Ein aus deutscher Sicht völlig chaotisches System der Wählerregistrierung macht es insbesondere der Republikanischen Partei von Donald Trump leicht, Wählergruppen vom Gang zum Wahllokal abzuschrecken.
Von Donald Trump hat man schon vieles gehört, was unglaublich klingt, aber was der US-Präsident da im TV-Duell mit Herausforderer Joe Biden sagte, war doch einmal mehr schwer zu fassen: Seine Fans sollten, so sagte er da, zu den Wahllokalen gehen und dort „sehr genau beobachten“, was da vor sich gehe. Wie so oft bei Trump eine zweideutige Aufforderung. Einerseits sollten seine Anhänger Wahlbeobachter spielen und „Wahlbetrug“ nachweisen, dessen Möglichkeit er bereits mehrfach unterstellt hat. Dabei ist es ein breiter Konsens bei Experten, dass echter Wahlbetrug auch in den USA schwer möglich ist und praktisch keine Rolle spielt.
So ging es Trump denn auch vor allem um etwas anderes: Die unterschwellige Aufforderung, möglichst in Uniform aufzutreten oder anderweitig beeindruckend dafür zu sorgen, dass Biden-Wähler abgeschreckt werden würden. Wäre das denkbar?
Nicht jedem Wähler sieht man an, wen er wählt. Aber bei Schwarzen und Latinos ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie demokratisch, also in diesem Falle für Joe Biden, stimmen werden, ziemlich hoch. Wenn nun also weiße Wahlhelfer, womöglich in einer wie auch immer beeindruckenden Uniform vor den Wahllokalen ihre Patrouillen machen, ist klar, was der Zweck der Aktion ist. Der Sohn des Präsidenten, Donald Trump Jr., hat auch schon angekündigt, bis zur Wahl ein paar Tausend spezielle Wahlhelfer zu sammeln, die solche Aufgaben übernehmen sollen.
Die Strategie der Einschüchterung des gegnerischen Wählerpotenzials hat bei der Republikanischen Partei in den USA eine unselige Tradition. Es gab früher Wahlgebühren oder Tests der Lesefähigkeit, es gab mit Absicht irreführende Informationen über Abgabefristen von Briefwahlunterlagen oder auch in einzelnen Bundestaaten Vorgaben für die Vorlage bestimmter Ausweise mit Foto zur Identifikation, etwa Führerscheine.
2017 hat Donald Trump eine Beratungskommission für die Reform des Wahlsystems eingesetzt. Es sollte die Möglichkeit des Wahlbetrugs angehen. Kritiker jedoch vermuteten gleich, es handle sich um einen erneuten Versuch der Wählerabschreckung. Vorsitz der Kommission hatte der Generalstaatsanwalt von Kansas, Kris Koblach, der dafür eintritt, strikte Identifikationsnachweise einzuführen sowie Kreuzchecks. Das ist eine Datenbank, die es erlaubt, zu prüfen, ob Wähler in mehr als einem Bundestaat registriert sind.
Die richtigen Wähler statt möglichst viele
Solche Reformen werden von vielen als der Versuch einer Abschreckung von Wählern gewertet. Allerdings ist das Problem der chaotischen Wählerregistrierung und Identifikation durch eine Vielfalt von möglichen Ausweisen wie dem Führerschein in den USA nicht zu leugnen. Niemand käme in Deutschland auf die Idee, die Pflicht zur Identifikation mit einem Ausweis mit Lichtbild im Wahllokal als Versuch der Wählerabschreckung zu verstehen.
Schwächere Methoden sind etwa knappe Registrierungsfristen für die Briefwahl bis hin zu der Entscheidung in Florida, dass entlassene Straffällige, die schwere Verbrechen begangen haben, nicht wählen dürfen, wenn sie nicht vorher alle Strafen und Gerichtsgebühren abbezahlt haben.
Die Geschichte der Wählerabschreckung, die bis heute andauernden entsprechenden Aktionen der Republikanischen Partei und nun die offenen Aufrufe durch Donald Trump zerstören aber das Vertrauen der anderen, das heißt der Demokraten. Die Angst vor einer aktiven Einschüchterung an den Wahllokalen ist groß.
