Bei Alba Berlin geht nach sieben Corona-Fällen vorübergehend nichts mehr. Der ohnehin eng getaktete Terminkalender ist noch unübersichtlicher geworden, es gibt kaum noch Spielraum.
Zuletzt fühlte sich Marco Baldi wie in einem schlechten Traum. Die Corona-Fälle bei Alba Berlin haben ihren Geschäftsführer zwar nicht ganz kalt erwischt, dafür entwickelte sich die Lage europaweit viel zu dramatisch. Aber als es dann so weit war, traf das Problem ihn und den gesamten Club mit voller Wucht. Seine Ablenkung in der Krise? „Ich versuche es mit Spaziergängen an der frischen Luft", sagte Baldi. „Ich bin aber auch immer im Austausch mit anderen Menschen." Bei den Gesprächen, unter anderem mit Leuten aus der Kultur und Politik, gehe es darum, „die Brille nicht nur für die eigenen Dinge zu schärfen, sondern das Thema gesamtgesellschaftlich zu verstehen", so Baldi. Dabei erfahre er auch Trost und Ermunterung. Der Alba-Geschäftsführer glaubt inzwischen ganz fest: „Wir müssen es auch nicht allzu sehr dramatisieren, wir werden da durchkommen."
Die Frage ist nur: Zu welchem Preis? Wie schnell das wackelige Kartenhaus im Profisport in Zeiten der Pandemie zusammenfallen kann, hat Alba hautnah zu spüren bekommen. Der Double-Gewinner setzte sich in der EuroLeague völlig überraschend beim russischen Topclub ZSKA Moskau (88:93-Auswärtssieg) durch, doch die Freude währte nur kurz: Bei der routinemäßigen Testreihe wurde bei einem Spieler Covid-19 nachgewiesen, das Vorrundenspiel im BBL-Pokal gegen die Löwen Braunschweig musste zunächst verschoben werden. Dann der nächste Schock: Bei neuen Tests wiesen sechs weitere Personen aus der Moskau-Reisegruppe ein positives Ergebnis auf – und schon wird es im brutal eng getakteten Terminkalender unübersichtlich. Spieler, Trainer und Betreuer gingen für zwei Wochen in Quarantäne. Teilweise zu Hause, teilweise im Hotel. Die Clubbosse beantragten eine Spielverlegung für das Pokal-Wochenende (24. und 25. Oktober), die für den 22. und 30. Oktober angesetzten EuroLeague-Spiele gegen Baskonia Vitoria-Gasteiz und bei Armani Mailand wurden abgesagt. Wann Alba die Partien nachholen soll, war zunächst völlig offen. Und diese Frage schien den Berliner Verantwortlichen zunächst auch egal. „Erst kommen die Menschen, dann alles andere", betonte Baldi. Die Gesundheit der Personen im Verein werde nicht noch zusätzlich aufs Spiel gesetzt, um den Spielplan auf Teufel komm raus durchzupeitschen: „Hier sind kranke Menschen, und wir müssen alles tun, um deren Gesundheit wiederherzustellen."
Spieler, Trainer und Betreuer gingen für zwei Wochen in Quarantäne
Doch es stellt sich die Frage: Sind die vielen Auswärtsreisen in der EuroLeague, die meist in ein Corona-Risikogebiet führen, nicht schon an sich ein Gesundheitsrisiko? Fakt ist: Im wichtigsten Clubwettbewerb im europäischen Basketball konnten Mitte Oktober auch die Spiele zwischen Zenit St. Petersburg gegen Amani Mailand und Anadolu Istanbul gegen ASVEL Lyon-Villeurbanne nicht angepfiffen werden. Laut Reglement dürfen EuroLeague-Partien aufgrund von Corona maximal dreimal verschoben werden. Damit der sportliche Wettbewerb weiterhin gegeben ist, sagte Baldi, sei „viel Kreativität und Flexibilität" gefragt.
