die Couch gelegt und Golf geschaut", sagte er, „und bin noch vor Mitternacht eingeschlafen."