„Wie konkret Wählerregistrierungen und dann die Abstimmung durchgeführt werden, ob und in welcher Form Briefwahl erlaubt ist, ob es Wahlmaschinen gibt, wie viele Wahllokale eingerichtet werden oder ob man einen Ausweis zum Wählen braucht, entscheiden die Einzelstaaten selbst. Das ermöglicht viele Manipulationen durch die Gouverneure und Landesparlamente“, sagt Andreas Etges, USA-Experte an der Universität München. „In den letzten Jahrzehnten war es vor allem die Republikanische Partei, die mit allen möglichen Mitteln versucht hat, potenziellen Wählergruppen der Demokraten sowohl die Registrierung als auch die Abstimmung zu erschweren, um so den eigenen Wahlsieg zu sichern. Das undemokratische Credo lautet: Nicht möglichst viele Bürger sollen zur Wahl gehen können, sondern vor allem die richtigen, sprich Wähler der Republikaner.“
Dass der linksliberale Thinktank Brennan Center extra zu diesem Thema eine aktuelle Kurzanalyse veröffentlich hat, zeigt, wie groß die Unsicherheit ist. „Die Gesetzeslage ist glasklar: Es ist illegal, bewaffnete staatliche Kräfte bei den Wahllokalen zu stationieren.“ Das gilt insbesondere für die Armee, die Bundespolizei und die Nationalgarde. Lokale Polizei darf unter bestimmten Bedingungen aus Gründen der Sicherheit vor Ort sein. Dass es nötig scheint, solche Dinge zu erklären, ist bezeichnend. Es dürfte aber die Gefahr, dass inoffizielle Wahlhelfer Trumps bei den Wahllokalen „für Ordnung sorgen“ könnten, nicht verhindern.
Die Demokraten kennen diese Gefahr. Keine Geringere als Ex-First-Lady Michelle Obama hat in ihrer Rede im August darauf hingewiesen. Das Trump-Wahlkampfteam hat schon bei der Wahl 2016 systematisch nach Möglichkeiten gesucht, typische Demokraten-Wähler davon abzuhalten, zur Wahl zu gehen.
Darüber hinaus aber gibt es eine Reihe sehr viel niedrigschwelligerer Hindernisse, die bestimmte Gruppen stärker benachteiligen als andere. Nicht immer ist Absicht dahinter zu belegen, aber sie wirken dennoch. So ist das größte Problem die Knappheit an Wahlhelfern. Es mangelt in praktisch allen Bundesstaaten daran. Bei den Wahlen 2016 waren insgesamt rund eine Million im Einsatz. Viele sind über 60 Jahre alt und halten sich wegen Corona zurück. Schon bei den Wahlen 2018 gab es vielerorts einen Mangel an Wahlhelfern. Das bedeutete, dass weniger Wahllokale geöffnet werden konnten. Die Folge: Die Wähler standen vor den verbliebenen Wahllokalen Schlange. Die Wartezeit betrug teilweise bis zu fünf Stunden. Solche Überfüllungen traten vor allem in größeren Städten mit höherer Bevölkerungsdichte auf, wo überdurchschnittlich viele Schwarze oder Latinos leben. Wer fünf Stunden wartet, um einen Wahlzettel einzuwerfen, verdient höchsten Respekt. Es dürfte viele geben, die sich das nicht antun möchten. Viele Beobachtungen haben gezeigt, dass die Warteschlangen in typischen weißen Wohngebieten viel seltener und viel kürzer waren. Allein also der ungleiche Mangel an Wahllokalen bedeutet also eine subtile Verzerrung und Ungleichbehandlung der Wähler.
Corona verschärft das Problem
Verschärft wird das Problem der Knappheit an Wahllokalen nun massiv durch Corona. Weniger Wahlhelfer bedeuten noch längere Wartezeiten. So ist nur zu erwarten, dass viele Wähler nun per Post wählen wollen. Das ist im Prinzip überall möglich, immerhin erlauben die meisten Bundesstaaten die Briefwahl ohne explizite Begründung In 16 Staaten allerdings ist noch immer eine Begründung erforderlich, etwa der Art, dass man beruflich an dem Tag unterwegs ist. So reicht aktuell in Texas als Begründung nicht aus, dass man wegen Corona ungern ins Wahllokal gehen möchte. „Die ohnehin schon existierenden organisatorischen Probleme bei Registrierung, Wahl und Auszählung werden durch die Corona-Krise, in der weit mehr Bürger per Brief wählen wollen, noch viel größer. Ob und in welcher Form das den Ausgang der Präsidentschaftswahl und der vielen anderen gleichzeitig stattfindenden Wahlen beeinflusst, ist meist nur schwer zu messen“, so US-Experte Etges.
Zudem dürfte die Briefwahl die US-Post vor große Herausforderungen stellen. So große, dass Donald Trump schon angezweifelt hat, ob die Briefwahlergebnisse überhaupt zuverlässig genug sind, um sie gelten zu lassen. Allerdings haben die Republikaner durch Sparprogramme auch alles dafür getan, dass die Post schlecht ausgerüstet ist. Bei der Wahl 2016 wählten rund ein Fünftel der Wähler per Brief. Es dürften diemal mehr als doppelt so viele werden. Bislang haben von 207 Millionen Wahlberechtigten 72 Millionen Briefwahlunterlagen angefordert. Wegen Corona dürften es noch deutlich mehr werden. Es könnte Wochen dauern, bis alle ausgezählt sind.