Aber nicht nur in der EuroLeague. Nach den Hiobsbotschaften von Alba Berlin meldeten auch die Telekom Baskets Bonn, Medi Bayreuth und Aufsteiger Niners Chemnitz Corona-Fälle, die zuständigen Gesundheitsämter ordneten jeweils eine Quarantäne der kompletten Mannschaft an. Das hielten Funktionäre der Basketball-Bundesliga BBL für etwas übertrieben. Ihrer Meinung nach hätte es gereicht, die Infizierten zu isolieren. „So werden unsere Hygienekonzepte, für die wir von Politik und Behörden viel Lob erhalten haben, ad absurdum geführt", sagte BBL-Chef Stefan Holz der Deutschen Presse-Agentur. Auch die Pokalspiele von Bayreuth und Bonn mussten abgesagt werden, die Terminnot ist schon jetzt groß. Holz hatte zwar schon vor Wochen davor gewarnt, dass es auch im deutschen Basketball „Einschläge" geben werde. Doch dass diese so früh in der Saison kommen würden, damit hatte wohl auch er nicht gerechnet. Mit Blick auf die europaweit deutlich gestiegenen Corona-Fallzahlen sind die Infektionsketten im Profisport aber keine große Überraschung. Kracht das Kartenhaus also bald zusammen? Irgendwann ist der Terminplan nicht mehr wie geplant durchführbar, alternative Pläne liegen längst in der Schublade.
Alba muss sich derweil in Geduld üben. Das Gesundheitsamt schreibt vor, dass sich die betroffenen Spieler 14 Tage nach dem letztmöglichen Kontakt miteinander in Quarantäne begeben müssen. Die würde nach Clubangaben am 2. November enden, dann wäre ein komplettes Teamtraining wieder möglich. Drei Tage später steht die EuroLeague-Partie gegen den FC Barcelona auf dem Plan. Aus der Quarantäne direkt gegen einen der besten Clubs Europas? Wer hier von Wettbewerbsverzerrung spricht, liegt sicher nicht falsch. Doch die EuroLeague kann und will auf Einzelschicksale keine Rücksicht nehmen. Laut Regularien muss eine Mannschaft antreten, wenn sie acht einsatzfähige Spieler im Kader hat. Doch auch Barcelona setzt das Coronavirus zu. Der infizierte Power Forward Nikola Mirotic beschrieb auf Twitter, dass ihn die Krankheit deutlich heftiger getroffen habe als angenommen. Albas Aufbauspieler Peyton Siva meldete sich dagegen mit einer positiven Nachricht an die Fans: „Der Familie und mir geht es gut, ich danke euch."
Aus der Quarantäne direkt gegen einen der besten Clubs Europas
Aber wie gut geht es dem Basketball in der Corona-Krise? So lange die Ligen ihren Spielbetrieb beibehalten können, dürften sie auch mit den deutlich gesunkenen Zuschauer-Einnahmen überleben. Innerhalb der BBL herrscht darüber ein Konsens und ein großer Wille zur Zusammenarbeit, betonte Alba-Geschäftsführer Baldi: „Die BBL hat schon bewiesen, welcher Geist da weht." Doch „ob man den ewig aufrecht erhalten kann, weiß ich auch nicht". Baldi hofft, dass der Profisport inmitten der zweiten Corona-Welle von der Politik nicht ausgebremst wird. Ein zweiter Lockdown wie im vergangenen Frühjahr hätte fatale Folgen – nicht nur für die Clubs. „Es geht darum, wirtschaftliches und kulturelles Leben aufrechtzuhalten", sagte Baldi. Gerade wenn die Menschen verstärkt zu Hause bleiben wollen und müssen, sollen sie sich zumindest am heimischen Fernseher an Spielen im Fußball, Basketball, Handball oder Eishockey erfreuen. Die Verantwortlichen dürfen deshalb nicht verzagen. „Ich weiß, dass vielen und mir auch manchmal danach ist, den Kopf in den Sand zu stecken", sagte Baldi. Doch so könne man die Krise nicht meistern – weder im Unternehmen noch im Profiverein oder als Einzelperson. Gefragt sind Kreativität und kühle Köpfe. Baldi glaubt: „Das schaffen wir auch."