Waschmittel, Klopapier, Duschgels – ohne die Attribute „Grün" und „nachhaltig" wird kaum ein Produkt verkauft. Wie oft dabei gelogen und getäuscht wird, ist schwer zu durchschauen. Das Lieferkettengesetz, auf das sich die Große Koalition jetzt geeinigt hat, wird für mehr Klarheit sorgen.
Grüne Wälder, eine Handvoll frische Kaffeekirschen, dazwischen die „Kaffeeheldinnen" von Äthiopien und über allem das Wort Nachhaltigkeit – so wirbt Nespresso für seinen Kapselkaffee, für den Tonnen von Aluminium verbraucht werden. Immerhin: Der Aluschrott lasse sich recyceln, argumentiert Nespresso. Was wäre, wenn man ihn gar nicht erst produzieren würde? Iglu wirbt damit, dass von jeder Packung Fischstäbchen ein paar Cent an den World Wildlife Fund (WWF) gehen. Der WWF hat seinen bekannten Panda auf Dutzenden von Marken platziert, die nicht immer unbedingt für Umweltfreundlichkeit stehen, wie beim Siegel MSC, das angeblich nachhaltige Fischerei fördert. Hinter der Better Cotton Initiative mit dem BCI-Label verbirgt sich Kinderarbeit. Denn auch die usbekische Baumwolle bekommt dieses Siegel, obwohl dort übelste Arbeitsbedingungen und Kinderarbeit in Spinnereien nachgewiesen wurden. „Saufen für den Regenwald" – das war einmal eine Kampagne von Krombacher. Pro Kasten wollte die Brauerei einen Quadratmeter Regenwald retten. In Wirklichkeit – so haben Umweltorganisationen nachgerechnet – hat Krombacher 97 Quadratkilometer afrikanischen Regenwald geschützt, das sind 0,01 Prozent des gesamtes Bestands.
Die EU-Kommission hat solche Werbeversprechen jüngst untersucht: 42 Prozent davon waren irreführend, übertrieben oder schlichtweg falsch. Bei mehr als der Hälfte der untersuchten Produkte gab der Händler nicht genügend Hintergrundinformationen, um das Werbeversprechen zu begründen Die Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini, Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments, sagte dazu: „Verbraucher wollen zunehmend nachhaltig kaufen. Hierfür brauchen sie verlässliche und eindeutige Informationen zum Zeitpunkt des Kaufes. Dass bei mehr als der Hälfte der untersuchten Beispiele für Verbraucher nicht nachvollziehbar ist, was Beschreibungen wie ‚nachhaltig‘ oder ‚öko‘ bedeuten, zeigt, dass unsere derzeitigen Regeln nicht ausreichen."
Verantwortung für die Zulieferer
Was diese Unternehmen machen, nennt man Greenwashing. Falsche oder aufgehübschte Behauptungen werden grafisch perfekt aufbereitet und angenehm in Werbespots und Anzeigenkampagnen verpackt. Weil es um Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Klimarettung geht, kommt das bei den Verbrauchern gut an. Man beruhigt sein schlechtes Gewissen, wenn man weiß, dass man zwar in einen Flieger steigt, aber dafür auch fünf Euro für den Regenwald spendet. Auch wenn nur ein Bruchteil der Schuhsohlen, die Adidas herstellt, aus im Meer gesammelten Abfällen stammt, ist der Käufer bereits zufrieden. Das dreisteste Greenwashing war die Abgasmogelei der Dieselfahrzeughersteller: Auf dem Prüfstand wurden sämtliche Umweltnormen erfüllt, im praktischen Betrieb entsprach der Schadstoffausstoß keiner der Auflagen mehr.
Und nicht nur die Verbraucher sind gerne geneigt, den Werbeversprechungen zu glauben. Auch die Politik lässt sich immer wieder täuschen und vergibt großzügig Siegel um Siegel. Meist sind diese Siegel freiwillig, kontrolliert wird selten, und Hauptsache, es steht „Bio" oder „nachhaltig" drauf. Der 2019 eingeführte „Grüne Knopf", um den sich besonders Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) bemüht hat, soll Orientierung im Textilhandel bieten. Doch selbst dieses Label ist zu wenig nachprüfbar, und nur 50 Firmen machen wirklich mit.
