Silvio Heinevetter war über viele Jahre das Gesicht der Füchse Berlin. Nun verlässt der Torhüter ohne großen Applaus den Club.
Fast könnte man meinen, da sitzt The Big Lebowski höchst persönlich auf der grünen Parkbank. Der Typ mit der langen Haarmähne und dem beachtlichen Bart hat eine Pyjamahose an, oben herum trägt er einen Bademantel. In der Hand hält er ein Getränk, das wie ein White Russian aussieht. Genau so hat man Jeff Bridges als „The Dude" in der Kult-Komödie „The Big Lebowski" in Erinnerung. Der Typ auf der Parkbank ist aber Silvio Heinevetter, der sich für ein Instragram-Bild leicht verlottert in Pose wirft. Wahrscheinlich musste sich der Torhüter des Handball-Bundesligisten Füchse Berlin gar nicht so sehr verkleiden, er hatte schon vor der wochenlangen Kontaktsperre in der Corona-Krise einen gewissen Lebowski-Look. Ein Kommentar einer seiner Fans lautete: „Was für den einen Verwahrlosung ist, ist für den anderen ein entspannter Nachmittag."
Entspannte Nachmittage hatte Heinevetter zuletzt genug. Nur zu gerne hätte er wieder das Adrenalin auf dem Parkett gespürt, doch dazu wird es in dieser Spielzeit nicht mehr kommen. Die Saison wurde von der Handball-Bundesliga HBL wegen der Corona-Pandemie vorzeitig abgebrochen. Für Heinevetter ist dieser Schritt besonders bitter: Elf Jahre hat er für den Hauptstadtclub die Knochen hingehalten, er war maßgeblich für den Aufstieg des Vereins zu einem Europacup-Dauergast verantwortlich – und jetzt bekommt er nicht einmal einen gebührenden Abschied in der Max-Schmeling-Halle mit großem Brimborium. „Er war unser Gesicht", sagt Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning über den Publikumsliebling, der zu Ligarivale MT Melsungen wechselt. „Es ist ja legitim zu gehen. Wir haben ihm viel zu verdanken."
Elf Jahre hat er für die Füchse gespielt
Bei den ambitionierten Nordhessen hatte der Nationaltorwart schon im Vorjahr einen Zweijahresvertrag unterschrieben, der eine beidseitige Option für eine weitere Saison beinhaltet. „Die MT Melsungen", sagte Heinevetter, „hat mir viel Wertschätzung entgegengebracht und um mich gekämpft, wie man es sonst nur für eine tolle Frau macht." Im Umkehrschluss bedeutet das: Diese Wertschätzung hat er von den Berliner Verantwortlichen nicht mehr gespürt. „Wertschätzung" drückt sich bei Profispielern in der Regel über das Gehalt und die Vertragslaufzeit aus – und in beiden Punkten konnten sich Heinevetter und Hanning nicht einigen. Beide bezichtigten sich gegenseitig der Lüge und zogen die Aussagen des jeweils anderen in den Dreck („absurd"). Als sich dann auch noch Heinevetters Lebensgefährtin, die Schauspielerin Simone Thomalla, einschaltete, war die Schlammschlacht perfekt. Thomalla postete eine ganz offensichtlich an Hanning gerichtete Fotomontage mit dem Spruch „Lügen haben kurze Beine" und fügte als Kommentar an: „Mehr habe ich dazu nicht zu sagen! Manchmal braucht man halt zehn Jahre, um zu verstehen." Die Schauspielerin legte in einem Interview nach: „Ich hätte mir gewünscht, dass die Vereinsspitze der Füchse mehr um ihn gekämpft hätte."
