Körperlich überragt Christ Koumadje bei Alba Berlin alle. Langfristig soll der Center auch spielerisch beim Hauptstadtclub Fuß fassen.
Das Wort „Riese" wird im Basketball oft inflationär benutzt, doch bei Christ Koumadje kommt man an diesem Synonym nicht vorbei. Der neue Spieler von Alba Berlin misst laut Clubangaben 2,21 Meter, bei der Euro League ist der Center sogar mit 2,23 Meter gelistet. So oder so ist Koumadje aktuell der größte Spieler der Basketball-Bundesliga – oder besser gesagt: der längste. Dass er auch wirklich ein Großer in der Liga werden kann, muss der Mann aus Tschad erst noch beweisen. Sein Debüt verlief schon mal sehr vielversprechend. Dreieinhalb Wochen nach seiner Verpflichtung lief der 24-Jährige beim 94:60-Kantersieg bei den Frankfurt Skyliners erstmals für seinen neuen Club auf – und er hinterließ auf Anhieb einen bleibenden Eindruck. Eine seiner ersten Aktionen war ein erfolgreicher Block, im Tempogegenzug versenkte Koumadje den Ball mit einem spektakulären Alley-oop-Dunk im Korb. „Willkommen in der Basketball Bundesliga, Christ Koumadje. So kann man sich mal einführen", schwärmte auch der Kommentator des übertragenden Fernsehsenders Sport1. In knapp 13 Spielminuten gelangen dem Neuzugang vier Punkte, sechs Rebounds und drei Blocks. Eine gute Bilanz, die Hoffnung auf mehr macht. „Es fühlt sich großartig an, dabei zu sein", sagte Koumadje hinterher. „Ich bin dafür da, Energie zu bringen, gut zu verteidigen, meinen Leuten zu helfen."
Alba sieht in ihm aber ein Langzeitprojekt, eine Investition für die Zukunft. Der 24-Jährige hat alle körperlichen Voraussetzungen, in der Bundesliga richtig durchzustarten. Doch er muss sich technisch und taktisch noch stark verbessern, zumal Albas Spielstil für Neuzugänge zunächst sehr gewöhnungsbedürftig ist. Trainer Aíto García Reneses setzt auf ein situatives System, das von den Spielern viel Kreativität und Eigenverantwortlichkeit verlangt. Statt auf einstudierte Automatismen zurückzugreifen, sollen die Profis in der Regel die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit treffen. Um diese Spielidee zu adaptieren, bedarf es Erfahrung und Zeit. Und die gibt Alba seinem neuen Center, auch wenn die Medien mit jedem Spiel, in dem Koumadje nicht zum Einsatz kam, immer ungeduldiger wurden. „Christ braucht Zeit. Wir können ihn nicht sofort bringen", hatte Alba-Sportdirektor Himar Ojeda gesagt. „Er ist neu bei uns, er muss lernen." Sehr viel lernen sogar: die Spielidee, die Abläufe, die Teamkollegen, die Sprache. Damit ist auch zu erklären, warum er fast einen Monat von Trainer Reneses nicht eingesetzt wurde, obwohl der Terminkalender für Alba rappelvoll war. Mittelfristig soll der 2,21-Meter-Riese beim Hauptstadtclub aber groß aufspielen. „Er passt sehr gut zu unserer Philosophie, interessante, vielversprechende Spieler bis auf ihr höchstes Level zu entwickeln", sagte Sportdirektor Ojeda. Man habe die Entwicklung des Centers „schon eine ganze Weile" verfolgt und sei überzeugt von dessen Qualitäten. Die liegen ohne Zweifel unter dem Korb. Springt der Center hoch und streckt seine lange Arme aus, sind nahezu alle Gegenspieler im Kampf um den Ball chancenlos. Koumadje spielte in der Saison 2019/20 in der nordamerikanischen G-League für die Delaware Blue Coats, für die er im Schnitt 10,9 Rebounds und 4,0 Blocks pro Partie verbuchte. Auch wegen dieser beeindruckenden Werte wurde er dort als Defensivspieler des Jahres ausgezeichnet. Diese Leistung sollte man nicht unterschätzen, schließlich tummeln sich in der G-League, in der die NBA-Clubs ihre Farmteams gegeneinander spielen lassen, zahlreiche Toptalente. Ojeda verfolgte den Werdegang von Koumadje aber schon etwas länger, „seit seiner College-Zeit habe ich ihn mehrfach live beobachten können". Die außergewöhnliche Größe ist offensichtlich, doch Albas Sportdirektor hat noch andere Qualitäten entdeckt: „Er bringt auch einen guten Charakter mit und wird gut in unser Team passen."