Tatsächlich kommt von ebenjenem Gerd Müller ein Gesetz, das dem Geschäft mit vorgetäuschten Umweltwohltaten den Garaus machen könnte: das Lieferkettengesetz. Nach langem Hinhalten durch das von Peter Altmaier (CDU) geführte Wirtschaftsministerium kam nun wenigstens eine abgespeckte Version heraus, auf die sich Müller, Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Altmaier selbst einigen konnten. Demnach soll der Bundestag festlegen, dass Unternehmen wie Aldi, Kik, VW, Saturn oder Metro, die in Deutschland sitzen, produzieren oder verkaufen, Verantwortung für ihre Zulieferfabriken übernehmen müssen. Die Löhne dort sollen ausreichen, um den Beschäftigten und ihren Familien ein erträgliches Leben zu ermöglichen, die Arbeitszeit soll nur in Ausnahmefällen länger als 48 Stunden pro Woche dauern, unabhängige Gewerkschaften wären wählbar, gesundheitsschädliche Chemikalien werden aus der Herstellung verbannt, Arbeitssicherheit würde gewährleistet.
Die Firmen sollen ihre gesamte Lieferkette, die durchaus zehn und mehr Positionen umfassen könnte, im Blick haben, aber abgestuft verantwortlich sein. Wird einer Firma ein Missstand in der Lieferkette bekannt, soll sie verpflichtet werden, für Abhilfe zu sorgen. Eine Behörde überwacht dies. Unklar ist, welche Sanktionsmöglichkeiten sie haben soll. Zudem sollen Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften künftig die Möglichkeit bekommen, Betroffene vor deutschen Gerichten zu vertreten, wenn es Verstöße gegen Standards in Lieferketten gibt und der Betroffene zustimmt.
Eine zivilrechtliche Haftung soll es dagegen nicht geben. Wirtschaftsverbände hatten argumentiert, eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen für unabhängige Geschäftspartner im Ausland, die dort eigenen gesetzlichen Regelungen unterliegen, sei realitätsfern. In diesem Falle drohe, dass sich deutsche Firmen wegen zu hoher Risiken aus vielen Ländern der Welt zurückziehen.
Das Gesetz soll noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden und ab 2023 in Kraft treten. Es gilt zunächst nur für Betriebe mit 3.000 Angestellten und mehr, ein Jahr später auch für welche mit 1.000 Beschäftigten.
„Globalisierung gerecht gestalten"
Wenn das Gesetz in Kraft tritt, werden sich Kinderarbeit, Hungerlöhne, illegale Abholzung, Pestizideinsatz, Wasser- und Luftverschmutzung nicht mehr verheimlichen lassen. Greenwashing wäre somit der Boden entzogen, weil jeder Verbraucher sich darüber informieren könnte, unter welchen Bedingungen sein T-Shirt in Burkina Faso gewebt, in China gefärbt und in Bangladesch zusammengenäht wurde.
Von der Wirtschaft wird das Gesetz unterschiedlich aufgenommen. Unternehmen mit 100 und mehr Zulieferern wehren sich gegen den damit verbundenen Aufwand und die Kosten. VW allein hat 40.000 Zulieferfirmen. Vor allem Mittelständler und kleinere Betriebe vermuten, sie wären überfordert. Andere Unternehmen wie etwa Nestlé, Kik, Hapag-Lloyd und Rewe sprachen sich dagegen für das Gesetz aus.
Hubertus Heil (SPD) sagte, das Gesetz sei ein Signal an jene Firmen, die bisher Menschenrechte gegen ihre wirtschaftlichen Interessen abgewogen haben. „Es geht um die Einhaltung von Menschenrechten in globalen Lieferketten und damit menschenwürdige Arbeit." Die zuständigen Behörden bekämen ein „robustes Mandat". „Wir reden hier nicht von Knöllchen, sondern von dem, was angemessen ist", sagte er. Unternehmen, gegen die ein hohes Bußgeld verhängt wurde, könnten bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden. „Das Lieferkettengesetz ist ein Gesetz mit Zähnen."
Entwicklungshilfeminister Müller (CSU) erwartet Wirkung über Deutschland hinaus und wandte sich gegen Hungerlöhne: „Also ein Euro oder ein Dollar am Tag für zwölf Stunden ist sicher zu wenig. Das ist die Fortschreibung der Kolonialzeit in anderen Umständen." Er erwartet, dass über den Zusammenhang zwischen Produktionsverhältnissen und den Billigstpreisen in Deutschland diskutiert wird. „Was ist menschenwürdig? Und deshalb sage ich, es wird eine große Debatte geben: über die Umsetzung des Rechtstextes hinaus das Thema Globalisierung gerecht zu gestalten."