Sportlich waren die Verantwortlichen aber nicht mehr zu 100 Prozent von den Qualitäten des Nationaltorhüters überzeugt. Auch deswegen verpflichteten sie mit Dejan Milosavljev einen Champions-League-Sieger. Der im Vergleich zu Heinevetter elf Jahre jüngere Serbe stieg zum großen Rückhalt der Füchse auf, mit einer Quote von 35,53 Prozent gehaltener Bälle ist er die Nummer eins der Bundesliga. Noch beeindruckender ist seine Siebenmeter-Bilanz: Fast jeden zweiten Wurf vom Punkt konnte der schwergewichtige Torhüter parieren. Für Heinevetter blieb in seiner Abschiedssaison zwischendurch oft nur das Gnadenbrot. Die Minuten, die er auf dem Feld stand, wenn Milosavljev fit war, reichten Heinevetter bei Weitem nicht. „Ich bin nicht hier, um nur auf der Bank zu sitzen, das ist klar", sagte er einmal angesäuert im TV-Interview. „Dejan macht das sehr gut, aber ein bisschen mehr Spielzeit wäre nicht verkehrt. Auch ein bisschen mehr Zuversicht von den Offiziellen."
Die Fans haben Heinevetter aber nie vergessen. Als der Torwart im EHF-Pokal gegen Malmö mal ran durfte und mit zwölf Paraden überzeugte, schallte es „Heine, Heine"-Sprechchöre in der Schmeling-Halle. Ob er dabei Genugtuung verspürt habe, wurde Heinevetter danach gefragt. „Ich bin seit elf Jahren in Berlin. Das ist kein Neuland für mich", antwortete er betont cool. Nicht wenige hatten befürchtet, die Dauerrolle als Bankdrücker würde beim emotionalen Heinevetter irgendwann zum Ausbruch führen. Doch mit einem Knall wollte sich der 192-malige Nationalspieler nicht aus Berlin verabschieden. Diese Professionalität lobten auch jene, die an Heinevetters Ast gesägt hatten. „Seine positive Ausstrahlung hilft der ganzen Mannschaft. Weil er ein wichtiger Mann im Team ist, und jeder guckt, wie er tickt, wie er sich beim Training benimmt", sagte Ex-Trainer Velimir Petkovic, „und das ist sehr professionell." Heinevetters Formkurve stieg zuletzt an, ehe Corona zum Spielstopp führte. Dies war auch dem neuen Bundestrainer Alfred Gislason nicht verborgen geblieben. Der Isländer lud den zweiten Torhüter der Füchse etwas überraschend zum Lehrgang in Aschersleben ein, wo sich die Nationalmannschaft auf das am Ende abgesagte Olympia-Qualifikationsturnier vorbereitete. „Silvio ist gut drauf, er ist ein guter Torwart, der die Gegner mit seiner Art zur Verzweiflung bringen kann", begründete Gislason seine Entscheidung. Unter Vorgänger Christian Prokop war Heinevetter zuletzt aussortiert worden.
Überraschend zum Nationalmannschafts-Lehrgang eingeladen
Eines seiner besseren Spiele absolvierte Heinevetter in der Liga ausgerechnet gegen seinen künftigen Club Melsungen, als er nach einer Viertelstunde ins Spiel kam und die Füchse zum 28:22-Sieg führte. In Melsungen soll er die Nachfolge von Johan Sjöstrand antreten, dessen Vertrag im Sommer 2020 ausläuft. Die Hessen haben zuletzt viel Geld in die Hand genommen und eine Art „MT Deutschland" zusammengestellt. Neben Heinevetter stehen dort demnächst auch die Nationalspieler Timo Kastening, Julius Kühn, Tobias Reichmann und Kai Häfner unter Vertrag.
Heinevetter soll zudem mehr Glamour in den Club bringen. „Durch seine Beziehung zu Schauspielerin Simone Thomalla (seit 2009) hat er einen Bekanntheitsgrad erreicht, der weit über den Handballsport hinausreicht", hieß es sogar in der offiziellen Club-Mitteilung nach der Verpflichtung. Die Liaison von Heinevetter und Thomalla hatte den Füchsen über Jahre hinweg viel Aufmerksamkeit gebracht, der Typ Heinevetter hatte mit seinen Sprüchen und seiner charismatischen Art für viel Unterhaltung gesorgt. „Heine" wird den Füchsen fehlen, umgekehrt ist es aber genauso. Die Trennung sei „eine wahnsinnig schwere Entscheidung" gewesen, sagte Heinevetter. Und zum Abschied gibt es nicht einmal Applaus.