Für den Sprung in die NBA reicht es nicht
Koumadje folgte dem „sehr guten Ruf", welcher der Organisation Alba und vor allem Trainer Reneses vorauseile. Er wolle sich „in der Bundesliga und der Euro League auf höchstem Niveau beweisen". Es ist nicht sein erstes Europa-Abenteuer, überhaupt ist sein bisheriger Karriereweg ungewöhnlich und gerade deshalb höchst spannend. Mit dem Basketballspielen begann er erst spät, mit 16 Jahren in einer Schule im Senegal. Doch der schon damals hochgeschossene junge Mann bewies viel Talent, das bei einem Basketball-Camp 2013 in Nigeria auch den internationalen Scouts auffiel. Er erhielt ein Stipendium für die Montverde Academy in Florida, in dem Sonnenstaat spielte er dann für die Florida State University in der höchsten College-Liga NCAA. Spätestens dort landete er auf dem Radar der NBA-Scouts, die bei einer Größe von über 2,20 Meter sofort hellhörig werden. Die Philadelphia 76ers zeigten das größte Interesse, sie luden Koumadje zum Trainingscamp der Preseason ein. Für den Sprung auf die größte Basketball-Bühne reichte es aber nicht, Philadelphia „parkte" den Center im Farmteam in Delaware. Weil sich der Traum von der NBA trotz guter Leistungen in der G-League nicht erfüllte, sucht Koumadje seit dem vergangenen Sommer sein Glück in Europa. Einen bleibenden Eindruck hat er bei Estudiantes Madrid in der spanischen Eliteliga ACB und bei Awtodor Saratow in Russland jedoch nicht hinterlassen. In beiden Clubs kam er nur zu Kurzeinsätzen, dem schlaksigen Riesen mit den etwas hölzernen Bewegungen wurde dort der Durchbruch nicht zugetraut. Bei Alba schon. Der beste Beweis ist der langfristige Vertrag bis 2023. „Christ hat viel Raum, sich zu verbessern", sagte Sportdirektor Ojeda. „Das soll er bei uns tun." Und zwar ohne großen Druck. Vergleiche wie die mit Walter Tavares, der bei Real Madrid spielt und ebenfalls 2,21 Meter misst, ersticken die Alba-Verantwortlichen im Keim. Tavares ist spielerisch und taktisch mindestens eine Klasse besser, aber eben auch vier Jahre älter und deutlich erfahrener. „Wenn Christ halb so gut wäre wie Tavares", sagte Ojeda der „Berliner Morgenpost", „wäre ich super happy".
Der letzte Alba-Profi, der körperlich in ähnlichen Sphären unterwegs war wie Koumadje, hieß Gunther Behnke. Beim heute 58-Jährigen war im Spielerpass ebenfalls die Größe 2,21 Meter festgehalten, er wusste diesen Vorteil für sich zu nutzen. Im Alba-Trikot gewann Behnke 1995 den Korac-Cup, darüber hinaus brachte er es auf 146 Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft. Bei Alba hoffen sie, dass bei ihnen in Koumadje der nächste Riese groß rauskommt. Der Anfang ist jedenfalls gemacht.